okj-Kommentar
von Jürgen Wieckmann
Mit eingeübter Routine verabschiedete der Auricher Kreistag am gestrigen Dienstag 48 Tagesordnungspunkte. Von „Schulentwicklungsplan“ über „Ausweisung einer Linde als Naturdenkmal“, „Änderung des Trägerschaftsvertrages Zentralklinik“ bis hin zur Gebührenkalkulation im Teilbereich Fäkalschlamm-Entsorgung.
Auch kommunale Parlamente sind „Arbeitsparlamente“. Was dort vorausbestimmbar glatt abgenickt wird, ist zuvor in diversen Ausschüssen erarbeitet und eingetütet worden. Eine Kreistags-Sitzung ist letztlich nichts weiter als eine Art „Ratifizierung“ bereits ausgehandelter Beschlüsse. Entsprechend bieten Kreistagssitzungen in der Regel keine Überraschungen. Für Zuhörer eine eher unspektakuläre und bisweilen sogar recht öde Veranstaltung.
Linke führt CDU und SPD-Fraktion vor
Eine kleine Sensation bot diesmal allerdings der Antrag der Kreistagsabgeordneten Blanka Seelgen (DIE LINKE). Ihre Fraktion beantragte, der Kreistag möge einen Aufruf des Vereins „Mehr Demokratie“ für „faire Bürgerentscheide in Niedersachsen“ unterstützen. Für den Kreistag wäre dies natürlich nicht viel mehr als eine Art Lippenbekenntnis gewesen – ohne Auswirkung auf die in Niedersachsen geltenden Rechtsnormen zum Verfahren Bürgerbegehren und Bürgerentscheid.
http://www.mehr-demokratie.de/nds_faire_buergerentscheide.html
Demokratischer Offenbarungseid ?
Doch gemeinschaftlich lehnten SPD und CDU diesen Antrag mit Mehrheit ab.
Dafür votierten lediglich die Freien Wähler, die Grünen, die GFA, FDP und die Fraktion der Linken. Auch wenn es in Parlamenten eine klassische Übung ist, einen durchaus sinnvollen Antrag nur deshalb abzulehnen, weil er von der ”falschen Partei” kommt, so hat der Kreistag mit seiner Mehrheit von CDU und SPD eine Entscheidung getroffen, die offenbart, was beide Fraktionen von Bürgerbeteiligung halten. Nämlich nichts. Das jedenfalls ist das mit dieser Abstimmung als parlamentarischer und somit ernst zu nehmender Vorgang in offener Abstimmung dokumentiert worden.
Das ist insofern bedeutsam, weil der SPD-Bundestagsabgeordnete Johann Saathoff Mitte des Jahres mit persönlichem Einsatz und wohl auch ehrlichen Herzens versucht hatte, die etwas verunglückten Ansagen des SPD-Fraktionsvorsitzenden Jochen Beekhuis wieder einzufangen. Dieser hatte erklärt, dass ein Bürgerbegehren nichts nützen werde, da das Projekt Zentralklinik alternativlos sei.
Nach Intervention durch Saathoff, bemühten sich die Sozialdemokraten fast schon kampagnenmäßig den Bürgern zu versichern, dass es gerade auch die SPD sei, die sich schon immer für mehr Bürgerbeteiligung eingesetzt habe. Dies gehöre zur Tradition der SPD und selbstverständlich begrüße man das Engagement der Bürger. Offen bleibt nach dieser Abstimmung, von welcher SPD Saathoff wohl gesprochen haben mag. Die SPD-Fraktion im Auricher Kreistag wird er wohl nicht gemeint haben können.
Kreistag lehnt Bürgerbefragung ab
Seelgen legte in weiser Voraussicht eines solchen Abstimmungsverhaltens einen zweiten Antrag nach. Unter der Überschrift „Die Bevölkerung mitnehmen – Bürgerbefragung zur Zentralklinik durchführen“ sollte der Kreistag die Verwaltung mit einer zeitnahen Durchführung einer Bürgerbefragung zur geplanten Zentralklinik in Georgsheil beauftragen. Im Gegensatz zu einem Bürgerbegehren oder gar Bürgerentscheid, hat eine solche Bürgerbefragung keine formaldemokratische Bedeutung. Es handelt sich lediglich um eine Art „amtliche Meinungsumfrage“, die für die politischen Gremien keine bindende Wirkung hat. Doch auch hier lehnten CDU und SPD mit ihrer Mehrheit den Antrag ab.
Kreistagsabgeordnete, die dem Vorhaben Zentralklinik kritisch gegenüber stehen, berichteten am Rande der Sitzung, das CDU und SPD derzeit beabsichtigen, mit ihrer Mehrheit im Kreisausschuss, das Bürgerbegehren zu verhindern. Einen ersten Vorstoß in diese Richtung hatte der CDU-Fraktionsvorsitzende Hilko Gerdes bereits verlautbaren lassen. Er bezichtigte das Aktionsbündnis mit Unwahrheiten und falschen Zahlen zu operieren.
Juristische Zermürbunstaktik ?
Mit einer solchen Einschätzung ist im Prinzip der Rechtsweg vorgezeichnet, der bis zum Oberlandesgericht in Lüneburg reichen könnte. Spätestens dort dürfte das Urteil zugunsten des Aktionsbündnisses ausfallen.
Doch darum geht es dann gar nicht mehr. Das Ziel eines solchen Verfahrens ist, das Bürgerbegehren unter Ausschöpfung aller juristischen Spitzfindigkeiten soweit wie möglich herauszuzögern. Das kann ein bis zwei Jahre in Anspruch nehmen – mit nicht unerheblichen Kosten die dabei zwangsläufig entstehen.
Allen im Kreistag dürfte klar sein, dass ein Bürgerbegehren und daran anschließender Bürgerentscheid das Projekt Zentralklinik mit hoher Wahrscheinlichkeit kippen wird. Deshalb kann man davon ausgehen, dass so ziemlich alles versucht werden wird, es gar nicht erst soweit kommen zu lassen.
Allerdings – am 11. September 2016 ist in Niedersachsen Kommunalwahl. Mit ihrem Abstimmungsverhalten im Kreistag haben SPD und CDU jedenfalls offenbart, welchen Weg sie möglicherweise einzuschlagen gedenken. Selten ist auf parlamentarischer Ebene in dieser Deutlichkeit dokumentiert worden, was eine Mehrheit dort in der politischen Alltagspraxis von der oft beschworenen Bürgerbeteiligung hält.
Im Wortlaut:
Anträge ”DIE LINKE im Kreistag”
Faire Bürgerbegehren unterstützen
Bürgerbefragung zur Zentraklinik
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