okj-Kommentar
von Jürgen Wieckmann
42 381 Bürger im Landkreis Aurich haben sich am vergangenen Sonntag beim Bürgerentscheid gegen die bestehenden Krankenhäuser in Aurich und Norden entschieden. Eine deutliche Mehrheit von 7261 Stimmen gegenüber 35 120 Bürgern die für den Erhalt votierten. Eilfertig ließ der SPD geführte UEK-Betriebsrat verlauten, dieses Ergebnis bedeute nicht, dass auch die Bürger der Stadt Norden gegen ihr Krankenhaus votiert hätten.
Klares Votum aus Norden gegen das Krankenhaus
Man muss sehr krumm im Kopf sein, um ein klares Wahlergebnis auf diese Weise umdeuten zu wollen. Auf die im Bürgerentscheid gestellt Frage, ob die bestehenden Ubbo-Emmius-Kliniken an den Standorten Aurich und Norden erhalten bleiben sollen, antworteten 54,81 Prozent der Norder mit Nein. Noch deutlicher ist das Ergebnis in der angrenzenden Samtgemeinde Hage. Hier sprachen sich 64,93 Prozent gegen den Erhalt des Norder Krankenhauses aus. In Großheide waren es gar 69,65 Prozent.
Damit folgten die Menschen der dringlich vorgetragenen Bitte – vor allem auch des UEK-Betriebsrats – bei der einfach zu verstehende Frage für den Erhalt des Krankenhauses mit Nein zu votieren. Unterstützt wurde er durch eine massive Werbekampagne, die mit rund 200.000 Euro aus kommunalen Steuermitteln finanziert wurde. Demokratie koste halt Geld, hieß es aus Kreisen der Befürworter des Vorhabens Zentralklinik.
Bürgerentscheide haben respektiert zu werden
Bei Wahlen ist es bekanntlich gute Sitte, dass der Wahlverlierer, hier Aktionsbündnis Klinikerhalt, dem Wahlgewinner gratuliert. Das schien diesmal niemanden in den Sinn zu kommen, vermutlich, weil man es wohl als zynischen Glückwunsch interpretiert hätte.
Der Hinweis des UEK-Betriebsrats, die Bürger hätten sich nicht gegen das Norder Krankenhaus, sondern für die bessere Alternative entscheiden wollen, kann man glauben. Zweifel sind dennoch erlaubt. Schließlich wurden auch die Emder Bürger in gleicher Weise wie in Norden mit Wahlreklame gegen das Krankenhaus medial bedampft. Bei knapp 62 Prozent der abgegebenen Stimmen für das Emder Haus verpuffte diese teure Kampagne dort – sponsered by OB Bornemann mit 100.000 Euro.
Bemerkenswerter Ritterschlag für Emder Krankenhaus
Jeder Klinikchef könnte sich auf dieses Votum der Emder etwas einbilden und auch Ärzte und Pflegekräfte dürften stolz auf dieses Ergebnis sein. Es mag sogar wertvoller sein, als die standardisierten Erhebungen über Patientenzufriedenheit, zu dem jedes Krankenhaus verpflichtet ist.
Zu verdanken ist dies vor allem auch dem einstigen Emder Klinikchef Ulrich Pomberg. Das sei an dieser Stelle hervorgehoben, in der Hoffnung, das auch Ulrich Pomberg hin und wieder zu den Lesern dieses Blogs gehört.
Verkaufskanone Claus Eppmann
Es lässt sich nun mal nicht vertuschen. Im Gegensatz zu den Emdern und Aurichern, haben die Norder nicht zu ihrem Krankenhaus gestanden. Dies kann nicht nur an der massiven Reklame des Vorhabenträgers Zentralklinik GmbH gelegen haben.
Dieser hatte ohnehin große Mühe den Bürgern etwas höchst virtuelles verkaufen zu müssen, etwas, was es nicht einmal als hübsches Modell gibt – oder neuzeitlicher gedacht – als 3D-Grafik mit einprogrammiert vor sich hin lächelnden und attraktiv designten Krankenschwestern. Das dies zumindest im Landkreis Aurich dennoch funktionierte, lag im wesentlichen an der Verkaufskanone Claus Eppmann. Rein sportlich betrachtet hat der Marketingmann eine beachtenswerte Leistung vollbracht.
Kreisinterne Konkurrenz: SPD Norden als Plattmacher
Bedeutsamer dürfte hier sein, dass vor allem die Norder SPD auf die kreisinterne Konkurrenz-Situation setzte, um die Bürger für ein Nein zum Erhalt ihres Krankenhauses zu bewegen. Wer gegen Georgsheil ist, so hieß es, muss damit rechnen, dass die Auricher die Zentralklinik bekommen.
Die mittlerweile schon in der zweiten Generation kommunaler Politikdarsteller zelebrierte Provinzposse zwischen zwei nicht mehr existenten Altkreisen, hat paradoxer Weise dem Norder Krankenhaus nun den Rest gegeben.
Ungeliebter Ambulant-Patient: Krankenhäuser neu erfinden?
Das gilt allerdings für den gesamten UEK-Verbund Aurich/Norden, den zu retten ohnehin eine Herkulesaufgabe sein wird. Ob die gelingt ist fraglich – mit den bekannten Führungsgenossen an der Spitze, dürfte die ohnehin nicht einfache Aufgabe zusätzlich erschwert werden.
Für das ostfriesische Mittelzentrum an der Nordseeküste wird es in den nächsten Jahren darauf ankommen, für hochwertige medizinische Versorgung nicht nur der Norder Bürger und des Umlandes zu sorgen, sondern auch in einer ausgewiesenen Tourismusregion, die eigentlich auf ein Krankenhaus angewiesen ist.
Vermutlich wird man in Norden „Krankenhaus“ neu erfinden müssen – vor allem auch in der Aufwertung und dem Ausbau des sogenannten ambulanten Sektors. Dazu bedarf es jedoch auch in der Kommunalpolitik „helle Köpfe“. Die ewig gestrigen Politikdarsteller die nur ihre Provinzpossen zelebrieren, wären gut beraten, sich bis zu ihrer endgültigen Abwahl auf die Rolle eines Maskottchen zu beschränken und jene, die nun eine wahrliche schwierige Aufgabe zu bewältigen haben, nicht all zu sehr auf die Nerven zu gehen.
EIL: Weber verkauft UEK an Privatinvestor
Die entgegen sonstigen Gepflogenheiten des Internet-Blog „Ostfriesisches Klinik Journal“ äußerst holzschnittartige und einer bekannten Boulevarzeitung nachempfundene Titelzeile, sorgte in den sozialen Medien für viel Aufregung.
ON-Chefredakteur Stephan Schmidt sah sich umgehend dazu verpflichtet, quer durchs Netz Warnhinweise zu versenden. Die okj-Meldung, die sich auf seinen online-Bericht der Ostfriesischen Nachrichten stützte, wäre „Fake-News“.
Zwar hielt sich diese Meldung streng an das, was auch ON vermeldete – allerdings spielte dies im Verlauf leicht hitziger Kommentar-Abfolgen keine Rolle mehr. Nebenbei bemerkt, ein durchaus interessanter Effekt, der mal wieder bewies, das Überschriften einer Nachricht wohl bedeutsamer sind, als die Meldung oder der Bericht selbst.
Politsprech mit Salamitaktik
Seltsam auch das Palaver etlicher Mitdiskutanten, die vor lauter Erregung wegen der Überschrift, offenbar schon vergessen hatten, was der noch amtierende Landrat Harm-Uwe Weber (SPD) aber auch Chefplaner Claus Eppmann monatelang als Dauerschleife und in unmissverständlicher Klarheit dargelegt hatten.
Sollte das Vorhaben Zentralklinik am Bürgerentscheid scheitern, werde als wahrscheinlichste aller Lösungen privatisiert werden müssen. Diesen Befund als „Drohkulisse“ zu betrachten, verbat sich Eppmann und gab deutlich zu verstehen, dass er hier nicht als politisch opportuner Märchenerzähler zu betrachten sei. Er sehe sich verpflichtet Wahrheiten auszusprechen – auch wenn sie niemandem gefallen.
Für wie blöd man Bürger halten kann
Gegenüber ON sprach Weber von einer „Option“ – was typische Augenwischerei hinlänglich bekannten Politsprechs ist. Man muss schon sehr naiv sein, würde man annehmen der Hauptverwaltungsbeamte träfe sich mit einer an der UEK interessierten „großen Krankenhausgesellschaft“, weil er dort etwas über seine Kindheitserinnerungen erzählen oder mit Glasmurmeln spielen will.
Hier trifft sich seitens des Landkreises Aurich nicht irgendeine untergeordnete Ebene mit einem potentiellen Investor, sondern der Chef höchst persönlich. Und: dieser Chef hat in seiner Jackentasche einen Bürgerentscheid, der ihn zweifelsfrei legitimiert, die bestehenden Krankenhäuser zu schließen und eine Zentralklinik in Georgsheil zu errichten. Einen privaten Investor mit ins Boot zu holen ist unter diesen Vorzeichen keine „Option“, wie Weber versucht zu erzählen – es ist zwingend geboten. Das jedenfalls, wenn – wie erklärt – diese Zentralklinik für alternativlos gehalten wird.
Wohl nur Theorie: Ostfriesischer Krankenhaus-Verbund
Nur theoretisch könnte man sich noch vorstellen, das sich die Landkreise Wittmund und Leer an dieser als „Jahrhundertprojekt“ bezeichneten Zentralklinik auf der Grünen Wiese beteiligen.
Dazu braucht man sich aber nur in die Rolle eines Klinikchefs aus Wittmund oder Leer zu versetzen. Dort beobachtet man seit Jahren, wie der Krankenhausverbund Aurich/Norden nicht nur allein durch eine kreisinterne Konkurrenzsituation an die Wand gefahren wurde. Was Weber anfasst, geht schief, konnte man schon vor Jahren in den Zeitungen lesen.
Mehr als ein Stück Butterkuchen und die Tasse Tee dürfte der noch amtierende Landrat aus Aurich bei den Sondierungsgesprächen in der Nachbarschaft nicht erhalten.
Wer den Bürgerentscheid gegen den Erhalt der bestehenden Krankenhäuser in Aurich und Norden unterlaufen will, kann sich höchstens noch darauf berufen, das sowohl bei Kritikern wie auch Befürwortern der Zentralklinik eine Privatisierung der Krankenhäuser nicht gewollt ist.
Public-private-Partnership
Allerdings bedarf es auch hier keiner besonderen politischen Kunstfertigkeiten, um diese Haltung aller Bürger zu unterlaufen. Hier reicht ein Blick zu den Auricher Stadtwerken – ein Unternehmen, an dem die Stadt Aurich 60 % und die Firma Enercon 40 % Anteile hält.
Übertragen auf die geplante Zentralklinik, die offenkundig mit aller Macht in den ostfriesischen Moorboden gerammt werden soll, erledigt sich auch der Hinweis des SPD-Landtagsabgeordneten Wiard Siebels. Er erklärte, dass die in Aussicht gestellten Fördergelder nicht von privaten Krankenhausbetreibern abgerufen werden könnten. Öffentlich-Private Partnerschaften umschiffen derartiges jedoch mit Leichtigkeit.
Genosse Sachzwang mit Maulkorb ist immer dabei
Somit braucht man weder spekulieren noch Verschwörungstheorien produzieren. Der Auricher Kreistag wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einer öffentlich-privaten Partnerschaft mit einer „großen Krankenhausgesellschaft“ zustimmen. Es wird ihm bei der fast aussichtslosen Lage, in die der UEK-Verbund Aurich Norden unter Landrat Harm-Uwe Weber geraten ist, kaum anderes übrig bleiben.
Und letztlich – schlicht formaldemokratisch betrachtet – hat sich der Einsatz von 200.000 Euro Steuergeld womöglich doch gelohnt. Die SPD im Auricher Kreistag kann sich jedenfalls auf das Ergebnis dieses Bürgerentscheids stützen und wer das in diesem Sozen-Verein noch nicht begriffen hat, aufmuckt und den Abweichler gibt, dem wird es der noch amtierende Landrat beizeiten schon beibringen wie hier abzustimmen ist – wegen der vielen Sachzwänge, die sich in seiner Amtszeit vor allem auch durch hausgemachte Probleme angehäuft haben.
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