4,7 Mio. € Verlust verbucht das Emder Klinikum für das Jahr 2014. Emdens Erster Stadtrat Horst Jahnke forderte deshalb die Kritiker einer Zentralklinik in Georgsheil zum Umdenken auf. Der Rekordverlust sei ein Beweis dafür, dass das Emder Krankenhaus geschlossen werden müsse. Gleiches gelte auch für die wohnortnahen Krankenhäuser in Aurich und Norden. Deren Verluste lagen 2014 bei rund 10 Mio. €.
Während im Landkreis Aurich die Defizite eher auf Versagen von Politik und Management zurückzuführen sind, ist das Emder Klinikum, als vergleichsweise kleines Haus, eher Opfer eines Gesundheitswesens, welches sich mehr zu einer Gesundheitsindustrie entwickelt hat. Dem Emder Stadtrat und anderen am Thema Interessierten, empfiehlt das Ostfriesische Klinik Journal (okj) deshalb das bereits im vergangenen Jahr bei Suhrkamp erschienene Taschenbuch Geschäftsmodell Gesundheit – Wie der Markt die Heilkunst abschafft.
Auf 164 Seiten legt kein geringerer als Professor Giovanni Maio, Inhaber des Lehrstuhls für Medizinethik an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg, dar, wie das vorherrschende ökonomische Denken auch die innere Einstellung der Heilberufe langsam verändert hat. Nach dem Vorbild industrieller Produktion, verliere sich zunehmend der Blick auf den Kranken Menschen. Als Arzt mit langjähriger klinischer Erfahrung ist Maio mittlerweile gefragtes Mitglied zahlreicher Ethikkommissionen, in denen er sowohl die Bundesregierung als auch Bundesärztekammer und die Deutsche Bischofskonferenz beraten hat und weiterhin berät.
Verlust des Vertrauens in die Medizin
Landrat Harm-Uwe Weber wie auch Emdens Oberbürgermeister Bernd Bornemann (beide SPD) würden heute vielleicht anders agieren, hätten sie sich, statt von der BDO, vom Professor aus Freiburg beraten lassen. Allerdings: Für 8.99 € könnten sie sich Maio’s Buch in der nächsten Woche beschaffen.
Wir empfehlen, dieses nicht über das Internet, sondern bei einem ortsansässigen Buchhändler zu bestellen.
Eigentlich reicht es schon die Überschriften der insgesamt zehn Kapitel zur Kenntnis zu nehmen. Eine praktische Folge der ökonomisierten Medizin sei unter anderem „Wettbewerbsfähigkeit als neues Qualitätskriterium“, schreibt Maio. Diese trage zur „Entsolidarisierung von den Schwächsten“ bei und betreibe eine „subtile Disziplinierung der Ärzte durch die Kostenträger“. Ärzte würden innerlich umprogrammiert, bis zur „Sinnentleerung ärztlicher Tätigkeit“.
Dabei gehört Giovanni Maio nicht etwa zu jenen, die nicht sehen wollen, dass ökonomisches Denken in der Medizin notwendig ist. Doch die Ökonomie habe sich von einem dienenden zum bestimmenden Faktor entwickelt – mit fatalen Folgen. Der Patient wird zum Kunden, das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient sei zu einem Vertragsverhältnis geworden.
Die auf den Punkt und schlagwortartig geschriebenen Überschriften auf SMS-Länge laden jedenfalls zum Lesen ein. Maio verzichtet dabei auf jedwede Form des „Politiker-Sprech“ oder dem hinlänglich bekannten Fachchinesisch sogenannter Experten.
Nach der Lektüre könnte man glatt den Eindruck haben, die sprachlichen Verhunzungen solcher Kreise seien Absicht, so dass wirklich niemand versteht, was mit medizinischem Personal und in der Folge natürlich auch den Patienten wirklich gemacht werden soll.
Kommunalpolitik als Exekutiv-Organ eines kranken Gesundheitswesens?
Natürlich: der Erste Stadtrat aus Emden, vor allem, wenn er auch noch der Kämmerer der Stadt ist, steht – wie alle Kommunalpolitiker – mit dem Rücken an der Wand. Die Sachzwänge der Ökonomisierung im Gesundheitswesens wird niemand verleugnen können. Allerdings – und das ist hier die Crux: statt das Aktionsbündnis zum ökonomisierten Umdenken drängen zu wollen, sollten eher die Verantwortungsträger mit dem Umdenken anfangen.
Derzeit agieren sie allerdings nur als Exekutiv-Organe, die die Fehlentwicklung im Deutschen Gesundheitswesen auf regionaler Ebene durchdrücken wollen. Erstaunlich nur, dass sich dieser Personenkreis wundert oder „not amused“ ist, dass sich die Bevölkerung gegen diese „Top-Down-Strategie“ zur Wehr setzt . Die Bürger die gewählten Volksvertreter am liebsten zum Teufel jagen würde. Doch wer will es den Menschen verübeln, wenn sie (noch hinter vorgehaltener Hand) bisweilen sogar aggressiv auf hiesige Politiker reagieren.
Die Auseinandersetzungen zum Thema „Zentralklinik“ könnten auch anders verlaufen. Zum Beispiel, wenn Landräte, Bürgermeister oder (nicht nur) Chefärzte, das Pflegepersonal, unter Umständen auch Geschäftsführer der Krankenhäuser – und wahrlich nicht zuletzt – sich die Bürger und Patienten gemeinsam gegen eine fehlgeleitete Gesundheitspolitik zur Wehr setzen würden. In Ostfriesland ist es dagegen derzeit sogar möglich, das ein unter SPD-Einfluss stehender Betriebsrat (UEK/HSK) in vorauseilendem Gehorsam einer mit orwellscher „Neusprech-Manier“ erklärten „sozialverträglichen Entlassung“ der Mitarbeiter zustimmt.
Wer hat uns verraten…
Unweigerlich taucht da wieder ein mittlerweile über 100 Jahre alter Spruch auf: „Wer hat uns verraten – Sozialdemokraten“. Für das medizinische Personal, welches übrig bleibt, dürfte die Entlassung der Kollegen jedenfalls nicht „sozialverträglich“ sein. Für sie wird sich der Arbeitsdruck unweigerlich erhöhen.
Giovanni Maio’s Büchlein sei deshalb auch der hiesigen Sozialdemokratie empfohlen. Leicht verständlich geschrieben, dürften auch schlichte Gemüter verstehen, um was es in Wahrheit geht – im Gegensatz zu kryptischen Gutachten aller Art. Die Lektüre könnte hilfreich sein, um dem notwendigen Umdenken den Weg zu bereiten. Für den geschätzten Ersten Stadtrat aus Emden seien aus gegebenen Anlass die bibliographischen Daten der lesenswerten Publikation übermittelt.
Maio, Giovanni; Geschäftsmodell Gesundheit – Wie der Markt die Heilkunst abschafft: Suhrkamp Taschenbuch 4514, Broschur, 164 Seiten, erschienen: 20.10.2014, D: 8,99 €
ISBN: 978–3‑518–46514‑1
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