Berlin/Ostfriesland (okj/ärztezeitung.de) – Anstelle der wohnort- und bürgernahen Krankenhäuser in Aurich, Emden und Norden sollen niedergelassene Ärzte die ambulante gesundheitliche Versorgung der Menschen in den drei Ostfriesischen Mittelzentren übernehmen. Die geplante Zentralklinik in Georgsheil soll sich dagegen vor allem auf stationäre Fälle konzentrieren. Derartige Planungen werden auch von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) positiv bewertet.
Vertreter der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) hatten am vergangenen Freitag (16.09.) in Berlin erneut Krankenhäuser in Deutschland scharf kritisiert. Unter dem Deckmäntelchen des Notdienstes böten diese eine getarnte Regelversorgung an. Dieses sei nicht im Interesse der niedergelassenen Ärzte, weil die Krankenhäuser damit massenhaft ambulante Fälle abgreifen, die den Arztpraxen zustünden erklärte KBV-Chef Andreas Gassen während einer Vertreterversammlung der Kassenärzte in Berlin. Dies berichtet die Ärztezeitung in ihrer online-Ausgabe vom 19. September.
Der Patient als Spielball von Verbandsinteressen ?
Er, Gassen, könne das Missverhältnis von echtem Notfall und Pseudonotfall nicht akzeptieren. Die KBV könne mit hartem Zahlenmaterial nachweisen, dass Krankenhäuser viele nur vermeintliche Notfallpatienten als Kurzzeitlieger in die stationäre Versorgung überführten ”Ambulant vor stationär heißt, genau genommen, vertragsärztlich vor stationär!”, betonte der KBV-Chef.
Das für die Kassenärzte erschließbare Patientenpotential sei gewaltig. Nach einer Erhebung des Göttinger Aqua-Institut, die Anfang September veröffentlicht wurde, sei festgestellt worden, dass von den rund 25 Millionen Notfallpatienten im Jahr in den Krankenhäusern mehr als zehn Millionen eigentlich dem vertragsärztlichen Bereitschaftsdienst zuzuordnen seien.
Hintergrund solcher Auseinandersetzungen ist der Auftrag des Gesetzgebers an die Kassenärztlichen Vereinigung, bei der Sicherstellung des Notdienstes mit den Krankenhäusern zu kooperieren. Ursprünglich ist die KV eine Standesorganisation, die vor allem die berechtigten Berufsinteressen der Kassenärzte zu vertreten hat. Sie ist allerdings auch eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Als solche verfügt sie über ein eigenes milliardenschweres Budget, welches sie an die Vertragsärzte für ambulante Gesundheitsversorgung zu verteilen hat. Darüber hinaus bestimmt die KV über die Anzahl der Praxen, die in einer Region betrieben werden dürfen.
Das Quasi-Monopol der KV für die ambulante Versorgung der Kassenpatienten ist zudem vom sogenannten Sicherstellungsauftrag gesetzlich abgesichert. Krankenhäuser, die ihrerseits ambulante Behandlungen anbieten, werden ebenfalls aus dem Budget der Kassenärzte finanziert und schmälern dieses.
Kassenarztsitze sind zudem auch eine Art Wirtschaftsgut. Sie können bei der KV gekauft, vererbt oder auch verkauft werden. Viele Landkreise haben deshalb in den vergangenen Jahren versucht, solche Kassenarztsitze zu kaufen und indirekt ihren Krankenhäuser zuzuordnen. Damit ist auch die Hoffnung verbunden, dass diese angestellten Ärzte ihre Patienten dem eigenen und nicht konkurrierenden Krankenhäusern zuweisen.
Ersatzkassen stellen KV-Monopol der ambulanten Versorgung in Frage
Auf einer Diskussionsveranstaltung des Verbands der Ersatzkassen hatte der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) Georg Baum den Sicherstellungsauftrag der Vertragsärzte für den Bereitschaftsdienst allerdings in Frage gestellt. Wo es stationäre Kapazitäten dafür gebe, müssten die Vertragsärzte keine Doppelstrukturen aufbauen, sagte Baum.
Mit der durch Landes- und Bundespolitik beabsichtigten Schließung kleiner Krankenhäuser auch in ländlichen Regionen, soll die ambulante Versorgung der Menschen entsprechend des Willens der Verbandsfunktionäre und geltenden Gesetzen vor allem den niedergelassenen Ärzten zugewiesen werden. Als Leitfaden dazu dient in Niedersachsen der im November 2014 veröffentlichte Rahmen „Gesundheitsregion Niedersachsen“. Darin werden die Kommunen aufgefordert zwischen den Interessengruppen zu moderieren. Sie verfügen jedoch nicht über einen „allumfassenden Machthebel“, heißt es in dem Leitfaden. Die Akteure des Gesundheitswesens sollen sich freiwillig im wachsenden Gesundheitsmarkt selbst organisieren.
Derzeit moderiert Zentralklinik-Sprecher Claus Eppmann im Auftrag des Landkreises Aurich und der Stadt Emden diese Vorgaben. Gleichzeitig werden die Planungen zur Zentralklinik im Sinne einer nicht mehr rückholbaren vertraglichen Vereinbarung im sogenannten Konsortialvertrag ”festgezurrt”. Der Vertrag soll am 29. September vom noch amtierenden ”alten” Kreistag und dem Rat der Stadt Emden abgesegnet werden. Aufgelöst werden kann er danach nur noch durch einen Volksentscheid oder durch ausbleibende Fördergelder durch das Land Niedersachsen.
Krankenhäuser in ländlichen Regionen bei ambulanter Versorgung zunehmend gefragt
Die strikte Trennung zwischen ambulanter und stationärer Gesundheitsversorgung steht seit Jahren in öffentlicher Kritik. Auch die Krankenkassen halten die Trennung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung der Menschen für nicht mehr zeitgemäß. Vor allen in ländlichen Regionen, in denen es immer weniger Arztpraxen gibt, müssten die Krankenhäuser die ambulante Versorgung der Menschen mit übernehmen.
Hier allerdings sorgt auch die 2004 unter Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) 2004 eingeführten und 2009 „scharf geschalteten“ Fallpauschalen bei ambulanter Versorgung der Menschen in Krankenhäusern für erhebliche Defizite. Pro Fall erhält ein Krankenhaus rund 36.- Euro, hat allerdings Betriebskosten von rund 130.- Euro.
Da kleine Arztpraxen nicht die gesamte Infrastruktur eines Krankenhauses – inklusive Personal – vorhalten müssen, sind Arztpraxen billiger als Krankenhäuser. Diese sind allerdings auch wieder auf die medizinische Infrastruktur eines Krankenhauses angewiesen. Darüber hinaus stellt der medizinische Fortschritt, der immer mehr einst stationär behandelbare Fälle in den ”ambulanten Sektor” abgeben kann, an diesen erhöhte Anforderungen. (Sogenannte blutige Entlassungen)
Ambulant-Versorgung durch Krankenhäuser soll den Menschen entzogen werden
Wegen der ungünstigen Kosten-/Erlössituation der Krankenhäuser bei ambulanter Versorgung, sollen auch Notfall-Ambulanzen der hiesigen Krankenhäuser den Menschen in den ostfriesischen Mittelzentren entzogen und auf die Grüne Wiese verlagert werden.
Welche Vorstellungen man auch in Ostfriesland als Ersatz für die bestehenden Krankenhäuser derzeit versucht zu entwickeln, wird u.a. am Beispiel Travemünde diskutiert. Für das geschlossene Priwall-Krankenhaus eröffnete dort im Mai 2005 die Praxis-Klinik Travemünde Die Versorgung der chirurgischen und internistischen Notfälle der Patienten findet neben dem normalen Praxisbetrieb von 8.00 bis 18.00 Uhr in den Praxen der Klinik statt. An den Wochenenden und den Feiertagen übernimmt das Klinik-Personal der SANA Kliniken die als Notfallambulanz ausgerüsteten Räume der chirurgischen Praxis. Im Umland der rund 216.000 Einwohner zählenden Stadt Lübeck gibt es derzeit allerdings 13 Krankenhäuser unterschiedlicher Fachrichtungen.
Ungesicherte Versprechungen
Zentralklinik-Sprecher Claus Eppmann erklärte bereits, dass das Konzept Travemünde nicht als „Blaupause“ für Ostfriesland gelten könne. Landrat Harm-Uwe Weber (SPD) hatte in der Vergangenheit mehrfach betont, dass eine ambulante Notfall-Versorgung der Bürger rund um die Uhr in den drei Mittelzentren sichergestellt werde.
Wie das realisiert werden kann, wird allerdings nicht beantwortet. Offen ist auch die Frage, wer das finanzieren soll. Theoretisch ist angedacht, das diese Versorgungszentren auf Kosten und Risiko der niedergelassenen Ärzte zu betreiben sind und nicht zu Lasten der geplanten Zentralklinik gehen dürfe. Nach den Vorstellungen des Sozialministeriums in Niedersachsen, haben sich darum die Städte und Gemeinden vor Ort zu kümmern. (jwi)
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