Ostfriesisches Klinik Journal

Für den Erhalt wohnortnaher Krankenhäuser

Milliarden im Gesundheitsmarkt

jwi_300okj-Kommentar
von Jürgen Wieckmann

Die aktu­el­len Defi­zi­te des Kran­ken­haus­ver­bun­des UEK Aurich/Norden dürf­ten Insi­dern schon längst bekannt sein. Ob sie noch vor der Kom­mu­nal­wahl am 11. Sep­tem­ber der Öffent­lich­keit prä­sen­tiert wer­den, bleibt abzu­war­ten. Das Drän­geln eini­ger Kreis­tags­ab­ge­ord­ne­ter nach der jähr­li­chen Bekannt­ga­be mit immer glei­chen Hiobs­bot­schaf­ten, bezeich­ne­te Land­rat Harm-Uwe Weber (SPD) bereits als blan­ken Popu­lis­mus. Damit liegt der Land­rat nicht ganz falsch, obwohl ihm in die­sem Jahr ein sol­cher Popu­lis­mus gut in den Kram pas­sen könn­te.

Zehn, oder auch ein paar mehr Mil­lio­nen Euro Kran­ken­haus-Defi­zi­te, könn­ten unter Umstän­den hart­nä­cki­ge Zweif­ler noch davon über­zeu­gen, dass man bestehen­de Kran­ken­häu­ser in Emden, Aurich und Nor­den bes­ser schlie­ßen und eine betriebs­wirt­schaft­lich durch­op­ti­mier­te Zen­tral­kli­nik in Georgs­heil errich­ten muss. Kos­tet zwar um ein Viel­fa­ches mehr als Auf­bau und Pfle­ge des Bestehen­den – aber – wie alle wis­sen, Besitz­stands­wah­rer mit Nei­gung zum Kirch­turm­den­ken sind eh von ges­tern. Je bana­ler die Pole­mik ist, um so effekt­vol­ler kann sie bekannt­lich sein.

Trotz Wahlkampf – Nachdenken erlaubt

JWI D 0073Gedank­lich wäre zunächst hilf­reich, die Gesamt­sum­me des zu erwar­ten­den Defi­zits durch zwei zu tei­len. Damit läge man pro Kran­ken­haus im Land­kreis Aurich bei fünf Mil­lio­nen Euro Defi­zit. Immer noch sehr viel, aber „bauch­ge­fühlt“ weni­ger schlimm. Auch das Emder Kran­ken­haus liegt mit etwa 4,7 Mio. Euro bei die­ser Grö­ßen­ord­nung.

Schaut man sich wei­ter im Lan­de um – nicht nur in den Gren­zen des Lan­des Nie­der­sach­sen, son­dern bun­des­weit, fällt auf, das über 50 Pro­zent aller Kran­ken­häu­ser ver­gleich­ba­re Defi­zi­te auf­wei­sen. Spä­tes­tens an die­ser Stel­le wird es schwie­rig, tief­ro­ten Zah­len ein­zig und allein irgend­ei­nem Manage­ment-Ver­sa­gen zuzu­ord­nen. Man erkennt ein Mus­ter, wel­ches offen­sicht­lich Sys­tem hat.

Schuld ist immer der Gärtner

50-euro-toilettenpapierÜber­all dort wo klei­ne­re Kran­ken­häu­ser nur noch durch mas­si­ven Ein­satz von Steu­er­gel­dern über Was­ser gehal­ten wer­den kön­nen, ist es sehr beliebt auf Kli­nik-Chefs und als poli­tisch ver­ant­wort­lich betrach­te­te Kom­mu­nal­po­li­ti­ker ein­zu­dre­schen. Beson­ders in Wahl­kampf­zei­ten macht es sich gut, die im Kern kom­ple­xen Sach­ver­hal­te auf die­se Wei­se grif­fig zu per­so­na­li­sie­ren.

Die Schat­ten­sei­te der­ar­ti­ger „Grif­fig­kei­ten“ ist aller­dings auch eine gewis­se „Ver­blö­dung“. Sie ver­ne­belt leicht den Blick für sys­te­ma­ti­sche Fehl­ent­wick­lun­gen im Gesund­heits­we­sen, wel­ches schon längst zu einem Gesund­heits­markt umge­baut wor­den ist.

Es ist genug Geld da

500-euro-scheine328 Mil­li­ar­den Euro wur­den im Jahr 2014 für Gesund­heit in Deutsch­land aus­ge­ge­ben. Wie das Sta­tis­ti­sche Bun­des­amt Anfang des Jah­res mit­teil­te, bedeu­tet dies einen Anstieg von 13,3 Mil­li­ar­den Euro oder 4,2 Pro­zent gegen­über dem Jahr 2013. Auf jeden Ein­woh­ner ent­fie­len damit 4050 Euro (2013: 3 902 Euro). Der Anteil der Gesund­heits­aus­ga­ben am Brut­to­in­lands­pro­dukt lag 2014 bei 11,2 Pro­zent – Ten­denz stei­gend.

Gonick_Statis_4c3D_6-3598-6_160woMit Sta­tis­tik lässt sich bekannt­lich jeder Unfug plau­si­bel unter­mau­ern. Die­se Zah­len las­sen aller­dings wenig Inter­pre­ta­ti­ons­spiel­raum. Das deut­sche Gesund­heits­we­sen ist jeden­falls kein ver­arm­tes.

Die seit Jah­ren lau­fen­den Dau­er­pro­pa­gan­da, durch Ein­füh­rung „markt­wirt­schaft­li­cher Steue­rungs­ele­men­te“ einen Bei­trag zur all­ge­mein als sinn­voll bewer­te­ten „Kos­ten­dämp­fung im Gesund­heits­we­sen“ leis­ten zu wol­len, erwei­sen sich im Ergeb­nis als glat­te Lüge.

Statt Kos­ten­dämp­fung explo­die­ren die Kos­ten.

Das kön­nen die Bür­ger nicht nur am eige­nen Porte­mon­naie bemer­ken, son­dern auf den Sei­ten des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums für Gesund­heit in Form von Erfolgs­mel­dun­gen nach­le­sen.

Widerspenstige Bürger stören Wachstumsmarkt

wutbürgerDort freut man sich, dass die Gesund­heits­wirt­schaft eine Wachs­tums­bran­che auf Expan­si­ons­kurs ist. Ihre Brut­to­wert­schöp­fung sei im Zeit­raum von 2007 bis 2013 jähr­lich im Schnitt um 3,5 Pro­zent gestie­gen – deut­lich schnel­ler als die Gesamt­wirt­schaft mit 2,4 Pro­zent Wachs­tum. Ver­är­gert ist man aller­dings, dass die Wachs­tums­bran­che Gesund­heits­markt noch immer mit maro­den Ver­hält­nis­sen kämpft und der unein­sich­ti­ge Pati­ent das Gesund­heits­sys­tem noch immer nicht als Markt ver­steht.

Wer kassiert eigentlich die Millionen?

marktwachstumDie­ser Ärger könn­te bun­des­weit aller­dings noch grö­ßer wer­den. Noch wirkt hier­zu­lan­de eine gesell­schaft­li­che Über­ein­kunft, die die Gesund­heits­für­sor­ge nicht als Markt, son­dern als Teil der kom­mu­na­len Daseins­vor­sor­ge betrach­tet. Die­se Grund­über­zeu­gung lässt sich bekannt­lich nur sehr schwer zer­set­zen.

Am effek­tivs­ten geht das, wenn man die Struk­tu­ren so legt, dass man den Bür­ger als Steu­er­zah­ler direkt in die Tasche greift. Defi­zi­te in Mil­lio­nen­hö­he sind dafür ein pro­fa­nes Mit­tel.

Die­se Art der Umer­zie­hung in markt­kon­for­mes Den­ken ver­schlei­ert zudem – sehr prak­tisch – das dabei öffent­li­ches Geld per­ma­nent in eben jenen Wachs­tums­markt umge­schich­tet wird. Da wun­dert sich nicht nur die berühm­te schwä­bi­sche Haus­frau, war­um trotz des stän­dig wach­sen­den Reich­tums, kom­mu­na­le Kran­ken­häu­ser wie die in Emden, Aurich und Nor­den von Insol­venz bedroht sind – wären da nicht die Steu­er­mil­lio­nen.

Cui bono: Wem nützen Diskussionen über Krankenhaus-Defizite?

hoellenritt_wahlkampf-9783423249867Eini­gen Kom­mu­nal­po­li­ti­kern dürf­te es im bevor­ste­hen­den Wahl­kampf schwer fal­len, sich mit den übli­chen Beschimp­fun­gen selbst ver­ur­sach­ter Defi­zi­te im UEK-Ver­bund Aurich/Norden aus­nahms­wei­se zurück­zu­hal­ten. Dies nicht etwa, um einen noch amtie­ren­den Land­rat zu scho­nen, son­dern aus der Erkennt­nis her­aus, dass es ein Pro­blem in die­sem Gesund­heits­markt gibt – an dem wir Bür­ger nicht voll­kom­men unschul­dig sind.

Zumin­dest soll­te nicht völ­lig außer Acht gelas­sen wer­den, dass wir alle mitt­ler­wei­le zu „Schnäpp­chen-Jägern“ umer­zo­gen wor­den sind, einer gesell­schaft­lich ein­ge­üb­ten Hal­tung, die immer mehr Top-Leis­tung für immer weni­ger Geld ergat­tern möch­te. Die­ser ver­in­ner­lich­te Volks­sport funk­tio­niert sogar ganz gut.

Mach­bar ist das vor allem durch Indus­tria­li­sie­rung – eben auch im Gesund­heits­markt. Die Auto­in­dus­trie hat damit bes­te Erfah­run­gen gemacht. Ent­spre­chend funk­tio­nie­ren mitt­ler­wei­le auch Groß­kli­ni­ken. Das Finan­zie­rungs­sys­tem (Fall­pau­scha­le) ist näm­lich gar nicht so kom­pli­ziert, wie es erschei­nen mag – es ist sehr sim­pel. Der OP-Tisch wird zum Fließ­band, der Arzt zum Indus­trie­ar­bei­ter. Je mehr lukra­ti­ve Fäl­le über den OP-Tisch gehen, um so bes­ser für die Bilanz – die Mas­se machts.

Wollen wir das? Industrialisierter Gesundheitsmarkt?

Mit die­ser Erkennt­nis im Gepäck, drängt sich die Fra­ge auf, ob – ähn­lich wie bei der Ener­gie­po­li­tik – lang­sam auch in der Gesund­heits­po­li­tik ein „Para­dig­men­wech­sel“ erfor­der­lich wird – eine fließbandradi­ka­le Umkehr. So lan­ge die Men­schen Gesund­heits­für­sor­ge – ähn­lich wie Trink­was­ser­ver­sor­gung – nicht Markt­ge­set­zen unter­wer­fen wol­len, wäre es noch denk­bar. Am Geld kann es eher nicht schei­tern, wie die Bun­des­sta­tis­ti­ker einem vor­rech­nen kön­nen.

Aller­dings ist die Lob­by im Gesund­heits­markt min­des­tens ähn­lich mäch­tig, wie einst die Atom­lob­by. Das könn­te sich noch als das eigent­li­che Pro­blem erwei­sen. Da kann man sich also getrost auf ein paar Jahr­zehn­te prak­ti­zier­ten Bür­ger­wi­der­stand ein­stel­len, einer, der nach­hal­tig sein muß – nicht nur kurz­fris­tig auf Erhei­schung media­ler Auf­merk­sam­keit aus­ge­rich­tet.

Die Poli­tik, so scheint es, befin­det sich der­zeit fest in der Hand der Lob­bys und zwar sol­chen, die mitt­ler­wei­le in den Minis­te­ri­en selbst die pas­sen­den Geset­ze schrei­ben. Mit einer kräf­ti­gen Pri­se ”opti­mis­ti­schen Rea­lis­mus” blei­ben letzt­lich nur noch die Bür­ger, die auch auf der Stra­ße der Poli­tik ”Bei­ne machen” muss – lokal, regio­nal, natio­nal und inter­na­tio­nal.


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