okj-Kommentar
von Margitta Schweers
Auf der ostfriesischen Halbinsel soll eine Zentralklinik aus dem Boden gestampft werden. Dafür sollen drei Krankenhäuser in Emden, Norden und Aurich weichen. Dagegen bildet sich derzeit immenser Widerstand in der Bevölkerung. Zwischen Kommunalpolitikern und Bevölkerung entwickeln sich Streitgespräche – quasi in letzter Minute, denn nach Plan waren die internen Abstimmungsprozesse so gut wie abgeschlossen.
Nach eineinhalb Jahren ”Planungsvorlauf” sahen sich Landkreis Aurich und die Stadt Emden offiziell genötigt, eilig mit sogenannten ”Informationsveranstaltungen” in den betroffenen Städten, den widerspenstigen Bürgern die schöne neue Medizinwelt zu beschreiben und eine Zentralklinik als einzigen Ausweg darzustellen. Es wurde dort der Eindruck vermittelt, dass die medizinische Versorgung der Bevölkerung den Bach runter gehen wird, wenn diese – mindestens 250 Mio. € teure – Zentralklinik nicht kommt.
Hochemotionale Strategie bei den Befürwortern
Streckenweise wurde auch nicht davor zurückgeschreckt, den Kritikern vorzuwerfen, dass ihnen die ”hochwertige medizinische Versorgung” der Bürger egal sei – sie am Ende auch dafür verantwortlich wären, wenn eine Privatisierung käme. Mit dieser, nicht ganz fairen Emotionalisierung, konnten die Befürworter durchaus auch Punkte sammeln.
Dies alles wirkte wie eine Flucht nach vorne und diente Klinikleitungen und führenden Kommunalpolitikern eher als Entschuldigung, verschleierte die Versäumnisse und Fehlentscheidungen der Vergangenheit. Das braucht niemanden zu verwundern, gehört es doch zu den üblichen Reaktionen im politischen Alltagsgeschäft.
Sträflich ist ist allerdings, dass es zum Projekt ”Zentralklinik” keinen ”Plan B” gibt. Was sich Landrat Harm-Uwe Weber und der Emder Oberbürgermeister Bernd Bornemann an Landeszuschüssen erträumen, sprengt den Etat des Sozialministeriums von rund 120 Millionen Euro für alle in Niedersachsen zu fördernden Krankenhäuser. Dort dürfte man sich bei den Ostfriesen ”bedanken”, wenn diese sich nun beim Abgreifen von ”Staatsknete” kräftig bedienen wollen, statt zunächst einmal ihre Strukturen zu optimieren. Das wird von anderen auch verlangt, mit Recht.
Eines hat die öffentliche Diskussion zur Zentralklinik allerdings erreicht. ”Weitermachen wie bislang” geht nicht – eine Lösung muss her. Doch die kann und darf nur gemeinsam verfolgt werden. Dies verlangt Entscheidungskraft und Durchsetzungswillen.
Medizinisches Traumhaus Zentralklinik
Statt dessen kam plötzlich und unerwartet ein weiterer Gutachter um die Ecke und malte in dunkelsten Farben das Ende medizinisches Welt in Ostfriesland. Am Ende des schwarzen Moloches erstrahlte die goldene Welt eines Zentralklinikums.
Die Protagonisten dieses Märchens, entschlossen sich wegen der Dramaktik der Situation für das goldene Märchenschloss. Die böse Gutachterfee weihte selbige in diverse Tricks ein. Diese waren leicht durchschaubar.
Man begutachtete den Status quo dreier defizitär geführter Krankenhäuser, summierte diesen ”Ist-Zustand” und schon hatte man gute Argumente für eine Zentralklinik. Das kriegt auch ein Praktikant hin.
Miteinander statt gegeneinander
Jedem fällt sofort auf, dass es an Untersuchungen zum Potential vor Ort fehlt, der alles entscheidenden Frage, wie man aus diversen unwirtschaftlichen, aber dennoch mehrfach vorhandenen Strukturen vernünftige und wirtschaftliche Einheiten in einem Verbund machen kann. Hieße dann praktisch, alle drei Standorte werden optimiert, modernisiert und medizinisch abgestimmt unter einer Zentralverwaltung geführt. Das mit allen daraus erwachsenden Vor- und Nachteilen – allerdings unter der Voraussetzung, miteinander zu arbeiten und nicht, wie gewohnt, gegeneinander.
Was dem ”gesunden Menschenverstand” gleich auffiel, blieb in dem BDO-Gutachten unbeantwortet. Nämlich die Frage, welches Wunder hier zugrundeliegt, um drei kranke Krankenhäuser zusammenzulegen und sich davon Heilung zu versprechen.
Bislang stellt sich die Machbarkeitsstudie dar, als würde einzig auf die Zentralklinik hingearbeitet werden. Dies allerdings mit unbelegten Zahlen, sämtliche Quellenangaben und Berechnungen fehlen in der Machbarkeitsstudie. Es soll ein Zentralkonzept mit aller Macht durchgedrückt werden. Welcher Kreistagsabgeordnete, welches Ratsmitglied, welcher Kommunalpolitiker kann auf dieser Grundlage weiterführende Entscheidungen für das Volk treffen?
Zu viel hausgemachte Probleme
Die Landesregierung (die nach NKHG planungsbeteiligt ist) wird sich diese Frage sicher auch stellen und darauf drängen, die bekannten hausgemachten Probleme in den Griff zu bekommen – und zwar bevor man mit dem Geld der Steuerzahler höchst risikoreiche Neubaukonzepte verfolgt. Aktuelle Aussagen der niedersächsischen Sozialministerin Cornelia Rundt weisen ohnehin in eine andere Richtungen, nämlich für eine wohnortnahe Versorgung in ländlichen Regionen.
Im Landkreis Aurich scheint das allerdings noch nicht angekommen zu sein.
Hier will man die Krankenhäuser schließen, die nahe bei den Menschen sind und eine Großklinik auf die grüne Wiese bauen. Bestehendes ist plötzlich nichts mehr wert, wird sogar noch schlecht gemacht!
Ruinöse Konkurrenzsituation?
Durch den Bau eines Zentralklinikums will man natürlich mit Nachbarkommunen in Konkurrenz treten. Aurichs Bürgermeister Heinz-Werner Windhorst machte dies auf der Auricher Infoveranstaltung zur Zentralklinik mehr als deutlich. Mit der Zentralklinik werde auf mittlere Sicht ein ruinöser Konkurrenzkampf eröffnet, den die Kommunen nicht gewinnen können. Private Investoren stehen bereits vor der Tür.
Statt nun durch den Bau eines Zentralklinikums mit den Nachbarkommunen zu konkurrieren, sollte man sich lieber im Interesse der kommunalen Daseinsfürsorge mit Westerstede, Oldenburg, Sande, Wittmund und Leer abstimmen. Ko-operieren und sich zusätzlich spezialisieren, um gleichzeitig die Grund- und Regelversorgung wohnortnah zu ermöglichen. Man sollte die Fachärzte vor Ort, die Therapeuten, die Hebammen, die Sanitätshäuser mit einbinden in ein grosses Konzept. Keine Illusion – sondern machbar, wie das Beispiel anderer Regionen eindrucksvoll belegen kann.
Ist das DRG-System wirklich nur eine Falle oder bietet es Möglichkeiten?
Keine Frage, der medizinische Fortschritt hat mittlerweile hochspezialisierte Fachbereiche hervorgebracht. Doch im ärztlichen Alltag überwiegen noch immer die ”Bagatellkrankheiten”. Genau jener ”medizinische Kleinkram”, der als solcher im DRG-System strukturell unterfinanziert ist. Das wird von der Ärzteschaft generell bestätigt, sogar als Grund für eine Zentralklinik angeführt. Doch bundesweit gibt es Kommunen, die mit ihren Krankenhäusern trotz DRG-System ökonomisch vertretbar agieren – sogar solche, die schlechter dastehen, als Ostfriesland.
Woran das liegt, lässt sich erklären. Trotz aller Widrigkeiten, die niemand verleugnen kann, zeigt man woanders den Willen zur Gemeinsamkeit, verliert den Patienten nicht aus den Augen, rauft sich auch mal zusammen – und ist damit sogar erfolgreich. Wieso klappt das hier nicht?
Man kann es drehen und wenden, wie man will. Das Zentralklinik-Konzept in ländlicher Region, wie Ostfriesland, ist für die Grund- und Regelversorgung höchst bedenklich. Damit wird für den Grossteil der Bürger Zentralörtlichkeit und Wohnortnähe aufgegeben.
Gerade darauf sind die Menschen angewiesen. In Ballungszentren und Großstädten mag eine Zentralklinik sinnvoll erscheinen, doch im weitläufigen Ostfriesland ist eine andere Krankenhaus-Landschaft erforderlich. Wer in der ländlichen Region die Grund- und Regelversorgung nur noch durch eine ambulante Versorgung durch die Fachärzteschaft ”anbietet”, der geht unweigerlich das Risiko ein, dass die Versorgungslücken im ”Großraum Ostfriesland” nicht mehr geschlossen werden können. Eine Zentralklinik hinterlässt viele weisse Flecken auf der Versorgungs-Landkarte.
Da Land Niedersachsen und Kassen das „Modell Fusion“ bevorzugen dürften, wird in den nächsten Jahren ein Fusionierungsplan notwendig sein. Dieser wird das Ziel zu verfolgen haben, alle drei beteiligten Krankenhäuser dafür fit zu machen. Dabei muss natürlich beachtet werden, dass die Krankenhäuser in Emden, Aurich und Norden nicht unter anwachsenden Konkurrenzproblemen in die Knie gezwungen und auch künftig untereinander konkurrenzfreier werden.
Zu beachten ist bei den fälligen Fusionsplänen, dass an allen Standorten ein grosser kommunaler Arbeitgeber dahintersteht. Jeweils mit äusserst attraktiven Arbeitsplätzen, die es zu erhalten gilt. Ärzte und Pflegepersonal, die ständig am Limit ihrer Kräfte stehen, sind für Patienten nicht ungefährlich, mal unabhängig von der Wertschätzung, die diesen Sozialberufen gebührt. Unnötig zu erwähnen, dass auch dem Patienten die gebührende Wertschätzung gezollt werden muss!
Kommt das dicke Ende noch?
Eine weitere provokante Frage muss natürlich auch gestellt werden – eine, die im Sozialministerium sicher interessierte Zuhörer finden wird.
Was passiert eigentlich mit den bisher für die kommunale Daseinsfürsorge geleisteten Fördergeldern? Diese wurden in der Vergangenheit für medizinische Daseinsvorsorge zweckgebunden gewährt. Unmengen an Fördergeldern wurden verbraten. Diese Invesitionen werden natürlich anderen Nutzungen zugute kommen, wenn die Häuser geschlossen werden. Nutzniesser der bisherigen Gebäude sind somit andere Sparten – auf keinen Fall mehr Gesundheitssparten.
Ist dabei wirklich auszuschließen, dass dem Landkreis Aurich eine Rückzahlungspflicht gewährter Förderungen droht? In Norden sucht man bereits seit 2012 nach geeigneten Gebäuden, um kommunale Einrichtungen wie Jobcenter oder Sozialamt an einem Ort zusammenzulegen. Dafür bietet sich der frei werdendende Gebäudekomplex ”Krankenhaus Norden” natürlich an. Landrat Weber sprach auf den Infoveranstaltungen ja bereits darüber. Jede Investition, die dort getätigt wurde und noch getätigt werden wird, dürfte verschärft auf ihre Zweckgebundenheit überprüft werden.
Vermehrt werden notwendige Beihilfen angefochten, wenn sie die Ausrichtung der Vorsorge am Bedarf missachten. Investitionen in bestehende Häuser, die schon mit Blick auf eine künftige Nachnutzung getätigt werden, könnten also kritisch werden. Das zumindest erklärte Dr. Harald Groth auf dem Delmenhorster Internetblog ”Rettet unsere Krankenhäuser”
Gesetzt den Fall, dass gewährte Förderungen und Beihilfen angefochten werden, könnte das schnell zu gewaltigen finanziellen Problemen führen.
Dann blieben wohl nur noch panikartige Verkäufe. Das Ergebnis: eine zerstörte Grund- und Regelversorgung des Bürgers und die geplatzte Idee von einem medizinischen Traumhaus, genannt ”Zentralklinik”.
Das Fazit
Dies alles verlangt, dass die Kommunalpolitik, gemeinsam mit den Bürgern, den Ärzten, dem Pflegepersonal, zusammen ein gesellschaftlich akzeptiertables Zukunftskonzept für die Kliniken in Emden, Aurich und Norden erarbeitet, inklusive medizinischer Versorgungszentren. Dafür dürfte es dann auch Fördergelder geben, nicht so viele wie erträumt, aber eine wesentliche Bedingung des Landes Niedersachsen wäre damit erfüllt. Geld gibt es nämlich nur, wenn auch die gesellschaftliche Akzeptanz gegeben ist. Davon ist man in Ostfriesland noch Lichtjahre entfernt.
Ein starker Krankenhaus-Verbund auf der ostfriesishen Halbinsel wird bis zu einer Vollendung sicher Jahre dauern. Also reden wir über eine mittel- bzw. langfristige Lösung, um ein gemeinsames Ziel zu verfolgen. Derartiges ist nur mit qualifizierten Fusionsberatern möglich. Deshalb muss jetzt die Zeit genutzt werden, um strukturelle und medizinische Erfordernisse zu optimieren und die stetig angewachsenen Schulden mit einer Art ”Notbremse” zu stoppen. Das wird kein ”Waldspaziergang”.
Erforderlich dazu ist vor allem ein politischer Wille zur Gemeinsamkeit.
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