okj-Kommentar
von Jürgen Wieckmann
Eines muss man Hilko Gerdes lassen. Der Mann spricht die Wahrheit. An der ökonomischen Lage des UEK-Verbunds Aurich Norden ist nichts mehr zu reparieren. Man ist praktisch insolvent, schreibt er. Mit diesem unerfreulichen Befund im Nacken, erklärt sich auch, warum die für dieses Fiasko Verantwortlichen des Landkreises mit aller Macht und gegen den Willen der Bürger eine Zentralklinik durchdrücken wollen. Bis zu einem gewissen Grad, kann man das sogar nachvollziehen. Doch anders als „im richtigen Leben“ haften die politischen Entscheidungsträger nicht mit ihrem eigenen Vermögen für ihr Unvermögen.
Die Leidtragenden sind am Ende die Steuerzahler und – im Falle der Planungen Zentralklinik – die Bürger, denen die wohnortnahen Krankenhäuser nun geschlossen werden sollen. Rücktrittsforderungen, etwa in Richtung des politisch Hauptverantwortlichen, Landrat Harm-Uwe Weber (SPD), sind im politischen Geschäft üblich – und (zugegeben) auch ein wenig billig. Wäre es doch das Beste, was dem Landrat derzeit widerfahren könnte. Weder würde ihm sein Einkommen auf Hartz-4-Niveau reduziert werden, noch hätte er die Sorgen seiner Nachfolger, die das Problem zu erben hätten. Das kann man eigentlich niemanden wünschen.
Jahrzehnte organisch gewachsener Filz
Was in den Kreisen des Aktionsbündnis viele Mitglieder auf die Palme bringt, ist, das sich ausgerechnet diese Führungsfiguren nun anschicken, eine Zentralklinik auf die Beine stellen zu wollen. Wer noch in der Lage ist aus schlechten Erfahrungen zu lernen, dem dürfte das Blut in den Adern erstarren. Das dies augenscheinlich nicht einmal Befürwortern einer Zentralklinik so ergeht, lässt nur einen Schluss zu. Die Kommunalpolitik im Landkreis Aurich steckt bis über beide Ohren seit Jahrzehnten im organisch gewachsenen Filz.
Somit dürften die wohl klingenden Forderungen von Gerdes nicht viel wert sein. ”Mit einer völlig neuen Führungsmannschaft in politischer, betriebswirtschaftlicher und medizinischer Hinsicht einen unvorbelasteten Neuanfang wagen”? Das kann man glatt unterstützen. Allerdings wird sich der CDU-Mann fragen lassen müssen, wo „seine“ Christdemokraten denn waren und was sich die CDU einst gedacht hat, ausgerechnet den SPD-Kandidaten Weber für das Landratsamt auf den Schild zu heben. Einen Kandidaten, dem selbst etliche Sozialdemokraten diesen Job schon als zuständigen Krankenhaus-Dezernenten unter seinem Vorgänger Walter Theuerkauf nicht wirklich zugetraut haben.
Gleiches galt auch für Webers Schützling, den früheren UEK-Geschäftsführer Jann-Wolfgang de Vries. Ein sicher fachkompetener Verwaltungsbeamter, der in dieser Rolle nun mal den Weisungen seines Dienstherren Weber zu folgen hatte. So musste de Vries oft als „öffentlicher Schmutzfänger“ seinen Kopf für das hinhalten, was ihm nach Beamtenrecht sein Chef aufgetragen hat. Doch Krankenhaus-Management ist etwas entschieden anderes als die Welt einer Kreisverwaltung.
Für nachhaltige Mißwirtschaft gibt’s ein neues Krankenhaus
Spätestens als der Erste Kreisrat aus Leer, Rüdiger Reske das offensichtliche „Geschäftsgeheimnis“ des Leeraner Klinikum der Ostfriesen-Zeitung (OZ) verriet, hätten bei der Auricher Politik die Alarmglocken schrillen müssen. „Ich werde immer wieder gefragt: Wie macht ihr das mit dem Klinikum“, wird Reske in der OZ zitiert. Andere Krankenhäuser schreiben tiefrote Zahlen, wie etwa in Emden und Aurich, in Leer hingegen sind die Zahlen schwarz und investiert wird auch noch in zweistelliger Millionenhöhe. Reskes Erklärung: Der Landkreis konzentriere sich als Eigentümer auf die Kontrolle, mische sich aber nicht ein. „Wir sagen weder, wie man betriebswirtschaftlich handelt, noch, wie man einen Blinddarm operiert.“ Zudem gebe es am Klinikum „ein gutes Zusammenspiel zwischen kaufmännischer und medizinischer Leitung“.
Was Gerdes der geneigten Leserschaft zumutet, ist eine aberwitzige Argumentation. Eine Auricher Kreistagsabgeordnete bringt es auf den Punkt. Gerdes erkläre letztlich, dass der Zug in Aurich abgefahren ist. Die Konsequenz? Nur lange genug mißwirtschaften, dann gibts ein neues Krankenhaus.
Dass das Aktionsbündnis für den Klinikerhalt mittlerweile von einer ganz anderen Ebene her Unterstützung erfährt, war bis dato selbst den Aktivisten nicht bekannt. Dank Gerdes weiß man nun auch in diesen Kreisen, dass die Geschäftsführung des Leeraner Klinikums mit allen politischen und rechtlichen Mitteln die Zentralklinik zu verhindern versucht. Eher rhetorisch stellt Gerdes die Frage, warum sie das wohl tut.
Kreisinterne Konkurrenzsituation: Gegeneinander statt miteinander
Die Antwort hätte er sich auch selbst geben können. Die Leeraner standen vor 10 Jahren vor einer vergleichbaren schwierigen Lage wie die Auricher. Mit einer gewaltigen Kraftanstrengung hat man sich allerdings „zukunftssichere Strukturen“ geschaffen. Ein auch in Leer überaus schmerzhafter Prozess. Doch während man in Leer professionell agierte, verrannte man sich im Landkreis Aurich im Dauerstreit zwischen zwei nicht mehr existierenden Altkreisen. Laut Weber, sei es eben auch die „kreisinterne Konkurrenzsituation“ gewesen, die mit dazu beitrug den Rettungsplan Bredehorst scheitern zu lassen.
Vor dem Hintergrund ist es natürlich verständlich, wenn man in Leer „not amused“ ist, wenn ausgerechnet denjenigen, die offenkundig ein Krankenhaus final in den Ruin fahren, anschließend noch Millionen-Summen aus Steuermitteln hinterher geworfen bekommen.
Aber vielleicht hat man in Leer auch die Ausführungen des Auricher Bürgermeisters Heinz-Werner Windhorst zur Kenntnis genommen. Für ihn steht fest, dass der vom Landkreis Aurich aufzubringende Eigenanteil für die schicke Zentralklinik nicht bezahlbar ist, trotz Förderung aus Hannover. Doch wer seinen Anteil nicht zahlen kann, werde früher oder später an private Investoren verkaufen müssen, so Windhorst. Auf diesen Moment würden Helios, Askepios, Fresenius und andere nur geduldig warten. Er, Windhorst, gehe davon aus, dass mit der Zentralklinik ein ruinöser Wettbewerb der ostfriesischen Krankenhäuser eröffnet werde. Weber kommt dieser ”Privatisierungskeule” immerhin noch zuvor – wobei sie in Webers Darlegungen ”nebenbei” prima geeignet ist, die Mitarbeiter der UEK gefügig zu machen aber auch die Bürger in Angst und Schrecken zu versetzen.
Krankes Gesundheitssystem auf Bundesebene
Sollte der Bürgerentscheid gegen den Bau einer Zentralklinik auf der Grünen Wiese erfolgreich sein, dürfte das der Anfang vom Ende des noch amtierenden Landrats werden. Dieser Entscheid der Bürger, würde nämlich einen Plan‑B erfordern – und – das kann man schon heute prognostizieren – der dürfte u.U. auch vielen Aktiven des Aktionsbündnisses nicht gefallen. Es könnte vielleicht darauf hinauslaufen, dass jenes medizinische Konzept, welches für die Zentralklinik auf der Grünen Wiese von Dr. Christoph Schöttes einst vorgestellt wurde, dort etabliert wird, wo es möglicherweile gut aufgehoben wäre – im Klinikum Leer.
Doch so zu denken kommt einem Sakrileg gleich – die Prügel sind einem gewiss. Auf längere Sicht wird ein gesamtostfriesisches Konzept aber wohl unumgänglich sein – mit einem starken kommunalen Krankenhausverbund. Doch dazu müsste man auch in Ostfriesland endlich aufhören, das beliebte und auch geförderte Spiel ”jeder gegen jeden” zu spielen. UND: das ist das Entscheidende, es muss für die wohnortnahe Grund- und Regelversorgung der Bürger das gleiche gelten, was man für die Zentralklinik verspricht „Qualitativ hochwertige Medizin“. Im Gesundheitssystem steckt genug Geld, um die zweifelsfrei chronische Unterfinanzierung dessen aufzulösen, was man despektierlich ”medizinischen Kleinkram” nennt.
Die Systemfrage bleibt ausgespart
Bei aller notwendigen Kritik am Auricher Mißmanagement auf Führungsebenen: Hendrik Siebolds, Ratsherr der Linken im Auricher Stadtparlament, hatte schon vor Monaten in einem OKJ-Interview das tiefer liegende Kernproblem angesprochen: ”Wir haben eine Krankenhausfinanzierung, die gut die Hälfte der Krankenhäuser in den Ruin, in die Privatisierung oder die Zentralisierung schickt”. So werde massenhaft wohnortnahe Versorgung abbaut. Hier sei vor allem das System krank.
Da könnte man sich wünschen, dass wenigsten die Region Ostfriesland dem System Paroli bietet – die Bürger aufstehen – und sich nicht mehr alles gefallen lassen. Doch mit den üblichen Verdächtigen der hiesigen Kommunalpolitik – die derzeit gegen die Bürger eine beinharte ”Top-Down-Strategie” fahren – dürfte das eine Illusion bleiben.
Zugespitzt stellt sich nur noch die Frage, ob jetzt die üblichen Verdächtigen oder die wohnortnahen Krankenhäuser zu verschwinden hätten. Das allerdings werden am Ende des Tages nur die Bürger zu entscheiden haben.
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