von Jürgen Wieckmann
Das sich Ostfrieslands Hausärzteverband Anfang der Woche in die öffentliche Diskussion zur Zentralklinik eingeschaltet hat wurde höchste Zeit. Über zwei Jahre prasselte auf die Bevölkerung eine bisweilen eher penetrant wirkende Dauerreklame über die Alternativlosigkeit einer Zentralklinik nieder. Mit ihrem Vorstoß haben niedergelassene Ärzte vielleicht mit dazu beigetragen, die öffentliche Diskussion in Perspektive nicht vollends zu einer permanenten Verkaufsveranstaltung verkommen zu lassen.
Zuhörer im Auricher Europahaus konnten zumindest ansatzweise nachvollziehen, dass auch aus Sicht der niedergelassenen Ärzte das Krankenhaus vor Ort ein wesentlicher Baustein letztlich vernetzter Gesundheitsvorsorge – zunehmend auch Nachsorge – der Bürger ist. Dies insbesondere in ländlichen Regionen. Diese Krankenhäuser schließen zu wollen, reißt ein tiefes Loch in dieses Netz, das bereits heute kaum in der Lage ist, allen Erfordernissen gerecht werden zu können.
Es geht nicht nur um den Erhalt der Krankenhäuser
Auch ließ sich erahnen, dass es nicht nur allein um den Erhalt oder gar Standortfragen geht, sondern generell um die medizinische Grund- und Regelversorgung in der Fläche – hier sogar mit gegeben niedriger Bevölkerungsanzahl. Damit erledigen sich – betriebswirtschaftlich logisch – alle Finanzierungsgrundlagen, mit denen kommunale Krankenhäuser auf der Basis von Fallpauschalen ihr Auskommen erwirtschaften müssen. Das gilt auf mittlere Sicht natürlich auch für die geplante Zentralklinik.
Bedauerlich war, dass die Debatte vor allem von Krankenhaus-Ärzten geprägt wurde. Auch deren Arbeitsbedingungen sind wahrlich nicht zu beneiden. Fakt ist, dass Ärzte und Pflegepersonal in kommunalen Krankenhäusern nur scheinbar besser aufgehoben sind als bei privaten Trägern. Der ökonomische Druck wächst kontinuierlich. Dies sicher subtiler, weil Chefärzte in ihren Verträgen keine zu erfüllenden Fallzahlen zu unterschreiben haben, so, wie das bei privaten Anbietern mittlerweile üblich geworden ist. Dennoch ist es am Ende des Tages unerheblich, ob ein Krankenhaus 10 Mio. Euro Defizit „reinkriegen“ muss – oder die gleiche Summe von Aktionären als Rendite erwartet wird.
Gefährliche Halbgötter in Schwarz
Somit gilt auch für kommunale Krankenhäuser, das dort schon lange nicht mehr die Mediziner „Chef im eigenen Hause“ sind, sondern Betriebswirtschaftler. Sprach man einst von Ärzten als „Halbgötter in Weiß“, so haben heute die „Halbgötter in Schwarz“ das Sagen. Diese Priester der schwarzen Zahlen sprechen mittlerweile auch nicht mehr von Ärzten, sondern von „Gesundheitsdienstleistern“, deren „output“ ständig optimiert werden muss.
Ostfriesland: Gesundheitspolitisches Zonenrandgebiet ?
In Ostfriesland, so sagt man, kommt alles ein bis zwei Jahrzehnte später an. Die geplante Zentralklinik ist ein weiterer Beweis dieser Annahme. Mit der Diskussion zur Zentralklinik kommen, mit Verzögerung, nun auch die Konsequenzen einer generellen Fehlentwicklung beim Bürger konrekt fassbar an. Dies in einem „gesundheitspolitischen Zonenrandgebiet” wo bereits heute die wohnortnahe Gesundheitsvor- und vor allem auch Nachsorge strukturell unter die Räder gekommen ist. Das allerdings setzt voraus, völlig anders denken zu lernen. Das dürfte die größte Hürde werden.
Die Randlage der Ostfriesischen Halbinsel bietet dazu allerdings eine kleine Chance, um dem nicht nur in Ostfriesland propagierten Zentralklinik-Konzepten und dahinter steckenden falschen Weichenstellungen entschieden entgegenzutreten. Derartige Ideen mögen in bevölkerungsreichen Regionen vielleicht sinnvoll erscheinen, für die eher bevölkerungsarme Region Ostfriesland sind sie schlicht ungeeignet.
Zentralklinik-Konzepte in ländlicher Randlage sind keine Lösung
Betriebswirtschaftler ziehen bekanntlich um jedes Krankenhaus mit dem Zirkel einen Kreis, um im so definierten Einzugsgebiet pauschal potentielle Fälle zu zählen. So geschehen auch beim Krankenhaus-Standort in Norden. Dabei fällt sofort auf, dass die Hälfte der Einwohner innerhalb des Kreises Fische sind. Der Gedanke, dem Norder Krankenhaus zusätzliche Erlöse durch Angliederung einer Tierklinik zu verschaffen erledigt sich von selbst, da Fische für gewöhnlich gegessen und nicht zum Tierarzt gebracht werden. Die logische Konsequenz ist dann, das Krankenhaus in Norden zu schließen, da im Einzugsgebiet nicht genügend Fallpauschale generiert werden kann. So lange man diese Logik nicht in Frage stellt, bleibt der Kreis um ein Krankenhaus ein Teufelskreis, aus dem es kaum ein Entrinnen gibt.
Wirtschaftskrieg gegen kommunale Daseinsvorsorge im Gesundheitswesen
Um dies abzuwenden besteht die „Lösung“ auf kommunaler Ebene zunächst darin, aus dem eigenen Haushalt die errechneten Defizite auszugleichen. Das geht so lange gut, bis die ohnehin überschuldeten Kommunen finanziell ausgeblutet sind. Wer noch in der Lage ist, derartiges unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten einzuordnen, stellt schnell fest, das hier nichts anderes passiert, als das Geldflüsse aus Steuermitteln durch die Hintertür mit einem großen Staubsauger in den wachsend kommerzialisierten Gesundheitsmarkt „umgeschichtet“ werden. Hier ist ein Blick in die Statistik durchaus erhellend.
Es ist genug Geld vorhanden
Nach Angaben des Statistischen Bundesamts wurden im Jahr 2014 328 Milliarden Euro für Gesundheit ausgegeben. Nicht eingerechnet die Ausgaben für Forschung und Entwicklung und Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall durch die Versicherungswirtschaft. Umgerechnet entfallen damit auf jeden Einwohner in Deutschland 4050.- Euro – Tendenz steigend. Gesunder Menschenverstand sollte also ausreichen, um zunächst einmal nur das Märchen vom finanziellen Notstand kommunaler Krankenhäuser in Frage stellen zu können. Das Gesundheitssystem leidet jedenfalls nicht an Geldmangel. Nimmt man die von den Bundesstatistikern ausgerechneten Pro-Kopf-Ausgaben für Gesundheit, hat der sogenannte „Gesundheitsmarkt“ im Landkreis Aurich und der Stadt Emden – bei 240000 Einwohnern – ein Volumen von 97,2 Mio. Euro pro Jahr.
Der Riese Patient muss aufstehen
Längst wissen die informierten Bürgerpatienten, es bedarf einer breiten Thematisierung der politischen Zielsetzungen, schreibt die Gesundheits-Expertin Renate Hartwig in ihrem Internetblog. Namen, Fakten, Hintergründe, Drahtzieher und Profiteure dieser „Reformen“ müssen entlarvt werden, betont sie. Nur so könne Millionen von Beitragszahlern klar gemacht werden, dass es nicht um Mensch und Medizin. gehe. Bei allen sogenannten Gesundheitsreformen gehe es letztlich nur um das Geld der Patienten. Eines der Ziele heißt: Menschen als Produkt im Krankheitsfall vermarkten zu können.
Der gordische Knoten muss zerschlagen werden, so Hartwig weiter. Ärzte und Patienten müssen im Schulterschluss für ihre Rechte, auf eine finanzierbare, sichere und wohnortnahe Gesundheitsversorgung kämpfen. Wenn die Politik es bis jetzt schaffte, Gesundheitsreformen gegen den erbitterten Widerstand nahezu der gesamten Ärzteschaft machen zu können, so wird sie niemals den Umbau in eine Gesundheitsindustrie gegen Millionen Beitragszahler herbeiführen können. Wir, als der Riese Patient, haben es in der Hand die Karten neu zu mischen. Denn es geht um UNSER Geld.
Kommunalpolitik am Ende der politischen Nahrungskette?
Wer die Veranstaltung der niedergelassenen Ärzte in Aurich besucht hat, dem wird nicht entgangen sein, das mittlerweile auch Ärzte vor den sogenannten Sachzwängen resigniert haben. Wahr ist auch, dass Kommunalpolitik auf die von oben verordnete Gesundheitspolitik letztlich keinen Einfluss hat. Sie steht am Ende der politischen Nahrungskette.
Ein praktisches Beispiel dafür ist auch Emdens Oberbürgermeister Bernd Bornemann (SPD). Schließlich ist das Emder Klinikum eher Opfer einer generellen Gesundheitspolitik. Das Hans-Susemihl-Krankenhaus geriet nicht etwa durch eklatante Management-Fehler in ökonomische Schräglage, so wie die UEK’s im Landkreis Aurich. Hier haben hausgemachte Probleme in Verbindung mit einer falschen Gesundheitspolitik eine wahrlich fast aussichtslose Lage herbeigeführt. Immerhin ist die UEK der größte Klinikverbund auf der Ostfriesischen Halbinsel.
Doch Bornemann hat sich offensichtlich entschieden die falsche Politik von oben nach unten durchzusetzen, statt – unabhängig von mitgeführten Parteibüchern – gemeinsam mit „seinen“ Bürgern gegen die Schließung des Emder Klinikums auf die Bürger zu setzen. Das ist eine politische Entscheidung, die man zur Kenntnis nehmen muss.
Falsche Pappkameraden
Beachtet man Erfahrungswerte aus anderen Regionen, ist absehbar, dass am Ende des Tages der Emder Klinikchef von Bürgern, Patienten und Mitarbeitern die Prügel für Maßnahmen einzustecken hat, denen er sich – will man fair bleiben – unter gegebenen Sachzwängen nun mal nicht entziehen kann.
Das altrömische Herrschaftsprinzip von Teile und Herrsche, könnte auch hier wieder zu beobachten sein. Am Ende wird womöglich der Emder Klinikchef zum Pappkameraden gemacht, auf den sich alle einschießen können – ohne zu bemerken, dass sie in die generell falsche Richtung zielen.
Relevanter ist die Frage – auch vor dem Hintergrund der Kommunalwahl, welche Kommunalpolitiker sich anschicken, weiter eine generell verfehlte Gesundheitspolitik von oben nach unten zu exekutieren und wo noch Personen sichtbar werden, die den wachsenden Protest der Bürger – landauf, landab – nicht fürchten – sondern aufgreifen, fördern und mit deren politischen Gewicht den Druck von unten nach oben deutlich werden lassen.
Das übrigens gemeinsam mit Ärzten, Pflegepersonal – ja, auch mit Klinikchefs kommunaler Krankenhäusern und jenen vielleicht noch auffindbaren Kommunalpolitikern, die Rückgrat haben. Das – hoffentlich dann nicht nur allein in Emden, Aurich oder Norden, sondern im ganzen Land.
Ein richtiger Mann für die falsche Aufgabe
Doch hiesige Kommunalpolitiker kaufen sich derzeit lieber für viel Geld einen Vollprofi ein, dessen klarer Auftrag es ist, mit all seinem Können und persönlichen Netzwerken, die in Ostfriesland nicht gewollte Zentralklinik durchzusetzen. UEK-Aufsichtsratsmitglieder der Politik, die eigentlich auch auf der Ebene Interessenvertreter der Bürger sind, stimmten dieser Personalien zu. Auch das ist zur Kenntnis zu nehmen.
Dass Claus Eppmann fähig ist eine Zentralklinik durchzusetzen, wird kaum jemand ernsthaft bezweifeln können. Der Mann macht seinen Job gut, bislang jedenfalls. Soviel Respekt muss noch erlaubt sein – schließlich ist es nicht der falsche Mann, sondern die falsche Aufgabe.
Immerhin will das Aktionsbündnis Klinikerhalt über den gerichtlichen Weg einen Bürgerentscheid zur Zentralklinik einleiten. So kann man davon ausgehen, das im Zuge dieses Verfahrens Claus Eppmann früher oder später von seiner sicher nicht einfachen Aufgabe entbunden werden kann.
Zu hoffen ist aber auch, das vergleichbares mit Kommunalpolitikern geschieht, die statt gemeinsam mit den Bürgern zu agieren – sich gegen die Bürger stellen. Allerdings – und auch das muss geschrieben werden: so lange der „Riese Patient“ weiter ruht, sich die Bürgerpatienten von sogenannten Sachzwängen in die Resignation treiben lassen, bliebe selbst das ein medialer Politklamauk ohne Konsequenzen.
Über den Autor: Jürgen Wieckmann ist Herausgeber des Internetblogs ”Ostfriesisches Klinik Journal” und Vorsitzender des Fördervereins UEK am Standort Norden.
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