Wohnortnahe Krankenversorgung ist nicht nur in Ostfriesland Thema. Überall in Deutschland werden kleine Krankenhäuser geschlossen oder zentralisiert. Über das Internet organisieren sich zunehmend mehr Bürgerinitiativen die vor Ort gegen diese Entwicklungen agieren. Kai Lübbers von der Emsdettener Volkszeitung (EV) sprach mit der Emsdettener Initiative. Das am heutigen Sonnabend (17.09.) in der EV veröffentlichte Interview im Wortlaut:
EMSDETTEN. Als das Marienhospital Emsdetten im November 2015 aus dem Bettenplan gestrichen wurde, änderte sich auch der Name der Bürgerinitiative Krankenhaus Emsdetten, die bis zum Schluss für den Erhalt des Hauses gekämpft hatte. Die BI heißt jetzt Gesundheitsversorgung Emsdetten.
EV-Redakteur Kai Lübbers sprach mit einigen Mitgliedern der Kerngruppe über die Gründe für das Aus des Marienhospitals, die Ziele der BI, die bundesweite Vernetzung von betroffenen Städten und die Verwendung der Spendengelder.
Warum gibt es kein Krankenhaus mehr in Emsdetten?
Monika Sonnenberg: Meiner Meinung nach wegen den bundes- und landespolitischen Rahmenbedingungen und wirtschaftlichen Interessen der Stiftungen Franziskus und Mathias. Dieses Konkurrenzverhalten zwischen den Trägern ist bundes- und landespolitisch so gewollt.
Helmi Dünow: Begonnen hat das ganze 2004 mit der Einführung des DRG-Abrechnungssystems, die Gelder, die die Krankenhäuser für den einzelnen Fall bekommen. Das setzt falsche Anreize. Für die Herzkatheterabteilung, Dialyse und die Endoprothetik zum Beispiel gibt es hohe Abrechnungspauschalen, aber das, was vor Ort gebraucht wird wie die Notfallversorgung und die internistische Abteilung wird denkbar schlecht abgerechnet.
Sonnenberg: Ein Beispiel: Kommt ein ambulanter Notfall in die Notaufnahme, kann das Krankenhaus ihn mit 34 Euro abrechnen, Kosten verursacht er aber in Höhe von 126 Euro. Das treibt kleine Krankenhäuser wie Emsdetten in den Ruin. Private Anbieter brauchen nur warten, bis die Häuser zugrunde gehen und können sie dann zu lohnenswerten Spezialkliniken umbauen und natürlich auch für einen geringen Einkaufspreis erwerben.
Wen trifft das Aus in Emsdetten ihrer Meinung nach am härtesten?
Sonnenberg: Besonders ältere und immobile Menschen trauern dem Marienhospital nach. Bei einem geplanten Eingriff kann man eine gewisse Kilometerzahl als Anfahrt in Kauf nehmen, aber die ältere Dame die stürzt und sich einen Bruch zuzieht, die Bluthochdruck hat oder die dehydriert ist, weil sie zu wenig getrunken hat, die stellt diese Zentralisierung der Krankenhausstandorte vor Probleme.
Was hat das generell für kleinere Krankenhäuser zur Folge?
Sonnenberg: Die Häuser sind gezwungen, eine bestimmte Größe zu generieren (mindestens 400 Betten), damit sie überhaupt kostendeckend arbeiten können. Sie versuchen, sich zu spezialisieren, um das nötige finanzielle Auskommen zu haben und die Notfallversorgung, quasi nebenbei, mit abdecken zu können. Zudem hat das Land einen Riesen-Investitionsstau angehäuft. Damit Krankenhäuser überhaupt die nötige Substanz haben, wird aus den DRG-Fallpauschalen Geld herausgenommen um die Häuser überhaupt in einem baulichen Zustand zu halten, dass sie konkurrenzfähig sind. Da wird dann auch an der Personalschraube gedreht.
Lange haben sie mit der BI für den Erhalt des Marienhospitals gekämpft, rückblickend betrachtet, was hat die BI Krankenhaus Emsdetten bewegt?
Berthold Stall: Wir haben Demonstrationen organisiert, um die Bürger auf die Straße zu bekommen, das hat die Politik auch wahrgenommen.
Hubert Haverkamp: Wir haben aber erkannt, dass wir alleine nichts machen können und haben uns mit anderes BIs bundesweit zusammengeschlossen zu dem Bündnis pro Krankenhäuser wohnortnah. Da sind jetzt elf BIs zusammengeschlossen.
Welche sind das?
Helmut Frede: Aurich, Norden, Emden, Bad Säckingen, Delmenhorst, Tönning, Wolgast, Niebühl, Albstadt, Zweibrücken und Emsdetten.
Wie kam es zum Zusammenschluss?
Frede: Zusammengefunden haben wir uns über Facebook, daraus sind dann schnell Videokonferenzen mit fünf BIs entstanden, die anderen sechs haben sich dann angeschlossen.
Und welches gemeinsame Ziel haben sie?
Frede: Wir wollen, dass die Rahmenbedingungen bei Bund und Land geändert werden, um wohnortnahe Krankenversorgung zu erhalten.
Sonnenberg: Wir wollen eine vernünftige Finanzierung für das, was die Menschen brauchen, und das ist die wohnortnahe Grundversorgung.
Stall: Krankenhausversorgung ist Daseinsvorsorge, eine Feuerwehr wird ja auch nicht geschlossen, wenn es mal einen Monat nicht brennt.
Dünow: In vielen der zusammengeschlossenen Städte, wo sich die BIs gegründet haben, bricht zudem auch die Hausarztversorgung weg, das könnte für Emsdetten in fünf Jahren auch der Fall sein. Auch darauf möchten wir aufmerksam machen.
Auffällig ist, dass vorwiegend kleinere Städte sich in den BIs zusammengeschlossen haben…
Sonnenberg: Überall wird davon gesprochen, dass Kapazitäten abgebaut werden, aber in großen Städten wie Hamburg oder Berlin werden weitere Betten aufgebaut. Die Zentralisierung auf große Häuser mit den Spezialisierungen ist gewollt. Patientenströme werden gelenkt.
Wie meinen sie das?
Sonnenberg: Patienten aus dem Grevener Krankenhaus werden zur weiteren Untersuchung automatisch ins Franziskushospital nach Münster verlegt, Patienten aus dem Steinfurter Haus gehen zur Uni-Klinik Münster zur Weiterbehandlung.
Welche Maßnahmen sind seitens der BI bzw. der Bündnisgruppe bisher gelaufen?
Dünow: Die niedersächsische Krankenhausgesellschaft hat 180 ausrangierte Betten in Hannover vor das Rathaus gestellt, jedes dieser 180 Betten stand für ein Krankenhaus in Niedersachsen, welches in finanzieller Schieflage geraten ist. Wir sind hingefahren, um auf das Bündnis aufmerksam zu machen. Am Samstag, 24. September, ist in Wuppertal eine Gesundheitskonferenz organisiert, aus diesem Anlass treffen wir uns zum ersten großen Bündnistreffen zwecks Netzwerkbildung.
Stall: Die BI hier vor Ort hat erkannt, dass wir nur was erreichen können, wenn wir bundespolitisches Gehör finden.
Einige Bürger und Firmen haben ja auch Geld gespendet, um die BI zur Rettung des Marienhospitals in ihrem Kampf finanziell zu unterstützen. Um welche Summe handelte es sich da?
Stall: Höchststand der Spenden waren 800 Euro, davon sind dann Flyer gedruckt worden, ein Roll-up angefertigt worden, die Fahrt nach Münster zur Demo am Dom ist mitfinanziert worden und die Beschallung von der Demo in Emsdetten wurde damit finanziert.
Haverkamp: Wir wussten, mit dem gespendeten Geld können wir das Krankenhaus nie selbst kaufen, das war auch nie Ziel der Sammlung. Stand jetzt sind noch rund 400 Euro in der Kasse, die wir für weitere Aktionen wie das Drucken von Flyern nutzen. Der Kampf ist nicht zu Ende sondern wird bundesweit auf mehrere Schultern verteilt, weil wir sonst keine Chance haben, Gehör zu finden.
Wie oft trifft sich dazu die örtliche BI?
Frede: Regelmäßig alle 14 Tage trifft sich die Kerngruppe, das sind zwölf Mitglieder.
Wie viele Mitglieder hat die Facebook-Gruppe noch?
Dünow: Mehr als 600 Mitglieder hat unsere Gruppe in Emsdetten. Da es eine geschlossene Gruppe ist, sind es aber auch interessierte Leute. Insgesamt haben die elf BIs ca. 10000 Mitstreiter in den sozialen Netzwerken.
Stall: Hinzu kommt, dass das Bündnis noch im Aufbau ist. Wir versuchen, so viele betroffene Städte wie möglich mit einzubeziehen.
Haverkamp: Interessierte, die nicht bei Facebook sind, können sich auch noch über die App „Bündnis pro Krankenhäuser wohnortnah“ über Aktivitäten und Neuigkeiten informieren.
Kai Lübbers
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