Ostfriesisches Klinik Journal

Für den Erhalt wohnortnaher Krankenhäuser

Ärzteverein fordert radikale Reform der Krankenhausfinanzierung

Verein demokratischer ÄrzteBerlin/Maintal (okj) – Anders als in ande­ren Län­dern wer­den in Deutsch­land Kran­ken­häu­ser kom­plett über Fall­pau­scha­len finan­ziert. Von die­sen Ein­nah­men müs­sen Betriebs­kos­ten und zum Teil auch die Inves­ti­tio­nen auf­ge­bracht wer­den. Die­se Öko­no­mi­sie­rung von Gesund­heit stellt Ärz­tin­nen, Ärz­te und Pfle­ge­be­schäf­tig­te vor die Ent­schei­dung, gegen ihr Berufs­ethos zu ver­sto­ßen. Pfle­ge­kräf­te bezah­len dafür mit immenser Arbeits­ver­dich­tung und Stress, Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten mit ihrer Gesund­heit.

Nad­ja Rako­witz, Lei­te­rin der Geschäfts­stel­le des Ver­eins demo­kra­ti­scher Ärz­tin­nen und Ärz­te, sagt im Inter­view, wes­halb die Kran­ken­haus­fi­nan­zie­rung radi­kal geän­dert wer­den muss.

okj über­nimmt die­ses Inter­view im Wort­laut von den Sei­ten Die Lin­ke im Bun­des­tag.

 

Wortlaut

Der Ver­ein demo­kra­ti­scher Ärz­tin­nen und Ärz­te for­dert eine „radi­ka­le Reform der Kran­ken­haus­fi­nan­zie­rung“. Was ist Ihre Kri­tik an der der­zei­ti­gen Finan­zie­rung durch Fall­pau­scha­len?

Nad­ja Rako­witz: Nur in Deutsch­land müs­sen – anders als in ande­ren Län­dern – die gesam­ten Betriebs­kos­ten und teil­wei­se auch Inves­ti­tio­nen über Fall­pau­scha­len finan­ziert wer­den. Die Kran­ken­häu­ser müs­sen – unab­hän­gig von ihrer Trä­ger­schaft – auf dem Markt gegen­ein­an­der kon­kur­rie­ren. Betriebs­wirt­schaft­lich rich­tig han­delt das Kran­ken­haus, das lukra­ti­ve Kran­ken­haus­be­hand­lun­gen aus­wei­tet, defi­zi­tä­re ver­mei­det und an den Aus­ga­ben (also vor allem am Per­so­nal) spart.

101209-nadja-rakowitz-553x311Bis­her war im sta­tio­nä­ren Sek­tor die Bezie­hung von Arzt/Pflegekraft zum Pati­en­ten rela­tiv frei von öko­no­mi­schen Ein­flüs­sen. Bei einem Preis­sys­tem wie den Fall­pau­scha­len regie­ren die öko­no­mi­schen Über­le­gun­gen mas­siv in die Behand­lung hin­ein.

Was darf über­haupt noch gemacht wer­den? Wer wird noch behan­delt? Ist es kos­ten­güns­tig? Wel­che Unter­su­chun­gen muss ich weg­las­sen oder zusätz­lich machen, damit ich den von den Kas­sen bezahl­ten Preis nicht über­schrei­te, bzw. einen höhe­ren Preis erhal­te – alles Über­le­gun­gen, die mit dem Wohl des Pati­en­ten und dem medi­zi­nisch oder pfle­ge­risch Not­wen­di­gen rein gar nichts zu tun haben. Denn finan­zi­el­le Steue­rung ist blind gegen­über Qua­li­tät.

Wie wirkt sich die Öko­no­mi­sie­rung auf die Arbeits­be­din­gun­gen der Ärz­tin­nen und Ärz­te aus?

KasseNad­ja Rako­witz: Die Ärz­te sit­zen in die­sem Sys­tem „an der Kas­se“ – ob sie das wol­len oder nicht. Ohne ihre Dia­gno­se bzw. Indi­ka­ti­ons­stel­lung gibt es kei­ne Fall­pau­scha­len und damit kein Geld für die Kran­ken­häu­ser. Das bedeu­tet, ihr ärzt­li­ches Tun wird sys­te­ma­tisch bzw. struk­tu­rell auch bestimmt durch öko­no­misch-betriebs­wirt­schaft­li­ches Kal­kül. Die Ärz­te des vdää sagen es offen: „In deut­schen Kran­ken­häu­sern fin­det sys­te­ma­tisch Kör­per­ver­let­zung statt, wenn ope­riert wird, obwohl es medi­zi­nisch nicht not­wen­dig wäre.“ Damit gera­ten die­ses Kal­kül und das pro­fes­sio­nel­le Ethos sehr oft in Wider­spruch.

Sie mei­nen, Ärz­tin­nen und Ärz­te haben kei­ne Wahl?

Nad­ja Rako­witz: Hier gibt es zwar indi­vi­du­ell durch­aus Hand­lungs­spiel­räu­me: Sicher han­delt man anders, wenn man einen Arbeits­ver­trag mit leis­tungs­ab­hän­gi­gem Ein­kom­mens­an­teil unter­zeich­net hat, denn dann hän­gen Ein­kom­men und Fall­zah­len oft unmit­tel­bar zusam­men. Aber auch wenn das nicht der Fall ist, kom­men Ärz­te nicht aus die­ser fal­schen Logik her­aus. Wenn Ärz­te pos­tu­lie­ren, ihren Beruf gemäß ihrem Berufs­ethos aus­üben zu wol­len, müs­sen sie als Kon­se­quenz for­dern, die Öko­no­mi­sie­rung der Kran­ken­häu­ser rück­gän­gig zu machen. Dazu gehört not­wen­dig die Abschaf­fung der Fall­pau­scha­len als Finan­zie­rungs­in­stru­ment.

Fot Ärzteblatt

Und wie steht es mit den Arbeits­be­din­gun­gen der Pfle­ge­kräf­te?

Nad­ja Rako­witz: Da es kei­ner­lei gesetz­li­che Vor­ga­ben für die Per­so­nal­be­mes­sung mehr gibt und da die Ärz­te „an der Kas­se sit­zen“, wird an der Pfle­ge unKrankenschwesterd den ande­ren nicht­ärzt­li­chen Berufs­grup­pen gespart. Mehr Pati­en­ten mit kür­ze­rer Ver­weil­dau­er wer­den von weni­ger Pfle­gen­den ver­sorgt. Es hat eine unglaub­li­che Arbeits­ver­dich­tung statt­ge­fun­den – auf dem Rücken der Pfle­gen­den und der Pati­en­ten.

Und genau so wie den Ärz­ten geht es den Pfle­gen­den so, dass sie ihren Beruf nicht mehr gemäß ihrem pro­fes­sio­nel­len Ethos aus­üben kön­nen. Abhil­fe kann hier nur mehr Per­so­nal schaf­fen. Des­halb ist der Streik an der Cha­ri­té für mehr Per­so­nal so wich­tig gewe­sen. Denn das war im Kern ein Kampf gegen die Fall­pau­scha­len-Logik; die wäre näm­lich mit einer gesetz­lich fest­ge­leg­ten Per­so­nal­be­mes­sung von innen so aus­ge­höhlt, dass sie ihre Wirk­mäch­tig­keit für die Pro­zes­se größ­ten­teils ein­bü­ßen wür­de.

Um der Öko­no­mi­sie­rung etwas ent­ge­gen­zu­set­zen, hat der vdää mit ande­ren Orga­ni­sa­tio­nen das Bünd­nis „Kran­ken­haus statt Fabrik“ gegrün­det. Was ist die poli­ti­sche Per­spek­ti­ve?

Nad­ja Rako­witz: Ganz klar: die Abschaf­fung der Fall­pau­scha­len als Finan­zie­rungs­in­stru­ment und die Ein­füh­rung einer bedarfs­ge­rech­ten Finan­zie­rung, die so orga­ni­siert wer­den muss, dass sie nicht zum Selbst­be­die­nungs­la­den für die Anbie­ter wird. Selbst­ver­ständ­lich impli­ziert dies auch ein Gewinn­ver­bot für Kran­ken­häu­ser und letzt­lich die Rekom­mu­na­li­sie­rung der pri­va­ti­sier­ten Häu­ser. Hier stim­men wir übri­gens kom­plett mit der Gewerk­schaft ver.di über­ein, die auf ihrem Bun­des­kon­gress vor­letz­te Woche einen Antrag beschlos­sen hat, in dem das alles auch steht.


Die Bun­des­tags­frak­ti­on lädt am 16. Okto­ber 2015 gemein­sam mit der Rosa-Luxem­burg-Stif­tung und dem Netz­werk Care Revo­lu­ti­on zu einer Kon­fe­renz ein, die neue Wege in Gesund­heit und Pfle­ge dis­ku­tiert.


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