okj-Kommentar
von Jürgen Wieckmann
Aurich/Emden (okj) – Nein, eine „Klinikwahl“ war das im Landkreis Aurich nicht. Die spielte sich mit dramatischen Verlusten für die SPD nur in Emden ab. Mit 20,12 % und neun Sitzen schaffte es dagegen die Wählergemeinschaft „Gemeinsam für Emden“ (GfE) in den Emder Rat. Gründungs-Impuls der GfE war die erklärte Absicht des Emder Oberbürgermeisters Bernd Bornemann (SPD), das örtliche Krankenhaus aufzugeben und gemeinsam mit dem Landkreis Aurich eine Zentralklinik auf der Grünen Wiese in Georgsheil errichten zu wollen.
Während die Emder Kommunalpolitik – mit nur einer Ausnahme – ”wie ein Mann” geschlossen hinter der Idee ihres Oberbürgermeisters stand, war man sich im Landkreis Aurich wohl nicht so sicher. Im Wahlkampf tauchte die SPD komplett ab. Nur ein einziger SPD-Kandidat, Gerd Zitting, bekannte sich im Rahmen einer Umfrage des Aktionsbündnisses Klinikerhalt bei allen Kreistags-Kandidaten offen zur Zentralklinik. Das nötigt selbst einem Kritiker des Vorhabens einen gewissen Respekt ab.
Dagegen versuchten Teile der Norder SPD die Veröffentlichung der Namen ihrer Kreistags-Kandidaten zu verhindern, die sich für das Projekt aussprechen. Wohl noch rechtzeitig bemerkte man, dass derartiges bös nach hinten losgehen kann und verteilte flugs Musterbriefe, die einige Kandidaten dann tatsächlich dem Aktionsbündnis übermittelten. Grundtendenz: wir wissen auch nicht so genau was wir wollen, das aber mit aller Entschiedenheit. Das seltsame Papier war wohl dem Umstand geschuldet, dass die SPD selbst in dieser Frage tief gespalten ist. Ein Zustand, der – bis auf die Linke – für alle Parteien gilt und in der Wahlkampfzeit nur mühsam verdeckt werden konnte.
Bürgerbegehren ja – aber bitte nicht jetzt
Die Kommunalwahl fest im Blick, machten sich vor allem SPD-Kandidaten einen schmalen Fuß und befürworteten eilfertig ein Bürgerbegehren, welches sie zuvor abgelehnt hatten. Das war natürlich eine komplett inhaltsbefreite Ansage, es sei denn, man mag sich vorstellen können, dass sich mitten im Wahlkampf irgendein Kandidat hinstellt und gegen Bürgerentscheide zu Felde ziehen würde.
Der einzige der von den sogenannten ”Großparteien” in einer entscheidenden Abstimmung im Kreisauschuss wirklich für ein Bürgerbegehren stimmte, war der CDU-Abgeordnete Hermann Reinders aus Norden. Er ließ es sich auch nicht nehmen, sein Votum für das Bürgervotum als Anzeige in der Tageszeitung „Ostfriesischer Kurier“ zu veröffentlichen. Das brachte ihm prompt den Vorwurf wahltaktischer Spielereien ein, was jedoch eher nicht zutraf. Reinders hatte für sein Votum die volle Rückendeckung der Norder CDU, die sich unmissverständlich gegen die Planungen einer Zentralklinik und letztlich für das Norder Krankenhaus einstimmig positioniert hat – und das nicht erst seit gestern.
Mit ihrem auffälligen Abtauchen blieb der SPD im Landkreis Aurich immerhin ein vergleichbares Wahldesaster wie in Emden erspart. Allerdings benahm sich die CDU im Landkreis auch mehr als „Leisetreter“, wischten ihren Kollegen in Norden noch eins aus, in dem sie alle ihre Kreistags-Kandidaten in einer großen Postwurfsendung als jene vorstellten, die für die Zentralklinik einstehen. Darunter auch jene Kandidaten aus Norden, die das erheblich anders betrachten.
Da hatte die Norder CDU Glück gehabt, dass die Mehrheit der Menschen die Wahlreklame gleich in die blaue Tonne werfen. Nur in sozialen Medien wurde die Norder CDU als unglaubwürdig angeprangert und hatte dort einiges zu tun, um die Dinge wieder klar zu stellen – möglichst so, das man den eigenen Laden nicht dumm aussehen lässt.
Der einzig wahre Vorkämpfer für die Zentralklinik
Der Einzige, der als glaubwürdiger Vorkämpfer für die Zentralklinik agierte, war Zentralklinik-Sprecher Claus Eppmann. Dieser erhöhte während des Wahlkampfs die Schlagzahl seiner „kleinteiligen Vortragsabende“, die eher ein schlichtes Coaching für verunsicherte Kommunalpolitiker war. Dem einen oder anderen konnte man leicht anmerken, dass er „seinen Eppmann“ gelernt hat und durchaus stolperfrei aufsagen konnte. Ansonsten wirkte die Dauerreklame pro Zentralklinik streckenweise wie das bekannte laute Pfeifen in einem sehr dunklen Wald.
Notgedrungen ”dumm gestellt” ?
Eher amüsant war der von einigen politischen Befürwortern vielfach gegebene Hinweis, man habe zu wenig Information, um eine Haltung zur Zentralklinik zu haben. Da konnte man sich eigentlich nur noch an den Kopf fassen. Fast täglich senden Befürworter wie Kritiker ihre jeweilige Bewertung – das Thema beschäftigt die Menschen in der Region wie kaum ein anderes. Wer sich sich da noch als Kreistagskandidat „dumm stellte“, hat im obersten politischen Gremium des Landkreises eigentlich nichts zu suchen.
Das „Dumm stellen“ dürfte jedoch mehr damit zu tun gehabt haben, dass alle wissen, dass dieses Projekt in der Region nicht jene „gesellschaftliche Akzeptanz“ findet, die Niedersachsens Sozialministerin Cornelia Rundt als eines der Kriterien benannt hat, von denen die Bewilligung der Fördergelder auch abhängig ist – neben den rein wirtschaftlichen Aspekten.
Das nehmen die Kritiker des Vorhabens seltsamerweise nicht sonderlich ernst. Etwas realistischer scheint es der Auricher Landrat Harm-Uwe Weber (SPD) einzuschätzen. Wer in den eigenen Reihen zu laut krittelt, wird intern schon mal kräftig zurechtgewiesen. Webers Befürchtung, das zu viel offensichtlicher Widerstand dringend benötigte Fördergelder aus Niedersachsen gefährden könnte, ist nicht ganz von der Hand zu weisen.
Das alles nützt nichts mehr
Seit Sonntag wird man sich auch im Auricher Kreishaus ernsthaft darüber Gedanken machen müssen, ob der Partner Emden noch weiter mitspielen wird. Schon im letzten Geschäftsbericht des Emder Klinikums steht geschrieben, das man einen Plan B habe – als – zugegeben – zweitbeste Lösung. Über einen Plan B sollten jetzt auch die Auricher nachdenken – unabhängig davon, dass sich die SPD im Landkreis Aurich dank des kollektiven Abtauchens bei dieser Kommunalwahl nicht einmal ein „blaues Auge“ eingefangen hat. Sie wären gut beraten, das k.o. der Emder Genossen nicht auf die leichte Schulter zu nehmen und es als Problem anderer zu betrachten.
Das könnte bedeuten, die Diskussion für oder gegen die Zentralklinik endlich vom Kopf auf die Füße zu stellen. Man muss politisch schon jenseits von Gut und Böse wandeln, wenn man sich hinstellt und den Menschen erklärt, dass man ihnen ihre Krankenhäuser wegnehmen will ohne jedoch eine halbwegs belastungsfähige Antwort darauf geben zu können, wie die Gesundheitsfür- und vor allem auch Nachsorge ohne diese wohnort- und bürgernahen Krankenhäuser künftig organisiert und auch finanziert werden könnte. Das geht seit eineinhalb Jahren so.
Krude Gesundheitspolitik
Wer sich dennoch den Kopf über diese Frage zerbrechen will, prallt früher oder später auf eine krude Gesundheitspolitik, die von oben nach unten versucht wird durchzusetzen. Sie zeichnet sich dadurch aus, die jeweils negativsten Auswüchse von Plan- und Marktwirtschaft zusammenzurühren. Der Versuch, in diesem ”Gebräu” irgendeine in sich geschlossene Logik zu finden, ist aussichtslos.
Ein Erkenntnisgewinn erschließt erst dann, wenn man die diversen Interessenlagen herausdestilieren kann – inkl. ihr jeweiliges Machtpotential.
Je tiefer man ins Thema einsteigt, um so mehr könnte man den Eindruck haben, das Kommunalpolitiker letztlich am Ende der gesundheitspolitischen Nahrungskette stehen. Genau dieser Eindruck könnte auch die Frage aufwerfen, was bitte jene Kommunalpolitiker veranlasst eine Gesundheitspolitik von oben nach unten mitzugehen, die mittlerweile allgemein als Fehlentwicklung erkannt worden ist. Das macht sich besonders in ländlichen Regionen bemerkbar.
Unerschöpflicher Masochismus kommunaler Politiker?
Es fragt sich also, was Kommunalpolitiker dazu bringt, sich lieber von den Bürgern beschimpfen und in Wahlen abstrafen zu lassen, statt mit ihnen gemeinsam für eine andere Gesundheitspolitik einzutreten – zum Beispiel eine, die eben nicht kleine und bedeutsame Krankenhäuser, wie etwa das in Emden, systematisch einer Art Marktbereinigung aussetzt.
Und was hält diese Kommunalpolitiker davon ab, von unten nach oben zu agieren – „proaktiv“ die Interessen der Gesundheitsversorgung der Bürger in ländlichen Regionen zu vertreten. Das wäre eigentlich ihr Job, auch wenn die herrschende Gesundheitspolitik – die in Metropolen gemacht wird – derartiges fast unmöglich erscheinen lässt – wegen der hinlänglich bekannten „Sachzwänge“. Die allerdings sind von der Politik gemacht – und kein Gottesurteil.
Bundesweites Bürgerengagement für Krankenhäuser gefragt
Denkbar ist das allerdings nur dann, wenn auch die Bürger anfangen, sich beim Thema Gesundheitsfürsorge in ländlichen Regionen zu engagieren – der „Riese Patient“ aufwacht und sich nicht nur darauf beschränkt, vom Sofa aus die Kritik an der Gesundheitspolitik mit „gefällt mir“ Buttons in sozialen Medien zu goutieren. Es setzt auch voraus über die eigenen Stadtmauern schauen zu können – Kirchturmdenken etwas anders zu verstehen. Sich mal ins Dachgeschoss des Kirchturms zu begeben und bei geöffneter Dachluke weit ins Land hineinzusehen. Ähnlichkeiten mit Problemlagen des eigenen Krankenhauses sind dabei nicht rein zufällig.
Eine einstige Oppositionspolitikerin im Niedersächsischen Landtag gab dazu im Dezember 2012 eine gute Anregung und erklärte:
Überall in Niedersachsen gehen die Krankenhäuser in die Knie, wobei die Situation in der Fläche sogar dramatischer ist als in großstädtischen Ballungsräumen. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels kann sich ein Land wie Niedersachsen ein Kliniksterben überhaupt nicht leisten. Die ortsnahe Versorgung muss sichergestellt bleiben, dies ist auch ein wichtiger Standortfaktor. Autorin dieses nachdenkenswerten Befunds: Dr. Cornelia Rundt (SPD) – heute niedersächsische Sozialministerin.
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