okj-Kommentar
von Margitta Schweers
Die meisten in meinem Umfeld kennen meinen Spruch: „Ich wollt doch nur Unterschriften sammeln.…“ Im Februar hab ich mich empört auf die Strasse begeben, bewaffnet mit Unterschriftenlisten, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass drei Städten ihr Krankenhaus weggenommen wird. Ich bin gesund, ok meine Tochter nicht und für die fahre ich weit in Deutschland herum, um für Gesundung zu sorgen. Das klappt nicht in Ostfriesland und ich nehme es in Kauf, dass für besondere Behandlung besondere Fahrtzeiten zu leisten sind. Wenn wenigstens die Grundversorgung hier stimmt. Aber ich frag mich natürlich, warum ich das überhaupt so akzeptiert habe? Warum ich brav wie die anderen Schäfchen den Mund halte?
Das war für mich der Anfang einer langen Reise ins Gesundheitssystem des Landkreises Aurich. Es folgten Gespräche. Mit Menschen, Patienten, Wirtschaftsinteressierten, Rechtsberatern, Medizinern von Krankenhaus und dem Umfeld, Politikern. Das Resultat aus den Gesprächen ist leicht zusammenzufassen: Es gibt Probleme!
Was auch immer zu der Schieflage hier geführt hat, soll mal völlig egal sein. Ich will hier nicht eingehen auf fehlende Information, fehlendes Gespräch, fehlende Kooperationsbereitschaft, Inkompetenz und mangelnde Ausbildung auf der Führungsebene. Ich schieb das mal blind zur Seite.
Ich beschäftige mich lieber mit Inseln!
Falsch ausgedrückt – mit Insellösungen. Endlich sind die Krankenhausärzte erhört worden. Den Krankenhaus-Ärzten dürfte es zu bunt geworden sein. Sie haben einen wichtigen Job zu erfüllen. Leben retten auf höchstem Niveau. Genau das ist es, was sie gelernt haben und was wichtig ist. Wenn da nicht die blöde Buchführung wäre. Und diese Ärzte sind wichtig. Sie sind doch in schlimmsten Situationen die letzte Rettung.
Und da die schiffbrüchige Führungsebene derzeit ja verzweifelt im Meer der neuen Abrechnungssysteme und Gesetzgebungen rudert, erstrahlen die Mediziner der Krankenhäuser plötzlich als einziger Retter. Muss ja auch so wirken, jeder kennt das Bild des Verdurstenden, der in der Wüste plötzlich die saftig-grüne Insel entdeckt. Doch das ist eine trügerische Insel, denn meist steckt eine Fata Morgana dahinter.
Blicken wir mal auf die Mediziner der Krankenhäuser. Da wird mir doch im Gespräch von Ärzten mitgeteilt:
- 80 Prozent der sogenannten Patienten hat in der Notfall-Aufnahme nichts zu suchen!
- 80 Prozent der sogenannten Patienten hat in einer Inneren-Abteilung des Krankenhauses nicht zu suchen!
Ich denke, diese Aussage wird auf den geneigten Leser erst mal wirken müssen, wie auch auf mich, als ich das das erste Mal gehört habe.
Kämpferisch hab ich geantwortet, dass es um Menschen geht, die dort sehr wohl eine Daseinsberechtigung haben, die dort Hilfe erhalten, die sie nötig brauchen. Das sind doch keine Kriminellen, die sich Leistungen erschleichen!! Das milde „Ach Frau Schweers“ hab ich noch immer im Kopf und auch die Erklärung der Ärzte, dass die Leistungen, die das Krankenhaus dort erbringen muss, auch von den niedergelassenen Ärzten erbracht werden könnte. So ist dann die Planung, die das eventuelle Zentralklinikum begleiten wird. Schnibbeln unter höchster und akuter Gefahr für Leib und Leben oder Grosseingriffe – bestenfalls noch Routineeingriffe, die unter Vollnarkose stattfinden. Frei nach dem Motto: „Wir sind Helden“ und danach weg mit dem Patienten zum nächsten Behandler.
Das mag aus Insel-Sicht des Krankenhausarztes so stimmen – leuchtet auch ein, dass Schnittverletzungen und Bagatellkrankheiten nichts im Krankenhaus zu suchen haben. Vielleicht definiert der Patient das Krankenhaus auch falsch. Vielleicht sollte die Bezeichnung auf Schild vor dem Krankenhaus „letzter Schnittplatz vor Friedhof“ lauten. Das Leben eines Krankenhaus-Arztes macht doch erst Sinn, wenn er die Hüfte ersetzen kann oder wenigstens ein nettes Karzinom aus dem Gewebe schälen darf. Leuchtet ein. Tragen wir den Patienten also zur nächsten Insel.
Auf zu den niedergelassenen Ärzten
Niedergelassene Ärzte können sich gar kein Urteil bilden – es fehlt an, wen wunderts (?) – Informationen.
Was ich dort höre, ist ebenso erstaunlich! Da wird von blutigen Entlassungen gesprochen – Menschen tauchen in Praxen auf mit den Worten: „Ich komm aus dem Krankenhaus und soll mich noch am gleichen Tag beim Hausarzt melden.“ Entlassungsbrief? Fehlanzeige! Was für den Hausarzt dann folgt ist eine Gesamtuntersuchung, die er sich abrechnungstechnisch selber zahlen darf, denn der Patient ist ja behandelt – nur noch nicht fertig… Und nebenher muss der Arzt dann vielleicht diverse Schnittverletzungen und chronisch Kranke behandeln. Eine Platzwunde nähen? Ist das nun ein Notfall aus Sicht des Krankenhauses oder nicht? Irritation macht sich auf der Insel breit.
Wie oft näht man in so einer Hausarztpraxis? Steht dort genügend Sterilgut zur Verfügung? Etwa eine Spezial-Helferin, die assistiert? Was soll der niedergelassene Arzt tun, wenn auf einer örtlichen Feier die berühmte Flasche auf dem Kopf eine Narbe im Gesicht hinterlassen hat. Das ist ein schwieriges Unterfangen, dort eine möglichst hübsche Naht zu produzieren, damit es später nicht zu Regressforderungen durch den Patienten kommt. Wer näht schon gern im Gesicht? Welche medizinischen Geräte muss ein niedergelassener Arzt anschaffen, um vorher analysieren zu können, was richtig und wichtig ist? Und es gibt auch auf dieser Insel den wirtschaftlichen Aspekt.
Budget, Budget, Budget.…
Na klar – die niedergelassenen Ärzte sind auch eingeschränkt. Ihr Mass an zugeteilten Patienten ist mehr als voll. „Dann müssen mehr Ärzte her – das ist mal klar“ – mir als Unterschriftensammlerin leuchtet nur das als Lösung ein. Falsch – mehr Ärzte gibt’s nicht – die Zuteilung an niedergelassenen Ärzten ist nahezu ausgeschöpft. Und so höre ich zusätzlich noch von, durch den Landkreis, aufgekauften Praxen und Kliniken. Ich höre von Ärzten, die hier zwar behandeln möchten, aber keine Zulassung bekommen. Von Fachärzten, die plötzlich nicht mehr am Krankenhaus sind, dort aber ihre Patienten hatten. Diese Patienten kommen klamm heimlich auch noch zu den Kassenärzten…
Ganz schönes Durcheinander auf dieser Insel – ob ich meinen Patienten hier ablegen möchte???
Gibts noch andere Inseln?
Pflegerisches oder therapierendes Personal?
Klar – aber die helfen nur bei der Nachsorge – und zwar punktuell und knapp bemessen.
Es sei mir gestattet, dass ich etwas irritiert bin. Auf welche Insel schleppe ich denn nun meinen Patienten? Wo gibt’s die Hilfe und Heilung, auf die er Anspruch hat? Immer mehr erscheint es mir, als würde nun ungleich verteilt.
Jetzt nur den Überblick nicht verlieren!
Auf mich prasseln Eindrücke nieder und ich beginne zu verstehen, wie komplex das Thema Gesundheitsvorsorge eigentlich ist – vor allem hier in Ostfriesland. Lange Zeit wurden vor Umstrukturierungen und medizinischem Fortschritt die Augen verschlossen – vermutlich aus Gründen der Überforderung. Den Filz, der manchmal als lokales Pflaster dienen sollte, erwähne ich zwar, aber lasse ihn unkommentiert.
Als Krönung und Belohnung eines guten Widerstandskämpfers darf man wohl das Regionalgespräch betrachten. Man ist geladen – wütend – vorbereitet! Weiss, welche Personen mit Filzpflastern operieren, weiss über die Vergangenheit und die Fehlhandlungen. Und da steht dann plötzlich der Touristik-Experte in Sachen Insellösungen vor einem. Der Staatssekretär! Sein Ziel wird klar – nach kurzer Zeit! Auch er sieht die Insel der Klinikärzte als richtig und wichtig an. Letzte Zweifel müssen ausgeräumt werden und munter verspricht er Lösungen. Ein Ärztehaus in drei Städten muss her – eine weitere Insel muss geschaffen werden. Die bisherigen Inseln mit all ihrer Fehlbewirtschaftung verschwinden auf dem Meeresboden – wie Atlantis. Die Reise nach Zentralklinik-Island scheint gebucht zu sein – keine Alternativen mehr möglich. Aber leider ist dieser Aufenthalt nicht all-inclusive buchbar.
Politiker, beschäftigt Euch auch mal mit den Pauschal-Touristen des Gesundheitssystems.
Nun sei mir, als Laie, ein kurzer Verschnaufmoment gestattet. Ich versuche, mich wieder auf die Gegebenheiten zu konzentrieren – was mich dabei behindert, ist der blöde Patient. Niedergelassene Ärzte gibt’s zu wenig – und deren Bereitschaft, sich durch Wochenend- oder Feiertagsdienst auch noch das knappe Budget zu zerschiessen, geht gegen Null. Wer soll also in diesen Ärztehäusern sitzen, die kommen sollen? Welche Qualifikation und Ausstattung sollen der Patient dort finden? Krankenhaus-Ärzte arbeiten zu Recht nicht unter Niveau. Therapeuten und Pflegedienste sind bis über beide Ohren voll. Krankenhäuser arbeiten derzeit wirtschaftlich grottenschlecht.
Argumentationen von allen Inseln gehen sogar so weit, dass der Patient als lebensuntauglich dargestellt wird. Früher sei man doch auch nicht wegen jedem Pipifax zum Arzt gerannt.… Spätestens jetzt sei mir gestattet, ein deutliches HALT in die Landschaft zu brüllen. Ich verstehe, dass in diesen Zeiten jede Insel einen hohen Zaun braucht, um nicht überbevölkert zu werden. Ausländerpolitik mal anders. Ich als Bürger darf auf jeder Insel die Frage stellen: Und was ist mit dem Patienten? Und solange ich auch nur auf einer einzigen Insel Achselzucken sehe, stimmt was an der Gesamtplanung nicht.
Ich erwarte, dass sich die Entscheider mal in ein Flugzeug setzen und die Welt von oben, mit den Augen des Bürgers, betrachten. Das nennt man wohl betriebswirtschaftlich: Den Bedarf ermitteln. Und das bedeutet nicht, dass die Entscheider von oben die spärlich gefüllte Geldbörse auf eine der Inseln herabplumpsen lassen sollen.
Ich erwarte, dass ein vernünftiges Konzept erstellt wird, das Brücken baut zwischen den Inseln. Zum Wohle des Patienten klingt etwas dramatisch und wirkt auf den Mediziner im Arbeitsalltag wie eine Fröhlichkeitspille – sollte aber über allem stehen. Und ich erwarte, dass ein bedarfsgerechtes Konzept erstellt wird. Ich bin dabei als Laie sogar bereit, über die Benennung oder die Platzierung des Systems zu verhandeln. Es ist völlig egal, ob die wohnortnahe, vollumfängliche Versorgung in einem Krankenhaus stattfindet oder in einer Telefonzelle mit exklusiv befülltem Erste-Hilfekasten. Aber sie hat stattzufinden – und zwar gut, auf wünschenswert hohem medizinischen Niveau. Und es darf mir als Patienten dabei völlig egal sein, wer sich finanziell darum kümmert! Am Ende zahlen wir Patienten es ohnehin über unsere Versicherungsbeiträge.
Es ist Zeit, ein Konzept zu entwickeln (oder andernorts abzugucken), was für den Patienten die Linderung und Heilung seiner körperlichen Beschwerden mit sich bringt. Und wenn es die Zentralklinik werden soll, so darf so ein Konzept nicht einbeinig werden und alle anderen Punkte, bei denen es schon lange hapert, einfach ausser Acht gelassen werden. Spätestens jetzt ist es an der Zeit, mal zu prüfen, wo wir in Ostfriesland überhaupt medizinisch stehen. Auch und besonders, weil es noch lange dauert, bis eine eventuelle Zentralklinik die Türen öffnen soll. Was passiert unterdessen? Werden für die Planungs- und Bauzeit alle Patienten nach Mallorca geschickt??
Bevor nicht eine tragfähige Lösung für das JETZT – also für das Hier und Heute entwickelt wird, die sowohl die Nachsorge der Krankenhausfälle sowie eine Notfall-Versorgung der „Bagatell“-Notfälle, die Pflege, die kurzen Wege zu einer Behandlungsstelle etc. geregelt sind, schliesst sich eine Diskussion über eine Zentralklink aus – oder anders gesagt: Die Insel wird versenkt! Und zwar ohne einen einzigen Blick auf irgendeinen Reisekatalog zu werfen, der vor dem Urlaubs-Wohnmobil rumliegt.
JETZT braucht der Patient die Behandlung, die ihm zusteht. Da hilft es auch nicht, dass zukünftig die Insel eine neue Hausnummer erhält, wenn man die eigentlichen Probleme nicht erkannt hat oder erkennen will. Während sich die Politik über Begrifflichkeiten und Finanzierung unterhält, unterhalten wir Kritiker uns über den Patienten. Und trotz der derzeitigen Hitze werden wir nicht müde, eben diesen Patienten in den Vordergrund zu stellen.
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