Aurich (okj) – Am 11. Juni 2017 werden die Bürger in Ostfriesland darüber zu entscheiden haben, ob die bestehenden Krankenhäuser in Norden, Aurich und Emden geschlossen und für mindestens 250 Mio. € eine Zentralklinik außerhalb der drei Ballungszentren errichtet werden soll. Dieses betrifft rund 117.200 Einwohner in den genannten Städten (nach wikipedia: AUR 41.500, EMD 50,700, NOR 25.000). Nicht eingerechnet jene Einwohner, die im direkten Umland dieser Städte wohnen.
Wie die Gesundheitsversorgung dieser Menschen künftig ohne Krankenhäuser realisiert werden kann, konnte seit drei Jahren von den Befürwortern einer Zentralklinik nicht belastungsfähig dargelegt werden. Es wird lediglich versprochen, dass sich niemand darüber Sorgen machen brauche. Eine Notfallversorgung 24 Stunden und sieben Tage in der Woche werde sichergestellt.
Dies allerdings widerspricht dem Gutachten des Beraterkonzerns BDO, auf dessen Grundlage die Planungen zur Zentralklinik massiv vorangetrieben werden. Auf Seite 44 der BDO-Machbarkeitsstudie heißt es zur wohnortnahen Versorgungsqualität in den Städten: Eine vom Krankenhaus zu verantwortende Versorgung 24 Stunden an sieben Tagen in der Woche ist nicht finanzierbar. Dies würde ca. 3,65 Mio € pro Jahr an Mehrkosten verursachen. Ein zusätzliches Problem ist die nicht ausreichende Anzahl an Ärzten. Voraussichtlich müssten deshalb eine Vielzahl an Honorarärzten beschäftigt werden. Dadurch würden sich die Kosten auf bis zu 4,5 bis 5,0 Mio. € pro Jahr erhöhen.
Es geht ums Geld: Anachronistisches Abrechnungssystem
Soweit erkennbar, ist beabsichtigt die wohnortnahe Versorgung den niedergelassenen Ärzten zu überlassen. Nicht nur in ländlichen Regionen zeigt sich jedoch, dass dies eher eine sehr theoretische Vorstellung irgendwelcher Planungsstäbe ist. Gleichwohl folgt diese Theorie einer gesetzlichen Bestimmung nach der Ärzte die Behandlung ihrer Patienten abzurechnen haben. Dieses Abrechnungssystem unterscheidet strikt zwischen ambulanter und stationärer Behandlung. Alle Fachleute halten dieses Abrechnungssystem schon seit langem für anachronistisch.
In Regionen in denen die Zentralisierung der Krankenhäuser bereits abgeschlossen ist – unabhängig davon ob ein bestehenden Krankenhaus zur Zentrale gemacht oder ein Neubau geplant wurde, zentralisierten sich auch die Patientenströme. Dort wo Neubauten geschaffen wurden, haben sich etliche Kommunen an derartigen Großprojekten finanziell übernommen und mussten ihre neu gebauten Zentralkliniken zu bisweilen sehr ungünstigen Konditionen an private Investoren übergeben.
Sachzwänge: Beliebtes Totschlag-Argument
Derartige Entwicklungen – die sich als Sachzwänge – sind die Konsequenzen einer seit Mitte der 90er Jahre fortlaufenden Entwicklung, die das deutsche Gesundheitswesen von einem Versorgungssystem zu einem Gesundheitsmarkt umgewandelt hat. Hierbei unterliegen auch Krankenhäuser in kommunaler Trägerschaft den Bedingungen dieses Gesundheitsmarktes. Bedingungen, die allerdings vielfach im Widerspruch zu einer in der Gesellschaft tief verankerten Vorstellung steht, nach der die Gesundheitsversorgung vor allem eine Aufgabe der kommunalen Daseinsvorsorge ist und als solche nicht Marktgesetzen zu unterwerfen ist. Gleiches gilt allerdings auch für die Ärzteschaft, die tagtäglich im Spannungsfeld zwischen ökonomischer Logik und dem beruflichen Selbstverständnis der Medizin stehen.
Landes- und bundespolitischen Rahmenbedingungen haben dieses Selbstverständnis in der Ärzteschaft aber auch bei der Mehrheit der Bürger systematisch ausgehöhlt und entscheidend dazu beigetragen, dass im Ergebnis die für die die Menschen bedeutsamen kleineren Landkrankenhäuser chronisch unterfinanziert sind – deshalb früher oder später „von selbst“ der angestrebten Marktbereinigung anheimfallen. Die derart ”platt gemacht” und ”ausgebluteten” Krankenhäuser sind dann auch keine Arbeitsplätze mehr, in denen die Ärzte entsprechend ihres beruflichen Ethos noch in der Lage sind, die an sie gestellten Erwartungen zu erfüllen. Somit werden dann auch Ärzte in Konfrontationskurs zu Bürgern gezwungen und folgen damit einer Gesundheitspolitik, gegen die die Mehrheit aller Ärzte noch vor 10 Jahren auf der Strasse protestierten – allerdings mit zu wenig Unterstützung durch Bürger und Patienten.
Kommunaler Widerstand gebrochen?
Viele Kommunen versuchten in der Vergangenheit mit eigenen Haushaltsmitteln ihre Krankenhäuser vor der drohenden Insolvenz zu bewahren. Doch diesen „Widerstand“ kann keine Kommune auf Dauer aufrecht erhalten. Früher oder später sind alle aus rein finanziellen Gründen genötigt – auch gegen wachsende Proteste der Bürger – ihre scheinbar unlukrativen Landkrankenhäuser zu schließen und die angestrebte Zentralisierung mitzugehen. Dabei sollen erhebliche Fördermittel für Zentralisierungen aus dem Landeshaushalt auch den letzten Widerstand brechen. Parallel dazu, werden die Rahmenbedingungen für die kleinere Krankenhäuser weiterhin verschärft, so das es fast unmöglich erscheint, die kleinere Landkrankenhäuser weiter „am Netz“ zu halten.
Sogenannte Gesundheits-Ökonomen, die aus höchst unterschiedlichen Interessengruppen heraus agieren, erklären, dass zwischen 300 und 400 Krankenhäuser in Deutschland geschlossen werden müssten. Dort, wo die davon betroffenen Menschen sich wehren, neigen die meisten dazu, die Verantwortung für die Schließung bei der Kommunalpolitik zu suchen – bzw. bei „inkompetenden Klinikchefs“.
Zweifelsfrei gibt es Regionen, in denen sich dieser Vorhalt belastungsfähig nachweisen lässt. Das allerdings verschleiert die Tatsache, dass die übergeordneten Rahmenbedingungen ein solches „Versagen“ tendenziell auch erzwingen. Weil das nicht immer erkannt wird, arbeiten sich viele Bürgerinitiativen arbeiten oft an letztlich eher bedeutungslosen Kommunalpolitikern ab, die doch nur am Ende der gesundheitspolitischen Nahrungskette stehen.
Neu: Netzquellen zum Thema Gesundheitspolitik
Vor diesem Hintergrund hat die Redaktion Ostfriesisches Klinik Journal die neue Rubrik Netzquellen eingeführt. Diese speist sich überwiegend aus Recherchen des Zusammenschlusses vieler Bürgerinitiativen im Lande, die sich für den Erhalt wohnortnaher Krankenhäuser engagieren. Am Thema interessierte finden hier nationale und internationale Netzquellen. Dazu gehören unter anderem auch online-Veröffentlichungen der Deutschen Ärztezeitung, dem Verein demokratischer Ärzte und Ärztinnen aber auch viele andere Stimmen, die sich nicht nur allein aus der Ärzteschaft heraus mit den Fehlentwicklungen der Gesundheitspolitik qualifiziert befassen.
In Ostfriesland haben einige Kommunalpolitiker bereits erklärt, dass es ein Fehler sei die Menschen im Rahmen eines Bürgerentscheids darüber entscheiden zu lassen, ob die bestehenden Krankenhäuser in Emden, Aurich und Norden für eine Zentralklinik geschlossen werden sollen oder auch nicht. Ausgehend vom eingangs erwähnten Gutachten des Beraterkonzerns BDO, ist das allerdings die Grundlage einer Entscheidung. Die Gutachter kamen zu dem Schluss, dass eine Zentralklinik machbar ist, allerdings nur dann, wenn die bestehenden Häuser vom Markt genommen werden. Eingedenk der Tatsache das die Verantwortlichen in der Kommunalpolitik – inkl. Aufsichtsrat der Krankenhäuser, die Interessen der Bürger als Eigentümer der Kliniken zu vertreten haben, ist es natürlich folgerichtig, eben diesen Eigentürmer zunächst einmal zu fragen, ob sie der Schließung ihrer Krankenhäuser zustimmen oder für den Erhalt votieren.
Jetzt entscheiden die Bürger
Derzeit kann niemand mit Bestimmtheit voraussagen, wie sich die Bürger entscheiden werden. Unbestritten sollte sein, das sowohl Befürworter wie auch Kritiker des Vorhabens Zentralklinik das Votum der Bürger zu respektieren haben. Dies ist auch eine Vorgabe des Hannoveraner Sozialministeriums, welches in Aussicht gestellte Fördergelder nur dann bewilligt, wenn für das Großprojekt Zentralklinik eine „gesellschaftliche Akzeptanz“ gegeben ist. Dieses festzustellen, ist jetzt auf die Ebene eines Bürgerentscheids gehoben worden, der in einem seriösen Verfahren ähnlich einer Kommunalwahl erfolgt.
Zu befürchten ist, das dieses Verfahren manchen dazu verführen könnte, das Thema ähnlich zu behandeln, wie das im Wahlkampf diverser politischer Parteien üblich ist. Ein solches Niveau, darüber sind sich Kritiker wie Befürworter der Zentralklinik durchaus einig, wäre bei diesem Thema völlig fehl am Platz. Dazu gehören auch jene Hinweise sogenannter Experten, die meinen, die Bürger seien nur „bauchgefühlt“, „desinformiert“ oder schlichtweg zu „blöd“ um diese – zweifelsfrei – durchaus komplexen Zusammenhänge zu verstehen.
Unabhängig davon, ob es irgendwem gefällt oder auch nicht, das jetzt die Bürger das letzte Wort haben, soll die neue Rubrik „Netzquellen“ mit dazu beitragen, das Thema Gesundheitspolitik auch aus Sicht kritischer Experten zur Kenntnis nehmen zu können und sei auch den Befürwortern einer Zentralklinik zum lesen empfohlen.
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