okj-Kommentar
von Jürgen Wieckmann
Ostriesland (okj) – Im Hintergrund bereiten sich die politischen Parteien auf der ostfriesischen Halbinsel langsam auf den Kommunalwahlkampf 2016 vor. Am 11. September sollen die Bürger für fünf Jahre ihre Kreistage und die Zusammensetzung der Stadt- und Gemeinderäte wählen. Traditionell wählt man hier SPD. Ostfriesland gilt seit Jahrzehnten als SPD Hochburg. Für Kritiker des SPD-Projektes „Zentralklinik Georgsheil“ dürfte interessant werden, ob sich die Machtverhältnisse nach der Kommunalwahl verschieben werden.
Doch in dieser Frage sind die Wahlmöglichkeiten für Bürger begrenzt. Im Auricher Kreistag ist die CDU in einer Art großen Koalition mit der SPD gebunden. Die Grünen im Kreistag sind in dieser Frage gespalten, obwohl aus dieser Fraktion stets die schärfste Kritik an SPD-Landrat Harm-Uwe Weber kommt. Einzig die DIE LINKE und die GFA/FDP-Gruppe sind mit unterschiedlicher Begründung einhellig gegen das Projekt.
Geschlossen aufmüpfige SPD’ler gibt es lediglich im Rat der Stadt Aurich. Diese „Abweichler“ kassieren parteiintern mitunter schweren Druck. Die Norder SPD neigt dazu, den Krankenhaus-Standort Norden schließen zu lassen und sich für Georgsheil auszusprechen. Da reibt man sich in Aurich verwundert die Augen. Sind doch gerade „die Norder“ dafür bekannt, in der Vergangenheit und oft zum Leidwesen in Aurich, um ihr Krankenhaus wie die Löwin um ihre Jungen zu kämpfen. Die SPD auf Kreisebene scheint die Genossen der Stadt Norden fest im Griff zu haben. In Emden wirkt eine Allparteien-Koalition. Lediglich Ratsherr Wilfried Graf (DIE LINKE), spricht sich für den Erhalt des Emder Klinikums aus.
Zentralklinik: ein ostfriesisches Stuttgart 21?
In einer Unterschriftensammlung haben sich mittlerweile 21167 Bürger aus Emden und dem Landkreis Aurich gegen das Projekt Zentralklinik ausgesprochen. Noch wird der wachsende Unmut in der Bevölkerung im Landkreis Aurich als Folge einer „Informationspanne“ interpretiert. Ein Schuldiger dafür ist bereits ausgemacht: Landrat Harm-Uwe Weber.
Das ist billig. Der Norder Förderverein für den Erhalt des Standortes Norden berichtete erst kürzlich, wie man hinter Kreistagsabgeordneten herlief, um sich aus erster Hand informieren zu lassen. Doch die Genossen hielten es offensichtlich nicht für nötig, sich auf den Bürgerdialog einzulassen. Jetzt wird der Bürger für dumm gehalten und verstärkt mit Reklame für die Zentralklinik bedampft.
Ein natürliches Phänomen in parteipolitischen Hochburgen ist das, was im Volksmund „Filz“ genannt wird. Wer auf der Straße Unterschriften gesammelt hat, bekam häufig ein vernichtendes Pauschalurteil über Politik und Politiker zu hören. Das meiste davon eher nicht zitierfähig. Zusammengefasst: In Sachen UEK ist den verantwortlichen Politikern das Vertrauen restlos entzogen worden. Das nur als „Informationspanne“ zu betrachten, verkennt das Problem und ist somit auf dem besten Weg, aus dem Projekt „Zentralklinik“ ein ostfriesisches „Stuttgart 21“ zu machen.
Der erwähnte Filz hinter verschlossenen Türen dürfte auch dafür verantwortlich sein, das offenkundiges Versagen der Politik beim Thema UEK-Verbund Aurich/Norden seit Jahren ohne Konsequenzen bleibt. In der SPD-Hochburg, fühlt man sich ziemlich sicher, so sicher, dass man den Bürger als uninformiert klassifiziert. Ein Job, der gerne an „PR-Profis“ abgewälzt wird, die hochbezahlt „dumme Bürger“ mit den Methoden der Werbebranche auf Linie bringen sollen. Das erinnert bisweilen fatal an Verkäufer, die Produkte verkaufen sollen, die die Menschen nicht haben wollen.
Medien und Politik: Ein immer spannungreiches Verhältnis
Beim „auf Linie bringen“ fällt der SPD-Fraktionsvorsitzende Jochen Beekhuis besonders auf – nicht nur gegenüber eigenen Genossen. Beekhuis geriet im Sommer 2013 ins Gerede, als er aus dem Hintergrund heraus mit dazu beitrug, einen kritischen Redakteur der in Aurich erscheinenden Ostfriesischen Nachrichten „aus dem operativen Geschäft“ entfernen zu lassen.
Der Redakteur war dafür bekannt, beim Thema UEK in kenntnisreicher und scharfer Form die Finger in die Wunden der hiesigen Kommunalpolitik zu legen. Das schien Beekhuis zu nerven. Doch die Schmutzarbeit dafür leistete Landrat Harm-Uwe Weber. Via eMail bestätigte dieser eilfertig seinem Genossen an der Fraktionsspitze, beim ON-Chefredakteur wegen des unliebsamen Journalisten zu intervenieren – übrigens mit Erfolg. Wegen einer technischen Datenpanne konnten Kreistagsmitglieder die eMail des Landrats mitlesen. Somit wurde der kleine Dialog zwischen Weber und Beekhuis zum Lehrstück sozialdemokratischer Einflussnahme auf Zeitungsredaktionen. Für die SPD im Kreistag eine echte Informationspanne.
Die Bürger an den Entscheidungen für eine Zentralklinik nicht einzubeziehen, ist dagegen keine Informationspanne. Es war Absicht. Eineinhalb Jahre wurden die Vorbereitungen für die Zentralklinik „hinter verschlossenen Türen“ auf den Weg gebracht, Kritiker in den Medien und eigenen Reihen so lange mundtot gemacht, bis der Eindruck entstehen konnte, die Sache sei bereits entschieden. Erst das sich in letzter Minute formierende Aktionsbündnis für den Erhalt der Krankenhausstandorte, ließ manchen Kreistagsabgeordneten dunkel ahnen, das man mit einer „Politik von oben herab“ an die Wand fahren könnte.
Mit dieser „Arroganz der Macht“ hat sich die Führungsschicht der ostfriesischen Sozialdemokratie selbst ins Abseits geschossen. Man muss naiv sein, um annehmen zu können, dass diesem Politikstil von den Bürgern noch Vertrauen entgegengebracht wird. Im wahrsten Sinne des Wortes: Der Kredit ist verspielt.
Wo ist eigentlich die CDU ?
Einen Hauch von demokratisch notwendiger Oppositionsarbeit leistete sich der CDU-Fraktionsvorsitzende im Kreistag, Hilko Gerdes. Doch letztlich ist auch Gerdes auf SPD-Kurs eingeschworen. Schließlich haben SPD und CDU gemeinsam den Landrat Weber (SPD) auf das Stühlchen gehoben. „Not amused“ ist Gerdes über die Aktivitäten aus dem „eigenen Stall“ – der ostfriesischen CDU Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung. http://www.cdu-kreistagsfraktion-aurich.de/index.php?ka=1&ska=1&idn=71
Diese positioniert sich schon seit langem gegen eine Zentralklinik – unter anderem mit echten Informationsveranstaltungen und fachlich versierten Referenten. Diese Referenten, fernab vom Klüngel sozialdemokratischer Kommunalpolitik und mit dem Blick von außen, konnten sogar anwesenden Befürwortern des Zentralklinik-Konzeptes bisweilen die Augen öffnen.
Dies unter anderem mit funktionierenden Konzepten einer de-zentralen Krankenhauslandschaft für ländliche Regionen. Auch die lassen sich nicht ohne schmerzhafte Prozesse realisieren, da sollte man sich nichts vormachen. Doch eines haben solche alternativen Modelle erkannt. Krankenhäuser in kommunaler Trägerschaft haben den Auftrag, die gesundheitliche Daseinsvorsorge ihrer Bürger zu gewährleisten. Die „Rosinenpickerei“, die sich private Träger leisten können, um finanziell lukrative Patienten abzugreifen, können und dürfen die Kommunen nicht mitmachen. Eigentlich müssten sich gerade Kommunalpolitiker mit „ihren Bürgern“ zusammenschließen und gemeinsam gegen die derzeitige Gesundheitspolitik zu Felde ziehen.
Gesamtostfriesischen Lösung? Vielleicht eine Perspektive
Das wäre ein recht dorniger Weg, der aber nur dann Aussicht auf Erfolg haben könnte, wenn im ersten Schritt nicht nur allein die Provinzposse kreisinterner Konkurrenzen zwischen Aurich und Norden ein Ende finden. Landkreisübergreifend muss begriffen werden, das hier Konkurrenz das Geschäft nicht belebt, sondern eine sich gegenseitig ruinierende Wirkung hat.
Keine geringere als Niedersachsens Sozialministerin Cornelia Rundt äußerte in ihrer Rede vor dem Landtag am 18.3.2015 ihr „Entsetzen“ über die Gesundheitspolitik vergangener Jahre. „Sehenden Auges“ würden diejenigen Leistungsangebote systematisch unterfinanziert, für die die Kommunen einen Sicherstellungsauftrag haben. Dagegen werden die Angebote gefördert, die außerhalb der kommunalen Verantwortung liegen.
Das sollten sich ostfriesische Kommunalpolitiker ins Stammbuch schreiben. An der Stelle muss man – sogar als Auricher – der AOK Niedersachsen recht geben. Deren Sprecher, Oliver Giebel, erklärte auf Anfrage der Ostfriesischen Nachrichten, dass die Investition von 1,8 Millionen Euro in den Auricher Linksherzkathetermessplatz eine unnötige Investition gewesen sei. Er verwies auf die Einrichtungen in Leer, Westerstede und Oldenburg, in denen auch Patienten aus dem Landkreis Aurich mit solchen Messplätzen ausreichend versorgt werden könnten.
Sich gegenseitig Patienten abjagen zu wollen, vor allem jene, die lukrative Krankheitsbilder mitbringen, hat nichts mehr mit der für Kommunen geltenden, Daseinsvorsorge zu tun. Dieser kommunale Sicherstellungsauftrag kann nur noch gemeinsam erfüllt werden – zusammen mit Leer, zusammen mit Wittmund und anderen.
Doch der seit Jahrzehnten im Landkreis Aurich wirkenden SPD-Kommunalpolitik kann man inzwischen unterstellen, dass ihnen der Wettbewerb gegen Leer, Westerstedte, aber auch Norden und Oldenburg, bedeutsamer erscheint, als die Versorgung der Bürger. Nichts anderes steckt letztlich hinter der Wahnsinns-Idee Zentralklinik Georgsheil. Mit der will man vor allem Leer eins auswischen. Dort sieht man derartiges gelassen, wohl wissend, dass sich der Landkreis Aurich mit diesem Vorhaben und dessen Neben- und Folgekosten finanziell übernehmen könnte.
Ärztliche Fürsorge für einen angezählten Landrat
Einfache Grundrechenarten reichen aus, um zu erkennen, dass „LA“ auf mittlere Sicht den Eigenanteil für das 250 Millionen teure „medizinische Traumhaus“ auf der Grünen Wiese nicht wird stemmen können. Weil das so ist, prognostizieren weitsichtige Haushaltspolitiker, dass spätestens im Jahr 2027 über eine Privatisierung der schicken neuen Zentralklinik gesprochen werden wird. Wenn es soweit ist, dürfte Landrat Harm-Uwe Weber schon lange nicht mehr mehr im Amt sein – die Prügel dafür werden Nachfolger einzustecken haben.
Den Abgeordneten im Kreistag erzählt man derweil, dass es vor allem diese Defizite eine Zentralklinik alternativlos machen. Das ist dreist und für Landrat Harm-Uwe Weber ein gefährliches Argument. Schließlich trägt er die politische Verantwortung für diese vor allem hausgemachten Defizite.
Doch Weber hatte mal wieder Glück. Die Fachärzte sprangen ihm mit einem durchaus nachvollziehbaren medizinischen Konzept medial zur Seite. Allerdings konnte man sich dabei nicht ganz des Eindrucks entziehen, das einem nahegelegt werden sollte, dass wir ohne Zentralklinikum in Ostfriesland demnächst auf das Niveau der medizinischen Daseinsvorsorge in Timbuktu zurückfallen.
Vor dieser eher absurden Drohkulisse, knickte dann auch Heiko Gerdes ein – lange Zeit vehementer Verfechter einer ostfriesischen Krankenhauslandschaft, die den Erhalt wohnortnaher Häuser und ein Kooperationsmodell mit den Landkreisen Wittmund und Leer im Fokus hatte – mit verteilten Kompetenzen.
Das diese dankend ablehnen, versteht sich fast von selbst. Dort wäre man schließlich mit dem „Klammerbeutel gepudert“, würde man sich mit dem Landkreis Aurich zusammentun und damit unweigerlich direkt oder indirekt an den Verlusten beteiligt werden. Wer nicht einmal in der Lage ist, die kreisinterne Konkurrenzsituation Aurich/Norden in die Schranken zu weisen, hat sich als Partner für gesamtostfriesische Kooperationsmodelle schlichtweg diskreditiert.
Eine Ausgangslage, die man als fast aussichtslos kennzeichnen könnte. Das sieht wohl auch der Landrat Weber so, denn anders lässt sich der kommunalpolitische Amoklauf „Zentralklinik“ kaum noch erklären. Mit aller Macht soll gegen den erklärten Willen der meisten Bürger dieses Projekt durchgesetzt werden. Soviel Ignoranz ist mutig.
Medizinisches Traumhaus für private Betreiber?
Schlimmer jedoch ist, das Weber und seine Mitstreiter wohl nicht begreifen wollen, dass sie damit das Risiko eingehen, jener Privatisierung Tür und Tor zu öffnen, die sie ständig als Drohkulisse aufbauen. Ein Risiko, was nicht nur allein den Landkreis Aurich betreffen könnte, sondern die gesamte Region – mit einem ruinösen Wettbewerb zwischen kommunalen Krankenhäusern und privaten Krankenhausketten.
Es ist fast schon eine Gewissheit, dass Landkreis Aurich, ohnehin schon überschuldet, seinen Anteil am Projekt Zentralklinik auf mittlere Sicht nicht bezahlen kann. Auf diesen Moment warten Ketten wie Helios, Asklepios, Fresenius und Co. Aurichs Bürgermeister Heinz-Werner Windhorst wagte bereits die Prognose, das diese schon bei der Grundsteinlegung in Georgsheil zugreifen könnten. Geschieht das, wird das zwangsläufig die Krankenhäuser benachbarter Kommunen in Leer und Wittmund in die ökonomische Enge treiben. Ostfriesland ist schließlich ein hoch lukrativer Gesundheitsmarkt.
Das letzte Wort haben die Bürger
Bei all dem bleibt dem Bürger letztlich nur die Hoffnung, dass der SPD-Filz in der Region einen angemessenen Dämpfer verpasst bekommt – im urdemokratischen Sinne, der Macht nur auf Zeit vergibt. Das ist eine sinnvolle Idee, auch wenn sie von aktuell wirkenden Machthabern (gleich welcher politischen Farbgebung) ungern gehört wird. Dem bekanntermaßen wortgewaltigen CDU-Fraktionsvorsitzenden im Kreistag wäre an dieser Stelle zu empfehlen, sich beispielsweise durch die MIT in effektiver Oppositionsarbeit weiterbilden zu lassen. Ob diese Lehrstunden fruchten werden, bleibt abzuwarten.
Abgerechnet wird am 11. September 2016 – 18 Uhr. Die Zeiten ändern sich, die Bürger geben eben nicht mehr nur allein ihre Stimme bekreuzigend in einer Urne ab (ein Gefäß, welches bekanntlich bei Beerdigungen verwendet wird), sondern werden sie zunehmend erheben. Und das ist für die politische Kultur in unserer Region eine gute Perspektive.
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