Ostfriesisches Klinik Journal

Für den Erhalt wohnortnaher Krankenhäuser

Krankenhäuser im Fadenkreuz des Neoliberalismus

okj-Hintergrund

FadenkreuzDie wirt­schafts­theo­re­ti­sche Lehr­mei­nung des soge­nann­ten Neo­li­be­ra­lis­mus hat sich seit den 1980er Jah­ren auch in den Ver­sor­gungs­sys­te­men der öffent­li­chen Daseins­vor­sor­ge durch­ge­setzt. Anders als bei der Was­ser­ver­sor­gung, hat sie sich in der deut­schen Gesund­heits­ver­sor­gung weit­ge­hend eta­bliert.

Die neo­li­be­ra­le Wirt­schafts­theo­rie, auch als Frei­bur­ger, Chi­ca­go­er oder Öster­rei­chi­sche Schu­le unter Fried­rich Hayek bezeich­net, hat ihre prak­ti­sche Brauch­bar­keit aller­dings nie unter Beweis gestellt. Sie besagt, das die Ver­tei­lung begrenz­ter Güter am effek­tivs­ten gelingt, wenn sie über freie Märk­te und wirt­schaft­li­chen Wett­be­werb orga­ni­siert wird. Für die­se Erkennt­nis erhielt Hayek zusam­men mit dem Schwe­den Gun­nar Myrd­al 1974 den Nobel­preis für Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten.

Marktpolitisch gewollt: Abschaffung solidarischer Gesundheitsfürsorge

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Fried­rich August von Hayek (1981)

Beein­druckt von die­sen Theo­rien, began­nen Anfang der 80er Jah­re auch deut­sche Poli­ti­ker aller Par­tei­en, im Gesund­heits­we­sen Stück für Stück soge­nann­ten „markt­wirt­schaft­li­che Steue­rungs­ele­men­te“ ein­zu­füh­ren. Der ers­te Schritt dazu war das 1983 ver­ab­schie­de­te Haus­halts­be­gleit­ge­setz, mit dem die Kran­ken­ver­si­che­rung der Rent­ner, die Ren­ten, Ver­sor­gungs­be­zü­ge und dane­ben erziel­tes Arbeits­ein­kom­men aus selbst­stän­di­ger Erwerbs­tä­tig­keit bei­trags­pflich­tig wur­de.

Beglei­tet wur­den die­se und ande­re Maß­nah­men mit Berich­ten von Ärz­ten, die sich der finan­zi­el­len Res­sour­cen der Gesund­heits­ver­sor­gung unkon­trol­liert bedient haben sol­len und der Not­wen­dig­keit einer Kos­ten­dämp­fung im Gesund­heits­we­sen. Die­se eher klei­ne Wei­chen­stel­lung aus 1983 wider­sprach bereits fun­da­men­tal den Prin­zi­pi­en des deut­schen Gesund­heits­we­sens, wel­ches seit sei­ner Grün­dung als Soli­dar­mo­dell aus­ge­legt war. Unab­hän­gig von indi­vi­du­el­len finan­zi­el­len Mög­lich­kei­ten, soll­te der unge­hin­der­te Zugang zur medi­zi­ni­schen Ver­sor­gung für alle Men­schen ein staats­po­li­ti­sches Ziel sein. Mas­si­ve Pro­tes­te aus der Ärz­te­schaft, von Pfle­ge­per­so­nal aber auch Pati­en­ten-Initia­ti­ven konn­ten sich jedoch nicht nach­hal­tig gegen die­se Ent­wick­lun­gen durch­set­zen.

Lukrativer Gesundheitsmarkt mit hoher Korruption

KorruptionBetrie­ben wur­de die Umwand­lung des deut­schen Gesund­heits­we­sens vor allem von mäch­ti­ge Lob­by­is­ten aber auch kor­rup­ten Poli­ti­kern. Nach Erkennt­nis­sen des Bun­des­kri­mi­nal­amts, gehö­ren ins­be­son­de­re Amts­trä­ger in Gesund­heits­be­hör­den zu den am stärks­ten von Kor­rup­ti­on betrof­fe­nen Per­so­nen­kreis. Im Jahr 2004 wur­de unter ande­rem eine Phar­ma­fir­ma bekannt, die im gesam­ten Bun­des­ge­biet auch Ärz­te und füh­ren­des Kli­nik­per­so­nal mit Zuwen­dun­gen bedacht hat. Nach Ein­schät­zun­gen von Trans­pa­ren­cy Inter­na­tio­nal, beträgt der jähr­li­che Scha­den, dem das deut­sche Gesund­heits­sys­tem durch Betrug, Ver­schwen­dung und Kor­rup­ti­on ent­steht, etwa 6 Pro­zent des Gesamt­bud­gets. Seit dem wird das deut­sche Gesund­heits­we­sen in der Öffent­lich­keit immer wie­der in Zusam­men­hang mit Kor­rup­ti­on gebracht.

Trotz nach­ge­wie­se­ner kri­mi­nel­len Machen­schaft gelang es den­noch, auch unter­halb der straf­recht­lich erfass­ba­ren Kor­rup­ti­on, das deut­sche Soli­dar­mo­dell Gesund­heits­we­sen stu­fen­wei­se aus­zu­höh­len und einem markt­wirt­schaft­li­chen Wett­be­werb zu unter­wer­fen. Damit konn­te ein soge­nann­ter Gesund­heits­markt eta­bliert wer­den, des­sen Volu­men der­zeit auf jähr­lich 285 Mil­li­ar­den € geschätzt wird.

DRG-System: Angriff auf das Solidarmodell

EuroObwohl die­se Umwand­lung in vie­len klei­nen Schrit­ten seit Jahr­zehn­ten betrie­ben wird, ist in der Öffent­lich­keit vor allem die Ein­füh­rung des Dia­gno­sis Rela­ted Group Sys­tem (DRG) in Ver­ruf gera­ten. Es gilt als die nach 1945 in Deutsch­land bis­lang weit­rei­chends­te und ein­schnei­dens­te Maß­nah­me gegen das soli­da­ri­sche Gesund­heits­we­sen. Beim DRG-Sys­tem han­delt es sich um ein pau­scha­li­sier­tes Abrech­nungs­ver­fah­ren nach dia­gno­se­be­zo­ge­nen Fall­grup­pen. Dabei wer­den die Pati­en­ten anhand ihrer medi­zi­ni­schen Daten ver­schie­de­nen Fall­grup­pen pau­schal zuge­ord­net und abge­rech­net.

DRGs wer­den seit Mit­te der 1980er Jah­re in ver­schie­de­nen Län­dern zur Steue­rung der Finan­zie­rung des Gesund­heits­we­sens ver­wen­det. Wäh­rend in den meis­ten Län­dern die DRGs kran­ken­haus­be­zo­gen zur Ver­tei­lung staat­li­cher oder ver­si­che­rungs­be­zo­ge­ner Mit­tel ver­wen­det wer­den, wur­de in Deutsch­land das 2003 ein­ge­führ­te „G‑DRG-Sys­tem“ zu einem voll­stän­di­gen Fall­pau­scha­len­sys­tem umge­stal­tet.

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Dr. Gün­ther Joniz

In der medi­zi­ni­schen Pra­xis hat dies zur Fol­ge, dass nicht mehr das finan­ziert wird, was nach ärzt­li­cher Dia­gno­se erfor­der­lich wäre, son­dern wel­ches finan­zi­el­len Mit­tel nach DRG zur Ver­fü­gung steht. Die Abkehr vom soge­nann­ten „retro­spek­ti­ven Kos­ten­er­stat­tungs­prin­zip“, zur „pro­spek­ti­ve Fall­pau­scha­len­ver­gü­tung“ zwingt Ärz­te dazu, ihren Berufs­ethos der herr­schen­den betriebs­wirt­schaft­li­chen Effi­zi­enz- und Wett­be­werbs­lo­gik zu unter­wer­fen.

In eine Exklu­siv-Inter­view mit der in Neu-Isen­burg erschei­nen­den Ärz­te­Zei­tung beschrieb der Prä­si­dent der Ber­li­ner Ärz­te­kam­mer, Dr. Gün­ther Joniz die Fol­gen die­ser Umwand­lung. Der Berufs­ethos der Ärz­te sei kein Gegen­gift für schlech­te Poli­tik, die Ver­mark­tung und Kom­mer­zia­li­sie­rung der Medi­zin vor­an­trei­be, sag­te Jonitz. Die Fehl­an­rei­ze durch die DGRs sei­en kata­stro­phal. So habe, bei­spiels­wei­se, ein ihm, Jonitz, bekann­ter Ober­arzt geschafft, kli­nik­be­ding­ten Ent­zün­dun­gen bei den Pati­en­ten sei­ner Inten­siv­sta­tio­nen deut­lich run­ter­zu­fah­ren. Das Ergeb­nis sei gewe­sen, dass ihm der Con­trol­ler vor­ge­rech­net habe, das damit sein Cas­e­mix-Index gesun­ken sei, mit der Fol­ge, dass er 90.000 Euro sei­nes Bud­gets her­ge­ben muss­te. Dies bedeu­te­te, zwei Schwes­tern­stel­len strei­chen zu müs­sen. Inzwi­schen habe der Ober­arzt gekün­digt.

Formale Privatisierung durch gGmbH’s

Da medi­zi­ni­sche Kri­te­ri­en von markt­wirt­schaft­li­chen Denk­wei­se bestimmt wer­den, wan­dern inzwi­schen vie­le Ärz­te aus. Dabei haben viel­fach die ohne medi­zi­ni­schen Sach­ver­stand aus­ge­stat­te­te Berufs­grup­pe der Betriebs­wirt­schaf­ter die Füh­rungs­po­si­tio­nen eines Kran­ken­hau­ses besetzt. In die­sen ist die schnel­le Durch­schleu­sung der Pati­en­ten, das Dik­tat der Ein­spa­run­gen und ggmbhBeschrän­kung auf das For­ma­le zum lei­ten­den Para­dig­ma gewor­den.

Ein wich­ti­ger Schritt zur Markt­öff­nung des Gesund­heits­we­ses, war die Umwand­lung der All­ge­mei­nen Kreis­kran­ken­häu­ser in soge­nann­te gGmbH’s. Hier­bei han­delt es sich um eine for­ma­le Pri­va­ti­sie­rung durch Ände­rung der Rechts­form. Dar­in blieb die Kom­mu­ne zwar wei­ter­hin Trä­ger des Kran­ken­hau­ses, wur­de jedoch direkt den Markt­be­din­gun­gen aus­ge­setzt. Die­se for­ma­le Pri­va­ti­sie­rung, ist von der mate­ri­el­len Pri­va­ti­sie­rung zu unter­schei­den. Bei die­ser wird die Mehr­heit oder der gesam­te Anteil eines Kran­ken­hau­ses an einen neu­en (pri­va­ten) Besit­zer ver­äu­ßert.

Erklär­tes Ziel der for­ma­len Pri­va­ti­sie­rung war es, den poli­ti­schen Ein­fluss der Kom­mu­nen auf das Kran­ken­haus aus­zu­schal­ten. Somit konn­te auch auf kom­mu­na­ler Ebe­ne das deut­sche Soli­dar­mo­dell im Gesund­heits­we­sen durch die neo­li­be­ra­le Wirt­schafts­theo­rie über­nom­men wer­den. Beschleu­nigt wur­de dies durch steu­er­li­che Anreiz­sys­te­me, durch die es den Kom­mu­nen güns­ti­ger erschien, ihre eins­ti­ge Kreis­kran­ken­häu­ser in die for­ma­le Pri­va­ti­sie­rung von gGmbH’s zu über­füh­ren.

Unterschied zwischen ”kommunal” und ”privat” im Prinzip aufgehoben

Damit ein­her ging eine beab­sich­ti­ge Markt­be­rei­ni­gung vor allem klei­ne­rer Häu­ser. Mit den gGmbH’s und damit ein­her­ge­hen­den for­ma­len Pri­va­ti­sie­run­gen, soll­te das sich vor allem in staat­li­cher Obhut befind­li­chen Gesund­heits­we­sen wei­ter­hin dem pri­va­ten Anbie­ter­markt für even­tu­el­le mate­ri­el­le Pri­va­ti­sie­run­gen erschlos­sen wer­den. Um die­ses auch bei der Bevöl­ke­rung durch­set­zen zu kön­nen, wur­de ent­spre­chend der neo­li­be­ra­len Wirt­schafts­theo­rie erklärt, dass staat­li­che Struk­tu­ren Wirt­schaft behin­dern und ver­drängt wer­den müs­sen.

pleite2Die in der Bevöl­ke­rung gene­rell bevor­zug­te Trä­ger­schaft einer Kom­mu­ne basiert auf der all­ge­mei­nen Vor­stel­lung, nach denen die Kom­mu­nen der soli­da­ri­schen Daseins­vor­sor­ge ver­pflich­tet sind. Ent­spre­chend wird die öffent­li­che Dis­kus­si­on über die Pri­va­ti­sie­rung des Gesund­heits­we­sen zuneh­mend ideo­lo­gisch geführt. Ob der Trä­ger eines Kran­ken­hau­ses ein kom­mu­na­ler, frei­gemein­nüt­zer ist oder sich im pri­va­ten Besitz befin­det – ist gene­rell uner­heb­lich. Tru­gen bis­lang die Ver­si­che­run­gen, die Poli­tik und die öffent­li­che Hand das Finan­zie­rungs­ri­si­ko eines kom­mu­na­len Kran­ken­hau­ses, so wur­de mit der for­ma­len Pri­va­ti­sie­rung die­ses Risi­ko auf das Kran­ken­haus selbst abge­wälzt.

Ihrem öko­no­mi­schen Schick­sal über­las­sen, sind alle Kran­ken­häu­ser gefähr­det, wenn sie kei­ne schwar­zen Zah­len schrei­ben oder Gewinn erwirt­schaf­ten. Um die wohn­ort­na­hen Kran­ken­häu­ser und deren chro­ni­sche Unter­fi­nan­zie­rung zu erhal­ten, wer­den des­halb Steu­er­mit­tel aus den Haus­hal­ten der Kom­mu­nen abge­zo­gen, um Defi­zi­te aus­zu­glei­chen. Im Gegen­satz zu frei­gemein­nüt­zi­gen, bzw. pri­va­ten Kran­ken­haus­be­trei­bern, kön­nen kom­mu­na­len Betrie­be defi­zi­tär geführ­te Kran­ken­häu­ser mit Steu­er­mit­teln sub­ven­tio­nie­ren. Pri­va­te Kran­ken­haus­trä­ger sehen dar­in viel­fach eine Wett­be­werbs­ver­zer­rung.


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