Ostfriesisches Klinik Journal

Für den Erhalt wohnortnaher Krankenhäuser

Wer (über)lebt?

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okj-Kommentar
von Margitta Schweers

Nor­den (okj) – Die Erkäl­tung hat mich nicht schla­fen las­sen. Mit einem Erkäl­tungs­tee in der Hand hab ich gegen drei Uhr in der Nacht den PC ange­schal­tet. Was ich sah, hat mich tief bewegt. Ein User hat mit­ten in der Nacht einen Zei­tungs­ar­ti­kel der Emder Zei­tung gepos­tet. Aus dem Arti­kel ging her­vor, dass das Emder Kran­ken­haus in einem Beru­fungs­ver­fah­ren beim OLG unter­le­gen war.

Krankenhaus haftet für Folgen – Hirnhautentzündung zu spät erkannt

Das Kli­ni­kum wird nun, nach­dem bereits das Land­ge­richt Aurich im Vor­feld eine Schuld fest­ge­stellt hat­te, nach die­ser Beru­fung ver­ur­teilt. Das Urteil ist noch nicht rechts­kräf­tig. Ich las den Arti­kel mit den klei­nen Buch­sta­ben wie­der und wie­der. Ich las von dem klei­nen Jun­gen, bei des­sen Behand­lung vie­les dra­ma­tisch falsch gelau­fen ist. Mei­ne Gedan­ken waren bei der Fami­lie. Bei dem Jun­gen, der bei­de Unter­schen­kel ver­lie­ren muss­te, dem man irgend­wann nach einer Ope­ra­ti­on erklä­ren muss­te, war­um die Bein­chen weg sind. Dem man auch heu­te noch erklä­ren muss, war­um er einen Kom­pres­si­ons­an­zug tra­gen muss, um sei­nen Kör­per vor wei­ter­ge­hen­den Schä­den zu schüt­zen.

IMG_0523Mei­ne Gedan­ken waren bei den Eltern, die jeden Mor­gen beim Wecken dar­an erin­nert wer­den, dass das Leben nicht mehr so ist, wie sie es sich mal vor­ge­stellt hat­ten. Wie vie­le Näch­te haben sie nachts nicht geschla­fen?

Die gest­ri­ge Nacht war eine schwe­re für mich. Mei­ne eige­ne Toch­ter kämpft um die Funk­tio­na­li­tät ihre Bei­ne. Spe­zia­lis­ten tun das mit ihr – die Olden­bur­ger Kran­ken­haus-Crew hat uns nach Han­no­ver ver­wie­sen. Für ihre Behand­lung ist kein Weg zu weit. Für mich hat der Arti­kel in der Emder Zei­tung also eine ganz eige­ne Bedeu­tung.

Entwertung des Allgemeinmediziners?

Mei­ne eige­ne Erkäl­tung in der Nacht war ver­ges­sen, mei­ne Gedan­ken schweif­ten zurück zu der Zeit, als mei­ne damals klei­ne Toch­ter krank wur­de. Das muss etwa 2002 gewe­sen sein. Ihr Fie­ber war hoch, sie war damals kaum ansprech­bar. Ich trug das klei­ne Mensch­lein zu mei­ner Haus­ärz­tin nach Nord­deich. Auch sie war nicht in der Lage her­aus­zu­fin­den, was sie hat­te und so wur­den wir direkt ins Nor­der Kran­ken­haus auf die dama­li­ge Kin­der­sta­ti­on über­wie­sen. Ich weiß noch, dass ich dar­auf bestan­den habe, sie sel­ber zu fah­ren und auf den Kran­ken­wa­gen zu ver­zich­ten. Mut­ti hat es im Griff – und die Ärz­te im Kran­ken­haus auch. In mei­ner Erin­ne­rung brach sofort nach unse­rem Ein­tref­fen rege Geschäf­tig­keit aus. Der Beleg-Kin­der­arzt Dr. Lüde­king wur­de sofort benach­rich­tigt und war bei unse­rem Ein­tref­fen längst da. Er hat dafür sei­ne eige­ne Sprech­stun­de unter­bro­chen.

JWI G 5144Ein Team half uns – mei­ne Toch­ter wur­de zunächst iso­liert – der Ver­dacht auf Hirn­haut­ent­zün­dung lag nahe. So wur­den wir zunächst aus Sicher­heits­grün­den auf­ge­for­dert, das Zim­mer nicht zu ver­las­sen, um eine Anste­ckungs­ge­fahr für die ande­ren Kin­der aus­zu­schlie­ßen. Mei­ne Toch­ter konn­te nicht sagen, was sie hat­te, das Fie­ber war zu hoch – und so wur­de kom­pe­tent und ganz­heit­lich eine Krank­heit nach der ande­ren aus­ge­schlos­sen. Übrig blieb, wie viel­leicht heut­zu­ta­ge gern her­ab­wür­di­gend gesagt wird, eine nicht lukra­ti­ve Krank­heit. Viel­leicht war der Auf­wand, den man trieb – wirt­schaft­lich unan­ge­mes­sen hoch, denn ich blieb mit mei­ner Toch­ter fast 14 Tage auf der Kin­der­sta­ti­on. Viel­leicht aber ist der Auf­wand, den man damals trieb, genau im rich­ti­gen Umfang betrie­ben wor­den. Die Eltern des klei­nen Jun­gen, der im Emder Kran­ken­haus betreut wur­de, wer­den mir da sicher zustim­men.

Ja – da waren meine Gedanken in der Nacht.
Wie sieht es heute aus mit der Versorgung in Norden? In den ostfriesischen Krankenhäusern?

Kin­der­sta­tio­nen? Ärz­te mit einem All­ge­mein­wis­sen? KV-Bereit­schafts­not­diens­te, die in der Lage sind, all­um­fas­send zu urtei­len und zu behan­deln? Wo ist das vor­han­den? Ganz­heit­li­che Betrach­tung des Pati­en­ten? Der Tenor lau­tet heu­te: Wirt­schaft­lich­keit durch Spe­zia­li­sie­rung. Wie spe­zia­li­siert kann man sein? Wie viel bleibt dabei auf der Stre­cke? Und wie weit geht der Wirt­schaft­lich­keits­wahn, dass man Schmer­zens­geld­for­de­run­gen bis hin zu obe­ren Gerichts­hö­fen hin abwen­den will? JWI G 5143Was füh­len Eltern, die neben dem täg­li­chen Bild, was sie sehen, noch zu Gericht zie­hen müs­sen, um die Ansprü­che für das eige­ne Kind durch­kämp­fen zu müs­sen?

Wo ist der mensch­li­che und mora­li­sche Aspekt, wenn man als Ver­wal­tung ver­sucht, den wirt­schaft­li­chen Scha­den vom Kran­ken­haus abzu­wen­den durch ein Beru­fungs­ver­fah­ren vor Gericht? Haben die Ver­ant­wort­li­chen das Bild des Kin­des vor Augen, wenn sie ein sol­ches Gerichts­ver­fah­ren anstren­gen? Die Eltern sehen ihr Kind – jeden Tag. Und sie müs­sen ihm Ant­wor­ten geben – jeden Tag.

Was müs­sen die­se Eltern von uns Akti­ven den­ken, wenn wir uns ein­set­zen für den Erhalt unse­rer Kran­ken­häu­ser? Ob sie Hass ver­spü­ren? Ich hof­fe nicht. Denn wir weh­ren uns nicht nur gegen die Schlie­ßung der Kran­ken­häu­ser – wir weh­ren uns dage­gen, dass Pati­en­ten nur als Num­mer behan­delt wer­den. Fließ­band­ab­fer­ti­gung – das ist das, was in neu­en Struk­tu­ren auf uns war­ten wird. Geburts­ab­tei­lun­gen rech­nen sich nur, wenn dem­nächst 5 Gebur­ten pro Tag erreicht wer­den?

Eine Heb­am­me also von Zim­mer zu Zim­mer fliegt? Zet­tel an den gro­ßen Zeh, Knie­ope­ra­tio­nen bit­te vor­mit­tags – Hüf­ten kom­men nach­mit­tags dran. Wir weh­ren uns dage­gen, dass Pati­en­ten redu­ziert wer­den auf Lukra­ti­vi­tät. Und wir erwar­ten letzt­lich auch von jedem Arzt, dass er sich uns anschließt. Arzt wird man, um zu hel­fen!

Mein Bei­spiel aus dem Jah­re 2002 ist noch nicht all­zu lan­ge her. Seit die­ser Zeit hat sich eini­ges geän­dert – und ver­ant­wort­li­che Poli­ti­ker haben zuge­se­hen. Und dadurch wur­de eine Abwärts­spi­ra­le gestar­tet, die gegen den Pati­en­ten gerich­tet ist. Die­se Spi­ra­le muss unter­bro­chen wer­den, denn lang­sam wird die Luft für die Pati­en­ten und die Pfle­gen­den zu dünn. Genü­gend Per­so­nal, genü­gend Aus­bil­dung – Rück­be­sin­nung auf die Zei­ten, in denen die Medi­zin angeb­lich nicht so glor­reich tätig war, dafür die Men­schen aber gesun­de­ten.JWI G 5162 Noch vor 10 – 15 Jah­ren hat­ten wir einen ange­mes­se­nen Ver­sor­gungs­zu­stand – auch in der Flä­che. Und nichts ande­res for­dern wir. Das hat sich erst geän­dert, als Wirt­schaft­lich­keit Ein­zug hielt und ein­sei­ti­ge Aus­bil­dungs­for­men für Medi­zi­ner. Schö­ne neue Welt, in der man alles fremd­steu­ern kann – alles, bis auf den Pati­en­ten?

Ver­wal­tun­gen soll­ten sich spe­zia­li­sie­ren – das wäre ein guter Ansatz. Sie soll­ten sich spe­zia­li­sie­ren dar­auf, wirt­schaft­li­che Zusatz­an­ge­bo­te zu fin­den, die ermög­li­chen, dass auch Baga­tell­krank­hei­ten wirt­schaft­lich pro­blem­los behan­delt wer­den kön­nen. Sie soll­ten sich nicht dar­auf spe­zia­li­sie­ren, wie man geschä­dig­te Fami­li­en noch durch wei­te­re Gerichts­in­stan­zen drang­sa­lie­ren kann. Und die Ver­wal­tun­gen und Ent­schei­der soll­ten sich kon­zen­trie­ren auf das, was das Leben vor­gibt. Mensch­lich­keit! Jeder der Ent­schei­der muss sich das Bild die­ses klei­nen Jun­gen vor Augen hal­ten – und die Bil­der der Men­schen, die durch Wirt­schaft­lich­keits­pro­ble­ma­tik zu Scha­den gekom­men sind. Ich hab letz­te Nacht nicht mehr lan­ge geschla­fen – und dar­an war nicht nur mein Hus­ten schuld.


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