Um Krankenhäuser auf der ostfriesischen Halbinsel wurde schon immer gestritten. Anlässlich des 50jährigen Bestehens des ”Kreiskrankenhaus Aurich” (heute UEK) veröffentlichte der frühere ON-Chefredakteur Heinz-Werner Theesfeld (✝) eine 92seitige Dokumentation zur Geschichte dieses Krankenhauses. Im Gedenken an den inzwischen verstorbenen Heinz-Werner Theesfeld geben wir hier eine kurze Fassung seiner umfangreichen Recherchen wieder.
Als im Zweiten Weltkrieg die ersten Bomben auf deutsche Städte abgeworfen wurden, begann man 1942 sogenannte „Krankenhaus-Sonderanlagen“ zu errichten. Zu den ersten Zielen der Alliierten Bomberpiloten gehörte auch die Seehafenstadt Emden. Weil zu befürchten stand, das auch das städtische Krankenhaus bombardiert wird, wurde die für Emden geplante „Krankenhaus-Sonderanlage“ in ein staatseigenes Waldgebiet in der Gemeinde Sandhorst bei Aurich errichtet.
Vorgegeben war der Bau von schnell zu erstellenden Baracken mit einer Länge von 80 bis 100 m und einer Breite von 12,50 m. Bereits im November 1941 hatten die Vorarbeiten begonnen.
150 Arbeiter waren im Einsatz, doch erst am 15. März 1943 war die Außenstelle des Emder Krankenhauses bezugsfertig. Materialprobleme und Witterungseinflüsse verzögerten immer wieder die Bauarbeiten. Ursprünglich mit 360 Betten geplant, wurde die Anlage immer größer – mit bis zu 500 Betten.
Großzügige Aufmachung eines Notbehelfs
Emdens damaliger Oberbürgermeister Carl Heinrich Renken meldete sich kritisch zur Schrift und schrieb: „Die Sonderanlage in Sandhort geht in ihrer großzügigen Aufmachung weit über die Erfordernisse hinaus, die diese Stadt mit 30.000 Einwohnern zu stellen hat. Die jetzige Großanlage kann nur umfangreicher belegt werden, wenn der ganze Regierungsbezirk Aurich daran beteiligt ist. Wenn man aber die Anlage für den möglichen Fall einer größeren Katastrophe frei halten will, so kann das nicht nur zu Lasten der Stadt Emden gehen. Die Erfahrungen haben gezeigt, dass auch kleinerer Landkreise durch Feindeinwirkung erheblich betroffen werden können.“ Renken forderte einen Krankenhausträger auf breiterer Grundlage.
Was zunächst nur als Notbehelf geplant war, entwickelte sich nach dem Krieg als Ostfrieslands beliebtestes Krankenhaus. „Mehr Sanatorium als Krankenhaus“ – lautete eine Überschrift in der Nordwest-Zeitung vom Oktober 1945. „Das ganze Gelände macht den Eindruck eines gepflegten Parks, und man kann sich denken, dass für den Heilungsverlauf die besten psychischen Voraussetzungen geschaffen sind“, schrieb die Nordwest-Zeitung.
Im Januar 1946 hatte das „Urwaldkrankenhaus“ in Sandhorst mit 6 705 Patienten den höchsten Stand der Belegung erreicht. 1948 wurden 5 791 Patienten aufgenommen. 244 Kinder erblickten in diesem Jahr in Sandhorst das Licht der Welt (1944 waren es 420). Durchgeführt wurden 1 691 Operationen in der Chirurgie. Die meisten Patienten (2 124) kamen aus Aurich. Die Stadt Emden stellte 1 519 Patienten, der Altkreis Emden 591.
Nicht nur die idyllische Lage macht das Krankenhaus sehr beliebt. Die aus einfachen Holzbaracken erbaute Anlage, war medizinisch auf dem damals neuesten Stand .Doch aus Emden mehrten sich die kritischen Töne, denn die Sandhorster Krankenhaus-Anlage auf dem Gebiet des Regierungsbezirks Aurich gehörte nach wie vor der Stadt Emden. Wie immer, ging es um das liebe Geld.
Regierungspräsident Berghaus will ein ostfriesisches Zentralkrankenhaus in Sandhorst
Der damals amtierende Regierungspräsident Mimke Berghaus setzte sich deshalb dafür ein, aus dem Notbehelf aus Kriegszeiten eine ostfriesische Zentralklinik für die gesamte Region zu machen. Der geographisch optimale Standort in der Mitte der Halbinsel, schien ihm für dieses Vorhaben geeignet, womit dann auch die Finanzierung auf Dauer abgesichert werden könnte. Doch Berghaus konnte sich letztlich nicht durchsetzen. Auf der von ihm am 13. Dezember 1950 einberufenen Dienstbesprechung aller ostfriesischen Oberkreisdirektoren, wollte sich niemand an diesem Vorhaben beteiligen. Die Landkreise bevorzugten ihre eigenen städtischen Krankenhäuser.
Am Ende einigten sich der Landkreis und die Stadt Aurich darauf, das Aurich sein städtisches Krankenhaus „Reilstift“ aufgibt und man gemeinsam die der Stadt Emden gehörende Anlage in Sandhorst übernimmt. Ein für Aurich und den Landkreis echtes Schnäppchen, denn auf diese Weise bekamen sie ein hochmodernes Krankenhaus quasi geschenkt.
Allerdings hatte man dabei etliche Folgekosten nicht im Blick gehabt. Die Instandhaltung der Holzbaracken wurde im Laufe der Zeit immer aufwendiger. Ärzte und Pflegepersonal hatten sich zwar daran gewöhnt, Patienten bei Wind und Wetter wohlbehalten von einer Station in die OP-Baracke und zurück zu transportieren, allerdings war der damit verbundene Arbeitsaufwand und rein betriebswirtschaftliche Kostenfaktor nicht unbeträchtlich.
Im März 1960 meldete sich der damalige Oberregierungsrat Backhaus von der Auricher Bezirksregierung zu Wort und stellte fest, dass sich das Auricher Krankenhaus in einem besonders gefährdeten Gebiet befinde und gegen Brandgefahren zu sichern sei. Eine Aufforderung, die so richtig, wie unmöglich war. Jedem dürfte bewusst gewesen sein, das keine Feuerwehr der Welt eine Chance gehabt hätte, wenn in dieser Ansammlung von Holzbaracken ein Feuer ausbrechen würde. Heute kaum vorstellbar, aber damals Gang und Gäbe, die Herren Chefärzte genehmigten sich natürlich auch mal ihre Zigarre und auch die Krankenschwestern rauchten in ihrer Pause die eine oder andere Zigarette.
Kostendruck lässt Politiker schwitzen
Damals wie heute beschäftige der Krankenhausausschuss des Kreistages die immer wieder aufkommende Frage, wie man dieses Krankenhaus wirtschaftlicher betreiben könne. Jahr für Jahr stiegen die Fehlbeträge – 1953 musste der Landkreis 280.000 DM ausgleichen, für damalige Verhältnisse eine „ganz ordentliche Summe“.
Die Lösung könne nur darin liegen, die gegebene Aufnahmekapazität des Krankenhauses auch voll auszulasten, ließ der Ausschuss verlauten. Diese Auslastung läge bei einer Tagesbelegung von 470 Patienten. Die Berechnung war zutreffend, allerdings etwas sehr theoretisch – wo sollte man all die Patienten hernehmen.
Schlecht für den Landkreis, wenn die Ostfriesen einfach zu gesund sind. Die einzige Möglichkeit bestand darin, hin und wieder in den „Gebieten“ anderer Krankenhäuser ein wenig zu wildern. Für Aurich-Sandhorst gar nicht so schwierig, denn dieses „Urwaldkrankenhaus“ war bei den Patienten wegen seiner idyllischen Lage durchaus beliebt. Die vom Oberregierungsrat Backhaus ins Bewusstsein gerufene Brandschutz-Problematik, blieb auch deshalb eher ein Thema für Insider und wurde eher hinter vorgehaltener Hand behandelt. Dafür konnte es letztlich nur eine Lösung geben – früher oder später musste ein neues Krankenhaus gebaut werden.
Harte Bedingungen für das Pflegepersonal
Doch vorerst galt es die Alltagsprobleme zu lösen. Eines davon lautete, dass die Krankenschwestern, die einen sehr schweren Dienst zu verrichten hatten, auf Dauer nicht in diesen primitiven Baracken untergebracht werden können. Ein Dauerthema damaliger Zeit, das allerdings erst 1959 gelöst werden konnte – mit dem Neubau des Schwesternheimes. Am 26. Oktober konnte endlich Richtfest gefeiert werden. Der Kreistag hatte beschlossen, 35.000 DM aus der Rücklage für dieses Schwesternheim bereit zu stellen.
Weitere Probleme an die niemand gedacht hatte, tauchten stückweise auf. Ende der 50er Jahre diskutierte man darüber, wer eigentlich Eigentümer des Geländes sei, auf dem diese Krankenhaus-Sonderanlage einst errichtet wurde. Die Vermessungsverwaltung Aurich hatte festgestellt, dass nicht nur die Bundesrepublik Deutschland (Bundesfinanzverwaltung) und das Land Niedersachsen (Forstverwaltung) Grundstücke besaßen, sondern auch Meta Frieden, Fentje Schröder und Hilke Post.
Harte Verhandlungen beim Grundstückskauf
All diese neuen Erkenntnisse führten schließlich dazu, dass es im Januar zu einem Mietvertrag zwischen dem Landkreis Aurich und der Oberfinanzdirektion Hannover kam. 24.000 DM waren nun monatlich zu zahlen. Die ständig steigenden Folgekosten, zum Beispiel auch für die Instandhaltung der Holzbaracken, sorgte für eine recht lebhafte Korrespondenz zwischen dem Landkreis Aurich und Emden. In einem Schreiben an die Bundesvermögensstelle Emden stellte der Landkreis Aurich fest, dass der Kaufpreis für die Anlage von 1.187.000 DM als „außerordentlich überhöht“ anzusehen ist.
„Bei der Wertermittlung hat anscheinend der gute Erhaltungszustand der Baulichkeiten Ausdruck gefunden. Doch ist das ein Verdienst des Landkreises Aurich, der laufend erhebliche Mittel für die sehr gute Instandhaltung des Mietobjekts aufgewendet hat, um seinen Kranken selbst in diesem Krankenhausprovisorium eine einigermaßen würdige Behandlungsstätte zu bieten“, so der Landkreis. Einer der vielen Versuche, die laufenden Zahlungen an Emden zu reduzieren – womit man in Emden natürlich immer wieder auf taube Ohren stieß.
Der zunehmende Verfall der Holzbaracken entwickelte sich langsam zu einem ernsthaften Problem. Schließlich waren sie nicht für jahrzehntelange Dauerbetrieb ausgelegt. Die 280.000 DM die der Landkreis 1953 zubuttern musste, steigerten sich im Laufe des insgesamt 17 Jahre währenden Betriebs im Durchschnitt auf 2,5 Millionen DM, davon allein 1,5 Millionen für die notwendigen Maßnahmen zur Bauunterhaltung. Ein Neubau war unumgänglich.
Der Landkreis plant den Neubau
Doch erst am 8. März 1960 gab der damalige Oberkreisdirektor Friedrich Schuver dem Krankenhaussaugschuss bekannt, dass sich der Kreis um den Erwerb eines Grundstücks für einen solchen Krankenhausneubau bemühe. Dieser sollte in den Jahren 1962 bis 1967 entstehen. Angeboten waren Flächen an der Sandhorster Straße, der Kreuzstraße und in Haxtum.
Am Ende der Beratungen plädierten die Ausschussmitglieder für den Kauf eines 3,7 Hektar großen Grundstücks der Erbengemeinschaft Vosberg an der Wallingshausener Straße. Am 5. Mai 1962 wurde der Kaufvertrag in Höhe von 868.164 DM unterzeichnet.
Mit der Planung und Durchführung beauftragte man den Architekten Wilhelm Wietfeld aus Hannover. „Wir wollen kein repräsentatives, sondern ein wirtschaftlich vertretbares Gebäude, das von der Geschosshöhe in die Landschaft passt“, so Oberkreisdirektor Schuver damals. Doch bis zur Eröffnung des neuen Kreiskrankenhauses sollten noch weitere sieben Jahre vergehen.
Den Ausschussmitgliedern ging das jedoch zu langsam. „Die Planungen gestalten sich schwieriger als bei anderen Projekten“, verteidigte sich Architekt Wietfeld in einer Sitzung am 18. März 1964. Als Grund dafür nannte er, dass man es nicht nur mit einem Auftraggeber zu tun habe, sondern Forderungen und Wünsche aus vielen Bereichen zu berücksichtigen habe. Hinzu kämen teure Bodenuntersuchungen und Fragen des Luftschutzes. Für die Ausschussmitglieder auch nicht sehr beruhigend: Oberkreisdirektor Schuver konnte auch noch nicht sagen, wie was der Neubau am Ende kosten werden. Mit rund 20 Millionen DM müsse man schon rechnen, wobei 4,2 Millionen an Eigenmitteln zur Verfügung stünden. Bei der Beteiligung des Landes gäbe es jedoch noch viele Fragezeichen.
23 Millionen für den Neubau – und 33 Prozent aus Hannover
Ein Jahr später konnten die ersten Bauleistungen vergeben werden. Den Zuschlag für den Rohbau bekam die Arbeitsgemeinschaft Wilbers, Lienemann und Büscher, für 3,9 Millionen DM. Hinzu kamen 3,5 Millionen für die Personalgebäude. Das Bettenhaus sollte bis zum 15. Dezember 1965 „unter Dach“ sein. Für jeden Überschreitungstag wurden 10.000 DM Konventionalstrafe festgesetzt. Die Gesamtkosten wurden mit 22 Millionen DM beziffert. Am Ende wurde es 23 Millionen, von denen das Land Niedersachsen ein Drittel beisteuerte.
In der Auricher Kreisverwaltung, damals in den Gebäuden Hafenstraße 7 (heute Stadtbibliothek) und Burgstraße 25 (heute Historisches Museum) untergebracht war, konnten sich die Auricher ein hübsches Modell des künftigen Krankenhaus-Komplexes an der Wallinghausener Straße anschauen. Eine Woche vor dem dem vereinbarten Fertigstellungstermin für den Rohbau des Bettenhauses, am 9. Dezember 1965 konnte unter strömenden Regen bereits Richtfest gefeiert werden. Doch dann vergingen nochmal fast drei Jahre, bis am 26. Januar 1969 alles fertig war und die Auricher ihr neues Krankenhaus bei einem „Tag der offenen Tür“ in Augenschein nehmen konnten.
Superleistung: Leeraner Sanitätsbatallion zieht mit Patienten in nur sechs Stunden um
Für viele ein höchst befremdliches Erleben. Im Stile der 70er Jahre war ein schmucklos funktionaler Zweckbau entstanden – nicht vergleichbar mit dem idyllischen Ambiente des allgemein geschätzten „Urwaldkrankenhauses“ in Sandhorst. Dieser scheußliche Kasten kam nicht sonderlich gut bei den Bürgern an.
Am Ende obsiegte die Einsicht in die Notwendigkeit und auch ein Verständnis dafür, dass ein solcher Funktionsbau für Ärzte und Pflegekräfte eine wesentliche Arbeitserleichterung darstellt. Dennoch, der Abschied vom Barackenkrankenhaus in Sandhorst empfanden vor allem die Patienten als einen Verlust.
Eine logistische Glanzleistung vollbrachte eine Woche später, am 4. Februar 1969 das Sanitätsbatallion 11 aus Leer unter der Führung des Oberfeldarztes Dr. Gerting. Dieser Verband stellte 60 Mann Sanitätspersonal und 15 Fahrzeuge für den Transport von rund 300 Patienten, die von den Baracken in Sandhorst in das neue Krankenhaus umziehen mussten. Frühstück gab es noch in Sandhorst. Pünktlich zum Mittagessen, waren alle Patienten bereits im Neubau angekommen. Im März wurde die letzte Baracke der Anlage, das Haus „Exaudi“ mit Kran, Brecheisen und Spitzhacke dem Erdboden gleich gemacht.
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