Berlin (okj) – Wenn die Klinik zum Wirtschaftsunternehmen wird und vor allem Gewinne erzielen soll, leidet die Qualität der Medizin und damit vor allem der Patient. Wachsender Kostendruck und ökonomisch orientierte Zielvorgaben an einen wirtschaftlichen Klinikbetrieb beeinträchtigen Ärzte in der Ausübung ihres Berufes.
In einem aktuellen Positionspapier hat die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin e. V. (DGIM) die derzeitige Situation an deutschen Krankenhäusern analysiert und Lösungsvorschläge erarbeitet, die sie gemeinsam mit der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) bei einer Pressekonferenz am 14. Juli 2016 in Berlin erstmals vorstellen wird.
Ärztliche Kompetenz verliert gegenüber Betriebswirtschaftlern
Von Fehlanreizen im Vergütungssystem über die stetig wachsende Arbeitsbelastung beim medizinischen Personal bis hin zur mangelnden Finanzierung der „sprechenden Medizin“: Das Gesundheitswesen ist zunehmend von betriebswirtschaftlichen Denkmustern und Management-Paradigmen durchdrungen, heißt es in einer am vergangenen Donnerstag (07.07.) verbreiteten Pressemitteilung.
Die Last, in der Klinik „schwarze Zahlen“ schreiben zu müssen, ruhe dabei häufig auf den Schultern der Ärzte. „Der Druck auf die ärztlichen Berufsgruppen wächst, ihr ärztlich-professionelles Handeln der Gewinnmaximierung des Krankenhauses unterzuordnen“, erklärte Professor Dr. med. Petra-Maria Schumm-Draeger, Vorsitzende der DGIM aus München.
Untragbare Konflikte
Für behandelnde Ärzte führe das dazu, dass sie immer öfter in den untragbaren Konflikt geraten, zwischen medizin-ethischen Qualitätsstandards.sowie dem Patientenwohl und der wirtschaftlich besten Lösung für das Krankenhaus entscheiden zu müssen. „Insbesondere bleiben aufgrund von Fehlanreizen im Vergütungssystem die Diagnostik und vor allem die ‚sprechende Medizin‘ – die direkte und unbedingt notwendige persönliche Hinwendung zum Patienten – auf der Strecke“, sagt die Internistin und Endokrinologin.
„Eine weitere bedenkliche Entwicklung der letzten Jahre ist zudem, dass langjährig klinisch tätige leitende Ärztinnen und Ärzte praktisch nicht mehr direkt in den Entscheidungsgremien der Krankenhäuser, in Klinikdirektionen und Geschäftsleitungen vertreten sind“, kritisiert Professor Dr. med. Dr. h. c. Ulrich R. Fölsch, Generalsekretär der DGIM aus Kiel. Den Ärzten werde damit mehr und mehr die Entscheidungskompetenz über die Art und Weise der Ausübung ihres Berufs entzogen. Dies beobachte die DGIM seit Jahren mit Sorge.
Innere Medizin wird aus ökonomischen Gründen dezimiert
Die Innere Medizin als großes und übergreifendes Fachgebiet mit seinen vielfältigen Teilgebieten wird in Kliniken derzeit vermehrt aus ökonomischen Gründen dezimiert, einzelne Abteilungen zum Teil ganz aus dem Versorgungsangebot gedrängt. „Dabei sind es gerade die Patienten der Allgemeinen Inneren Medizin – beispielsweise Menschen mit Diabetes – die nicht zuletzt aufgrund des demografischen Wandels eine sich stetig vergrößernde Patientengruppe darstellen und einer professionellen Behandlung bedürfen“, betont Professor Dr. med. Baptist Gallwitz, Präsident der DDG.
Der materielle und immaterielle Schaden der Ökonomisierung ist beträchtlich und gefährdet auch den Nachwuchs in unprofitablen Bereichen der Medizin: „Heilberufe, der Krankenhaussektor, die Kostenträger und die Gesundheitspolitik sollten ein gemeinsames Interesse daran haben, diese Entwicklung einzudämmen und Schaden vor allem vom Patienten abzuwenden“, ergänzt Professor Dr. med. Dirk Müller-Wieland, Mediensprecher der DDG und Mit-Autor des Positionspapiers.
Gemeinsame Pressekonferenz am 14. Juli in Berlin
Bei der gemeinsamen Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin e. V. und der Deutschen Diabetes Gesellschaft am 14. Juli 2016 in Berlin diskutieren Experten der Fachgesellschaften gemeinsam die Risiken einer zunehmenden Ökonomisierung und wie ihnen Politik und Gesundheitswesen entgegenwirken können.
Ihnen ist es wichtig, dadurch bei Politik, Kassen, Kliniken und anderen Leistungserbringern im Gesundheitswesen einen Diskussionsprozess in Gang zu setzen, der zu einer Anpassung des Systems führt. „Wenn sich nicht bald etwas ändert, wird es immer schwieriger werden, den Patienten die medizinische Versorgung zugute kommen zu lassen, die sie benötigen“, warnen die Experten der Inneren Medizin.
Renate Hartwig: Auch kommunale Krankenhäuser passen sich der Ökonomisierung an
Die Ulmer Buchautorin Renate Hartwig erklärte in einer kürzlich veröffentlichten WDR-Dokumentation zum Thema, dass eine ”radikale Umkehr” bei der Krankenhaus-Finanzierung erforderlich ist. Der ”Riese Patient” müsse erwachen und sich gegen den Ausverkauf im Gesundheitswesen wehren.
Derzeit erlebe man den des Gesundheitswesens, welches bislang eine Aufgabe der kommunalen Daseinsvorsorge war – in einen Gesundheitsmarkt mit wachsender Industrialisierung der Krankenhäuser. Behandelt werden darin zunehmend Patienten, die viel Geld versprächen. Das Abrechnungssystem nach Fallpauschalen, kurbele eine riskante Wettbewerbsspirale ankurbeln.
Diese Spirale werde immer schneller und immer direkter, erklärt Renate Hartwig. Dies wirke nicht nur in privaten Krankenhäusern. Inzwischen gehe das über in Krankenhäuser unter kommunaler Trägerschaft. Diese seien mittlerweile gezwungen, sich dem Trend von ”Gewinn und Verlust” anzupassen. Dadurch entstehe durchgängig ein System, wo es nur noch darum geht, was hat ein Patient, was bringt der, wann fliegt er raus und wann kommt der nächste.
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