In der Stadt Norden und der Diskussion über das Krankenhaus dort kommt Bewegung. Jüngster Vorschlag aus FDP-Kreisen in Norden lautet, das hiesige Krankenhaus aus den Klauen des Landkreises Aurich zu befreien. Diesem wird nicht ohne Grund nachgesagt, alles mögliche zu können – nur nicht „Krankenhaus“. Die Vorstellung, dass Krankenhäuser im Rahmen der kommunalen Daseinsvorsorge auch in kommunale Hand gehört, scheint nicht nur in FDP-Kreisen erhebliche Risse bekommen zu haben.
Eine gern verschwiegene Tatsache ist jedoch, dass es letztlich unerheblich ist, wer Träger eines Krankenhauses ist, eine Kommune, freigemeinnützige Träger oder sogenannte Private. Für alle gelten gleiche Bedingungen. Diese meist ideologisch geführte Diskussion zwischen kommunal und privat wirkt oft wie ”Opium fürs Volk”, wird jedenfalls mit eher religös anmutenden Glaubensbekenntnissen geführt. Private Anbieter sind des Teufels – die kommunale Trägerschaft das Himmelreich.
Modernistische Wegwerf-Mentalität – oder: wird konservativ wieder schick?
Die Absurdität dieser Debatte wird vom kleineren Landkreis Leer seit Jahren praktisch vorgeführt. Da schafft es eine Kommune ihr Krankenhaus auf ökonomisch vertretbare Weise zu führen – wobei die berühmte schwarze Null schön ist – aber sicher nicht oberstes Gebot. Gleichzeitig hat sie ”direkt vor der Haustür” noch einen freigemeinnützigen Mitbewerber am Hals – das seit 150 Jahren bestehende Boromäus-Hospital in kirchlicher Trägerschaft.
Konservativ (bewahren) scheint wieder in Mode zu kommen. Deshalb ist der Bürger auch schon mal erstaunt, wenn ihm bei 150 Jahren Boromäus erklärt wird, dass die Neubauten der 50er und 60er Jahre in Emden, Aurich und Norden als abrissreife Immobilien aus dem Mittelalter zu betrachten sind – jedenfalls in ihrer Funktion als Krankenhaus. Aber das nur am Rande.
Was die Leeraner innerhalb des Stadtgebiets hinbekommen haben, wäre natürlich genau das gewesen, was für den gesamtem Landkreis Aurich mit seinen beiden Mittelzentren schlicht und ergreifend erforderlich gewesen wäre. So wurde es – kluger Weise – 1977 in einem Gebietskörperschaftsvertrag zwischen zwei heute nicht mehr existenten Altkreisen vereinbart. Doch was sich in diesem neuen Landkreis Aurich unter SPD-Führung über Jahrzehnte abgespielt hat, ist eine ruinöse kreisinterne Konkurrenzsituation, die nicht nur Millionen gekostet hat – sondern – objektiv bewertet – heute eine fast aussichtslose Lage der UEK verursacht hat. Das Hauptargument aus Kreisen der Befürworter einer Zentralklinik.
Politischer Kredit restlos verbraucht?
Politiker können sich das offensichtlich erlauben. Fahre zwei gute Krankenhäuser systematisch und mit der erforderlichen Prise schlichter Inkompetenz komplett an die Wand – und du kriegst irgendwann ein schickes neues. Die dafür Verantwortlichen auf kommunaler Ebene sollten sich eigentlich nicht wundern, dass sie mit ihrer neuesten Nummer „wir bauen uns eine Zentralklinik“ bei den Menschen auf wenig Gegenliebe stoßen – und das beileibe nicht nur ”bauchgefühlt”.
Festzustellen bleibt – diese Kreise haben ihren vor allem auch politischen Kredit restlos verspielt. Die Schützenhilfe, die sie für die Zentralklinik bisweilen aus der Ärzteschaft erhalten, hilft auch nicht viel. Eher droht Gefahr, dass die Ärzte in einen Konfrontationskurs mit den Bürgern gesteuert werden, die eine Zentralklinik als Konzept für eine ländliche Region kritisch sehen.
Dem Aktionsbündnis Klinikerhalt ist es bislang gelungen, sich eben nicht mit den Ärzten anzulegen, sondern mit denen, die die politische Verantwortung für das tragen was heute die Bürger auf die Barrikaden bringen könnte – und das nicht nur in Ostfriesland. Bundesweit rumort es inzwischen auch wieder bei den Ärzten – die nächste Gesundheitsreform wird bereits exekutiert – mit dem immer gleichen Ergebnis. Ärzte im Dauerstreß – Krankenschwestern am Limit.
Das Krankenhaus-Ärzte, von denen rund um die Uhr ständig medizinische Hochleistung erwartet wird, selbstverständlich auch erwarten dürfen, dass man ihnen die dazu notwendigen Arbeitsbedingen bereit stellt, versteht sich von selbst. Bis zur Einführung der Fallpauschalen (DRG) im Jahre 2004, war das generell auch keine unüberwindbare Hürde.
Deshalb stellt sich heute eher die Frage, ob das Fallpauschalen-System weg muss oder die kleinen wohnortnahen Krankenhäuser. Ein Bürgerentscheid zur geplanten Zentralklinik dürfte indirekt darauf eine klare Antwort geben können. Die Furcht der Planer vor diesem Entscheid, kann man also gut nachvollziehen.
Schöne Geschichte vom einem Schwein und einem Huhn
Der hier mittlerweile bekannte Claus Eppmann – im Mai dieses Jahres zum Geschäftsführer einer nach wie vor virtuellen Zentralklinik eingekauft, beschrieb in einem Vorwort des 2007 im Kohlhammer-Verlag (Stuttgart) erschienenden Buches ”DRG und Strukturwandel in der Gesundheitswirtschaft” ein interessantes ”Phänomen”, welches er als Tierfabel präsentierte.
Manche Kooperationen, (Anm. jwi: wie auch die zwischen den ehemaligen Kreiskrankenhäusern in Norden und Aurich), seien vergleichbar mit der Vereinbarung zwischen einem Huhn und einem Schwein, die gemeinsam Rührei mit Schinken verkaufen wollen. Nach kurzfristiger Euphorie bemerke das Schwein noch rechtzeitig, dass diese Vereinbarung höchst einseitige Züge aufweist. Das Schwein könne seinen Beitrag – den Schinken – ”nur unter Aufgabe eigener wichtiger und existenzieller ‘Standpunkte’ leisten”, so Eppmann.
Der Autor, der heute als Norder Neubürger registriert ist, dürfte – (und das sei unterstellt) – 2007 Norden (als Schwein) und Aurich (als Huhn) nur von der Landkarte her gekannt haben. Das wiederum legt den Verdacht nahe, das mit dieser Fabel ein generelles Muster beschrieben ist, welches sich überall im Lande abzuspielen scheint. So drängt sich die Frage auf, wer (auch auf kommunaler Ebene) für die Rollenbesetzung verantwortlich zeichnet – wer, wem und warum die Rolle des Schweins oder die des Huhns zugewiesen hat – und was sich hinter verschlossenen Türen auf der Besetzungscouch abgespielt haben könnte.
Vielleicht eine ganze Serie von Amtsgeheimnissen?
So gesehen, könnte man sogar den Emder Oberbürgermeister Bernd Bornemann (SPD) verstehen, der in das Projekt Zentralklinik mit 50 Prozent einsteigen will – unabhängig davon, was möglicherweise weitsichtige Haushaltspolitiker in Emden noch davon halten könnten – also, wenn es real wird und eben nicht nur „bauchgefühlt“. Auch Bornemann dürften die Hintergründe des selbst verschuldeten Fiaskos UEK Aurich/Norden geläufig sein – und zieht es offensichtlich vor, bei einem gemeinsamen Vorhaben lieber das Huhn als ein Schwein geben zu müssen.
Bei all dem gerät leicht aus dem Blick, das auf übergeordneter Ebene eine Gesundheitspolitik wirkt, die (z.B. für das Emder Krankenhaus) generell ruinöse Wirkung hat. Hier steht Kommunalpolitik zweifelsfrei am Ende der gesundheitspolitischen Nahrungskette. Weil das so ist, stellt sich die Frage, ob Kommunalpolitik dazu neigt, eine Top-Down-Strategie mit zu machen, eine als längst falsch erkannte Politik weiterhin von oben nach unten durchzudrücken versucht – oder ob sie sich noch als DER Politikbereich versteht, der am nächsten am Bürger „dran“ ist – und sich deshalb dafür entscheidet, gemeinsam mit den Bürgern von unten nach oben zu agieren.
Früher war das mal der Markenkern einer Partei, die sich sozial und demokratisch gab. Aber das scheint „historisch überholt“ zu sein, so, wie der damals eigentlich sehr weitsichtige Gebietskörperschaftsvertrag zum Thema Krankenhaus zwischen Norden und Aurich.
Bürger- und wohnortnahes Krankenhaus – wie kann es finanziert werden?
So sympathisch ein Modell für ein kleines ”bürger- und wohnortnahes Krankenhaus” in der Hand der Bürger (z.B. als Genossenschafts-Modell) auch erscheinen mag: ohne eine radikale Umkehr der finanziellen Spielregeln im Gesundheitswesen würde auch dieses Krankenhaus einer bundesweit (richtiger eigentlich international) wirkenden Gesundheitspolitik ausgesetzt sein, die mit Fallpauschalen hantiert und genau dieses Bürgerkonzept – den Bürgerwillen – nicht fördert, sondern am Ende des Tages marktbereinigen wird.
Das allerdings liegt eben nicht immer nur in der Hand von Klinik-Chefs, sondern in der Verantwortung von Politik – von der sich die Menschen (verständlicher Weise) generell abwenden. Doch diese Abwendung (vielfach auch nur noch Resignation) ist es schließlich, die ein krankes Gesundheitssystem mehr oder weniger widerstandlos hat etablieren können – über Jahre.
Man darf auch mal daran erinnern, dass diese Gesundheitspolitik sogar gegen den Widerstand nahezu der gesamten Ärzteschaft durchgesetzt wurde. Die Bürger – und das muss auch gesagt werden dürfen – haben die Ärzte vor gefühlt 15 Jahren oft auch alleine gelassen – bestärkt durch eine politische Propaganda, die diese Berufsgruppe damit zu diffamieren gedachte, dass sie als sozial etablierte Besserverdiener am Ende doch nur an ihren Standesinteressen und Einkommensverbesserungen interessiert seien.
Es kommt nur noch auf die Bürger an – engagiert euch !
Heute stehen nicht nur Chefärzte in Krankenhäusern vor der Macht des ökonomisch Faktischen, den immer öfter untragbaren Konflikten, zwischen medizin-ethischen Qualitätsstandards, dem Patientenwohl und der wirtschaftlich besten Lösung für das Krankenhaus. Ein kleines „Bürgerkrankenhaus“ wird also mit darauf zu achten haben, das dieser Konflikt nicht noch weiter verschärft wird. Das wird kaum möglich sein, wenn man nur innerhalb der Norder Stadtmauern – oder den Grenzen Ostfrieslands agiert – so wichtig dieses auch ist.
So wird man sich nicht vor der Anstrengung drücken können, die sehr unangenehme und nur scheinbar theoretischen Systemfragen zu stellen – und zwar so, dass ein durchaus sympathisches Bürgerkonzept (Trägerschaft eigentlich egal) am Ende des Tages nicht ebenfalls unter die Räder kommt.
Dies durch die von der Leine gelassenen Marktmechanismen, die in erster Linie industrialisierten Gesundheitskonzernen dienen und auch kleinen privaten Anbietern leicht den Garaus machen können – wie auch größeren Kommunen. Selbst das derzeit als gutes Beispiel immer wieder genannte kommunale Krankenhaus in Leer, ist davor keineswegs geschützt.
Der Arzt am ”Fließband OP-Tisch”?
Dahinter steckt das, was der US-amerikanische Soziologe George Ritzer in seinem Buch „The McDonaldization of Society“ (Die McDonaldisierung der Gesellschaft) genannt hat. Große Fastfood-Krankenhaus Ketten – Konzerne – oder wie Renate Hartwig es zutreffender formuliert, die Industrialisierung des Gesundheitsmarktes – die Masse (an Fällen) machts.
Der Arzt wird zum Industriearbeiter am Fließband OP-Tisch. Genau das spielt sich (noch schleichend) aber zunehmend auch in den kommunalen Krankenhäusern ab. Auch dort hat sich die medizinische Kompetenz einer fachfremden Disziplin von BWL-Studenten auf der Karriereleiter unterzuordnen.
Überflüssig zu erwähnen ist wohl, dass es dem deutschen Gesundheitssystem wahrlich nicht an Geld mangelt. Es gilt weltweit als eines der reichsten. Es scheint ratsam zu werden, diese Diskussion nicht all zu sehr den sogenannten Experten zu überlassen.
Sie sind bei genauer Betrachtung schon derart im System eingebunden, dass ihnen „anderes“ nicht mehr einfallen kann – jedenfalls nicht öffentlich und ohne als „Experten“ in der eigenen Szene einen existenziell gefährlichen Karriere-Einbruch zu riskieren.
Deshalb wird es Zeit, dass sich die Bürger als notwendiger Störfaktor einmischen – den letztlich geht es bei allem in erster Linie um eben diese Bürger.
Comments are closed.