okj-Kommentar
von Margitta Schweers
Wir leben in Ostfriesland – hier spielt man nicht mit dem Leben der Patienten. In Ostfriesland gelten andere Regeln – hier gehen die Uhren anders herum. Wer kennt diesen Spruch nicht?
Im flächenmässig grossräumigen Versorgungsbereich werden in Bezug auf die Erreichbarkeiten härtere Anforderungen an die Klinikenbetreiber gestellt. Es gilt, eine flächendeckende Versorgung im Rahmen der Daseinsvorsorge im Sinne des Grundgesetzes zu erhalten und zu fördern.
Wir leben in einer Region, die aufgrund ihrer Infrastruktur nicht mit den Möglichkeiten innerhalb einer Grossstadt zu vergleichen ist. In der Grossstadt kann man auf eine Vielzahl von Krankenhäusern zurückgreifen. Die können sich ergänzen, ohne dass die Versorgung der Bevölkerung in irgendeiner Weise in Gefahr gebracht wird. Man kann „spielen“ mit Abteilungsgrössen einer Klinik und man kann sogar „riskieren“, dass eine Klinik sich auf Fachbereiche spezialisiert, weil sich der direkte Nachbar auf andere Behandlungsarten konzentriert hat.
Hier sollen nun drei Kliniken geschlossen werden und eine neue Zentralklinik – als Folge dieser Schließungen – die Versorgung des gesamten Grossraumes mit 230000–240000 potentiellen Patienten übernehmen. Der Plan der Politik zielt auf ein Projekt ab, das mit einer geringeren Bettenzahl, weniger Personal, weiteren Anfahrtszeiten für die meisten der Patienten – und – einer riesigen finanziellen Schuldenlast im Rücken die Lösung für hausgemachte Probleme sein soll.
Man könnte sich mit diesem Plan anfreunden:
wenn er zielführend eine Patientenversorgung garantieren könnte – auch und nicht zuletzt dadurch, dass eine konkrete und verlässliche Grund- und Regelversorgung sichergestellt wäre.
Man lässt jedoch völlig ausser Acht, dass eine Klinik, auch wenn sie neu ist, mit den gleichen äusseren Einflüssen zu kämpfen hat, wie alle anderen Kliniken auch. Auch dort wäre ein Überleben nur gesichert, wenn man sich spezialisiert. Damit wäre aber der Platz für eine geordnete Grund- und Regelversorgung nicht mehr in erforderlich Weise gegeben.
Doch genau die brauchen wir hier in Ostfriesland: Nicht das Spezialklinikum, dass aus den entlegensten Nachbarkommunen die lukrativen Patienten einfliegt, sondern das Krankenhaus, dass sich der alltäglichen Krankheiten annimmt und den Patienten gesunden lässt.
Man könnte sich mit dem Plan anfreunden:
Wenn man den haushaltspolitischen Zahlen trauen dürfte, wenn es kein Bredehorst-Gutachten gäbe, was die Schwarze Null prognostiziert hat.
Man könnte sich mit dem Plan anfreunden:
Wenn die Kliniken ungenügend ausgelastet wären,
wenn die Kliniken von der Bevölkerung nicht angenommen worden wären,
wenn die Kliniken in Norden, Aurich und Emden medizinisch nicht leistungsfähig wären – und,
wenn die Häuser dringend und umfangreich sanierungsbedürftig wären.
Gerade den letzten Punkt muss man deutlich bestreiten.
Vielmehr stehen drei gut ausgestattete Gebäudekomplexe in den jeweiligen Ballungsgebieten, die mit unkenruf-gleichen Formulierungen betitelt werden. Sanierungsanstau von 100 Mio oder mehr stehen im Raum. Unflexible Handlungen der jeweiligen Klinikleitungen und mangelnde Kooperationsbereitschaft stehen dem IST-Zustand im Wege. Vorschläge werden nicht angenommen, Abteilungen werden nicht neu zugeteilt. Man befürchtet Imageverluste.
Wieder Wärme fürs Gesundheitssystem
Konkurrenzverhalten in der Gesundheitsvorsorge ist völlig fehl am Platze! Es ist ein ethischer Supergau! Die Auswirkungen werden auf dem Rücken der Patienten und des Personals ausgetragen – auf dem Rücken der Menschen.
Das Konkurrenzverhalten geht sogar so weit, dass der Standpunkt Norden geradezu ausgehungert wird. Die Umverteilung von gewinnbringenden Abteilungen deutet klar darauf hin. Qualifizierte Ärzte und Pflegepersonal zu rekrutieren, fällt angeblich schwer.
Wie geht man denn mit dem vorhandenen medizinischen Fachpersonal der Kliniken um?
Man macht sich auf schmerzhafte Art geradezu lustig über angebliche Inkompetenz. Man streicht Arbeitsplätze, führt den sogenannten Qualimix ein, der geringer ausgebildetes Personal in die Zwickmühle führt.
Sie sollen, wollen und müssen dem Patienten etwas Gutes tun, doch die eigene Ausbildung reicht dazu bisweilen nicht aus.
Pflegeassistenten werden eingeteilt für „Hilfsleistungen“ wie Essensausgabe und man vergisst dabei leicht, dass der Blick einer qualifizierte Schwester als Basis für die Behandlung unverzichtbar ist.
Einiges entgeht dem ungeschulten Auge der Hilfsschwestern, der Patient leidet darunter und im Resultat muss sich der medizinische Angestellte trotz grossem Engagements anhören, wie schlecht er doch arbeite. Das als Aussagen von Klinikleitungen und Politik – vom Dienstherren!
Versteckspiel mit einer ”Machbarkeits”-Studie
Die Zeit ist gekommen, um ein Krankenhaus nicht als Gesundheitsfabrik zu betrachten, die Heilung am Fließband produziert und die „Ware Gesundheit“ optimal zu vermarkten hat. Ein Krankenhaus ist auch eine soziale Einrichtung, in der Menschlichkeit und Ethik ein wichtiger Bestandteil des Heilungsprozesses ist. Patienten und Klinikpersonal darf nicht hinter wirtschaftlichen Hochrechnungen und Grafiken verschwinden.
Politik und Klinikleitungen verstecken sich hinter einer sogenannten Machbarkeitsstudie mit eben solchen Hochrechnungen und Grafiken. Eine Studie, die in Bezug auf Fehlentscheidungen und realer Zahlen vollständig inhaltsleer ist. Kein Wort der Verantwortlichen, warum es zu scheinbar unhaltbaren, haushaltspolitischen Finanzproblemen gekommen ist.
Kein Verantwortlicher übernimmt Verantwortung!
Kommentare zu solchen Fragen wirken wie Ausreden. Schuld ist alles andere – nur nicht Verwaltung und Politik.
Schuld sind die Patienten, die die Notfallaufnahmen missbrauchen und ihre Kinder normal zur Welt bringen wollen – nicht mit dem lukrativen Kaiserschnitt.
Das Personal ist schuld, weil sie ihr Gehalt sichergestellt haben wollen, um von ihrer Arbeit leben zu können.
Das DRG System ist schuld, und das stimmt sogar. Natürlich das DRG-System ist sehr wohl mit Schuld an der Misere der Krankenhäuser, weil sie dadurch auf höheren Kosten für problematische Patienten (Chronisch oder multipel Kranke etc) sitzen bleiben. Mit DRG können die Krankenhäuser nur in die schwarzen Zahlen kommen, wenn sie sich die „Rosinen“ rauspicken und die zu aufwändigen Patienten meiden. DRG ist mit Absicht das Instrument zur Privatisierung! Gleichwohl ergibt man sich hierzulande gern in das Schicksal und schiebt es als Grund allen Übels vor. Versteckt sogar die Zielsetzung Zentralklinik dahinter. Das muss man nicht kommentieren.
Einheiten des Gesundheitswesens können nicht ausschliesslich unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet werden. Die schwarze Null kann nicht das letzte Wort im Landkreis Aurich und der Stadt Emden sein. Die flächendeckende Versorgung kranker Menschen gehört zur kommunalen Daseinsvorsorge im Sinne des Grundgesetzes. Die immer wieder erklärte Absicht der Niedersächsischen Landesregierung.
Für Kritiker ist es absolut inakzeptabel, dass man blind dem Gutachten der BDO AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft folgt. Einem Gutachten, dass man nach kurzem Blick darauf als unseriös empfinden muss, da sämtliche konkreten und objektiven Daten darin fehlen.
Eine objektive Beurteilung ist nur möglich, wenn man nachvollziehbare Zahlen bekommt! Diese Zahlen werden jedoch verweigert. Sogar die künftigen Geschäftspartner Aurich/Emden betrachten sich noch als Konkurrenten und wissen letztlich nicht, auf was sie sich einlassen, wenn sie eine Partnerschaft eingehen – was mit viel Liebe noch verständlich wäre – aber die ist offensichtlich noch recht blind. Auch die jeweiligen Aufsichtsräte werden schlicht kaltgestellt und „mit Glaskugeln“ versorgt, um weitreichende Entscheidungen zu treffen
Dem Bürger bleibt die bittere Erkenntnis: Alles wird kaltgestellt und an die Wand gedrückt.
Bürger melden sich zu Wort
Doch der Widerstand ist formiert. Unmut äussert sich an jeder Stelle. Es handelt sich schließlich um ein empfindliches Thema – die Gesundheit der Bürger!
Diese fordern zu tausenden den Erhalt der drei Kliniken in Emden, Norden und Aurich. Das setzt voraus, dass die Eigenwirtschaftlichkeit jeder einzelnen Klinik nicht systematisch und mit Absicht untergraben wird.
Die Forderung lautet auch, mit einer gemeinsamen Verwaltung – und zwar landkreisübergreifend – wirtschaftliche Potentiale zu nutzen.
Dazu gehört auch, aber nicht nur der gemeinsame Einkauf und entsprechende Patientenbegleitung gegenüber den Abrechnungs-Trägern.
Auch sollte man über ein Rotationsprinzip in der Ärzteschaft nachdenken, um personelle Versorgungsengpässe zu vermeiden. Spezialisierung der einzelnen Krankenhäuser zum Nutzen aller im Grossraum, lautet eine weitere Forderung.
Diese „Solidarmodell“, welches Konkurrenzkämpfe zu Lasten des Bürgers vermeiden könnte, war – bislang jedenfalls – eine Grundhaltung ostfriesischer Kommunalpolitiker. Jetzt wird es mit der Zentralklinik angegriffen, statt es fortzuentwickeln und zu verfeinern. Unabdingbar ist dazu die klare Trennung der wirtschaftlichen und medizinischen Verwaltung von der Politik.
Vor allem: Sicherstellung und Verbesserung der Grund- und Regelversorgung aller Bürger – und zwar wohnortnah.
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