von Jürgen Wieckmann
Für Dr. Max Matthiesen (Barsinghausen) ist das Wittmunder Krankenhaus ein Zukunftsmodell: „Kleine Kliniken sind bürgernah und leistungsfähig“, erklärte der CDU-Landtagsabgeordnete im Februar 2016 dem in Wittmund erscheinenden Anzeiger für Harlingerland. So richtig es sei, sich für den Erhalt und die ausreichende Finanzierung kleiner Krankenhäuser einzusetzen, so falsch sei es, bestehende Häuser aufzugeben, um auf der grünen Wiese neue Zentralkliniken aus dem Boden zu stampfen, so Matthiessen.
Das sieht die SPD im Landkreis Aurich entschieden anders. Sie hält eine Zentralklinik für alternativlos und beabsichtigt, die Krankenhäuser in Norden und Aurich zu schließen. Auch Emdens Oberbürgermeister Bernd Bornemann (SPD) hat sich für diesen Weg entschieden und will das Krankenhaus gegen den Willen der Emder Bürger kampflos einer Art „Marktbereinigung“ überlassen. Gemeinsam mit Aurich soll für mindestens 250 Millionen € ein neues Krankenhaus in Georgsheil gebaut werden – weitab von den ostfriesischen Ballungsräumen, in denen über 110.000 Menschen leben – davon allein 50.000 in Emden. Der Geschäftsführer des Vorhabenträgers Zentralklinik, Claus Eppmann, kündigte bereits an, für dieses Großprojekt vom Land Niedersachsen rund 180 Millionen Euro Fördergeld beantragen zu wollen.
Kommunale Haushalte sollen immer mehr Geld in den Gesundheitsmarkt pumpen
Das scheint in Hannover ein gewisses „Stirnrunzeln“ ausgelöst zu haben. Zumindest mehren sich die Stimmen, die diese Geldhoffnungen für unrealistisch halten. Rund 1,7 Milliarden Euro berechtigte Fördermittel aller Niedersächsischen Krankenhäuser stehen nach Angaben des Sozialministeriums derzeit auf der Warteliste. Dieses Geld hat das Land nicht und versucht deshalb, nun die kommunalen Haushalte „anzuzapfen“.
Entsprechende Bundesgesetzgebung berechtigt die Länder dazu. Niedersachsen will deshalb ein Sondervermögen bilden, in das alle kommunalen Haushalte einzuzahlen haben. Auch der Landkreis Aurich und die Stadt Emden wird sich daran zu beteiligen haben.
Wem volkswirtschaftliches Denken noch nicht vollends abhanden gekommen ist, wird offenbar, das Kosten für die kommunale Daseinsvorsorge im Gesundheitswesen mit Steigerungsraten vor der Tür stehen, die diese Haushalte kaum noch stemmen können. Sollte das Projekt Zentralklinik realisiert werden, kann deshalb niemand ausschließen, das sich früher oder später durch die Macht des finanziell Faktischen private Investoren beteiligen müssen.
Folgekosten solcher Großprojekte wie Zentralkliniken sind generell schwer zu kalkulieren. Das weiß sicher auch Landrat Weber und das könnte erklären, warum die „Zentralklinik-Verkaufe“ bisweilen den Eindruck hinterlässt, das man vor allem lautes Pfeifen im dunklen Wald betreibt.
Geschichtlich überholte Vertragswerke
Die vielleicht sogar ehrlich gemeinte Vereinbarungen zwischen den Kommunen Emden und Aurich, die Zentralklinik fest in kommunaler Hand halten zu wollen, wären anbetracht überschuldeter Haushalte schnell mal „geschichtlich überholt“, um ein Wort des Landrats aufzugreifen. Dieser hatte den 1977 unterschriebenen Gebietskörperschaftsvertrag zwischen Norden und Aurich erst kürzlich entsprechend eingeordnet. Darin war vertraglich festgelegt worden, das der Rechtsnachfolger des Landkreises Norden, also Landkreis Aurich, beide Standorte auf medizinisch erforderlichen Stand zu halten habe.
Das ist gründlich schief gegangen – nachweisbar durch eine Serie „hausgemachter Managementfehler“ und einer politischen Provinzposse zwischen zwei nicht mehr existenten Altkreisen. Folgt man nur für einen kurzen Moment dem Wunsche des Landrats, diese Vergangenheit auszublenden, (für die er zweifelsfrei zumindest die politische (Mit-)Verantwortung trägt), stößt man – quer durch alle Bundesländer – auf eine systematische Unterfinanzierung aller kommunaler Krankenhäuser. Dabei leidet das deutsche Gesundheitssystem wahrlich nicht an Armut. Im Gegenteil, es gilt weltweit als eines der reichsten.
Kranke Krankenhaus-Finanzierung
Die chronische Unterfinanzierung hat in erster Linie mit den seit 2004 eingeführten Fallpauschalen zu tun, die vor allem kleinere Krankenhäuser in den Ruin treiben. Sie können nun mal keine großen Fallzahlen generieren. Deshalb stellt sich dem gesunden Menschenverstand eher die Frage, ob der „Schwachsinn Fallpauschale“ oder die wohnortnahen Krankenhäuser abgeschafft werden müssten.
In Ostfriesland hat man sich jedoch für letzteres entschieden – zumindest in der Planung. Deshalb wird sich Zentralklinik-Macher Eppmann etwas einfallen lassen müssen. Bekanntlich ist nichts so schwierig, wie den Marktaustritt bestehender Krankenhäuser zu organisieren, denn auch dieses kostet zusätzlich viele Millionen. Vielleicht kann Eppmann in Hannover eine Art „Abwrackprämie“ für bürgernahe Krankenhäuser in Emden, Aurich und Norden einwerben.
Doch auch das wird wenig nützen.
Der nächste Angriff auf die Krankenhäuser ist bereits in der „Pipeline“. Noch vor der Sommerpause soll der Regierungsentwurf für ein sogenanntes „Krankenhausstrukturgesetz“ von den Koalitionsfraktionen SPD/CDU beschlossen werden. Ein Gesetzentwurf, dessen Folgen drastische Auswirkungen auf die künftige Finanzausstattung kommunaler Krankenhäuser haben wird.
Mit einer nahezu perfekten Variante von orwellschem Neusprech, wird das dem Bürger mit dem Stichwort „Qualitätssicherung“ verkauft. Dieses „wording“ reicht aus, um Widerstand in der Bevölkerung zu brechen, bevor er aufkeimt. Welcher Bürger wird schon gegen „Qualitätsverbesserungen“ auf die Straße gehen?
Da muss man sich schon der Mühe stellen, hinter die Kulissen zu schauen. Zusätzlich auch noch eine Strategie erkennen, die einfache Dinge möglichst kompliziert darstellt, damit auch alle abgeschreckt werden, sich mit den scheinbar komplexen Sachverhalten zu befassen. Letztlich geht es einzig und allein darum, wer wirkungsmächtig genug vom bestehenden Reichtum des Gesundheitssystem in die eigene Tasche leiten kann. Ein Reichtum, der von allen Bürger des Landes aufgebracht wird.
Rebellion in der Teppich-Etage?
Klinikchefs, die in der Wahrnehmung der Bürger für gewöhnlich die „bösen Buben“ sind, eher nicht dazu neigen, sich öffentlich als „Protestler“ zu outen, scheint bisweilen auch der Kragen zu platzen. Zumindest in Nordrhein-Westfalen regt sich im vergangenen Jahr auf Chefetagen der Widerstand.
Im Internet kündigten drei Gütersloher Krankenhäuser an, sich „in der Pflicht zu sehen“ – öffentlich über die schwerwiegenden Folgen des zum 1. Januar 2016 in Kraft getretene Krankenhausstruktur-Gesetzt zu informieren. Ziel war, noch vor den ersten Abstimmungen im Bundestag Aufmerksamkeit zu erregen und die Politik zum Umdenken zu bewegen. Mit landesweiten Informationskampagnen, Postern und Broschüren machten die Krankenhäuser ihren Protest bei Großveranstaltungen und Demonstrationen deutlich.
Praktische Politik im kommunalen Umfeld?
Ganz anders scheint es unter SPD-Führung in Ostfriesland zuzugehen. Wie aus Kreisen des Aktionsbündnisses verlautet, sollen sich sogar schon Druckereien aus Furcht vor Repressalien geweigert haben, Informationsflyer des Aktionsbündnisses zu drucken, die das Projekt Zentralklinik kritisch bewerten. Mittlerweile werden die Flyer preiswert mit Hilfe einer Vielzahl von Internet-Anbietern produziert. Insofern sind hiesige Druckereien vor vermuteten Repressalien gewissermaßen geschützt.
Dem Aktionsbündnis ist diese latente Furcht vieler Bürger allerdings seit langem bekannt. Als man Anfang letzten Jahres Unterschriftenlisten für den Erhalt der wohnortnahen Krankenhäuser auch bei örtlichen Geschäftsleuten auslegen wollte, fanden einige diese Aktion zwar unterstützenswert, fürchteten jedoch ebenfalls, „Ärger“ zu bekommen und legten die Listen deshalb nicht aus.
Ob diese Angst einiger Unternehmen einen realen Hintergrund hat oder nicht, wurde vom Aktionsbündnis damals nicht ausrecherchiert. Allerdings nahm man zur Kenntnis, das sich viele Menschen in Ostfriesland offensichtlich davor fürchten, ihre Haltung in dieser Frage offen zu bekennen, jedenfalls dann, wenn sie nicht mit der von oben verordneten Meinung des noch amtierenden SPD-Landrats und seiner Partei übereinstimmt.
Dies betrachten viele Bürger auf der Straße auch als ein typisches Symptom von politischem Filz. Der ist nicht unbedingt „spd-spezifisch“, sondern tritt immer auf, wenn irgendeine politische Gruppierung von Machtwechseln „verschont“ bleibt.
Amtsgeheimnis: Was die Bürger nicht wissen durften
Mittlerweile zeigt sich Landrat Harm-Uwe Weber jedoch wachsend dünnhäutig.
Als wenige Minuten nach der Entscheidung des SPD dominierten Kreisausschusses das Abstimmungsergebnis gegen Bürgerbeteiligung beim Thema Zentralklinik im Internet und social media Netzwerken die Runde machte – dabei auch die Namen jener Abgeordneten hinzugefügt wurden, die in freier Abstimmung für oder gegen ein Bürgerbegehren gestimmt hatten – vermutete Landrat Harm-Uwe Weber sofort einen Verstoß gegen die Amtsverschwiegenheit.
Nun mögen einem noch normal denkenden Bürger die Spielregeln geheim tagender Ausschüsse nicht geläufig sein. Doch unabhängig davon, muss man schon „ziemlich schräg im Kopf“ sein, so ein Mitglied des Aktionsbündnisses, wenn die Wahlbürger mit der Konstruktion „Amtsgeheimnis“ nicht wissen dürfen, welche ihre Volksvertreter in einer die Öffentlichkeit interessierenden Frage wie abgestimmt haben.
Das sich dann auch noch das oberste politische Organ des Landkreises, der Kreistag (als Parlament der Bürger) wegen dieser angeblichen Verletzung eines Amtsgeheimnisses selbst rügt – zeigt in erschreckender Weise, wie tief die kommunalpolitische Kaste im Landkreis Aurich bereits gesunken ist – ohne es selbst überhaupt noch reflektieren zu können.
Praktizierte Demokratie wird nicht geschenkt
Noch absurder ist allerdings, dass das Aktionsbündnis nun viel Geld in die Hand nehmen muss, um auf gerichtlichem Wege durchsetzen zu können, dass die Bürger des Landkreises im Rahmen eines Bürgerentscheids über die Weichenstellung der künftigen Entwicklung in der ostfriesischen Krankenhaus-Landschaft ein gewichtiges Wort mitreden zu dürfen.
Ein demokratisches Verfahren, welches sowohl Befürworter als auch Kritiker einer Zentralklinik ermöglicht ihr Votum abzugeben – und zwar eines, welches nicht als zu ignorierende Meinungsäußerung daher kommt – sondern bindende Wirkung für die hiesige Kommunalpolitik hat.
Kommunalpolitik am Ende der gesundheitspolitischen Nahrungskette?
Seit Landrat Harm-Uwe Weber im November 2013 die Idee von der Zentralklinik öffentlich kundtat, hatte er genügend Zeit gehabt noch zu lernen, dass er und der von ihm geführte UEK-Aufsichtsrat vor allem die Interessen der Bürger als Eigentümer der drei Kliniken zu vertreten hat. Dieses Klassenziel hat der Landrat offensichtlich nicht erreicht.
Will man fair bleiben, muss man allerdings berücksichtigen, das Weber nur aus der Froschperspektive bedeutsam ist. Er und die rund 300 anderen Landräte in Deutschland stehen auf der untersten Sprosse der Leiter – gewissermaßen am Ende der gesundheitspolitischen Nahrungskette.
Dennoch: Auch mit dieser Erkenntnis, (wenn man sie denn teilen mag), sind die offensichtlichen Ängste der hiesigen SPD vor einem drohenden Machtverlust höchst irrelevant. Das wirklich entscheidende ist, ob sich Kommunalpolitik (unabhängig vom Parteibuch) noch an ihren Charakter zu erinnern in der Lage ist.
Um einen Ehrbegriff aus der Musikerszene zu verwenden: Kommunalpolitiker sind gewissermaßen die „Rampensäue“ der Politik – direkt und unmittelbar mit den Bürger und ihren Belangen konfrontiert. Das ist kein einfacher Job – natürlich nicht. Schon ab Landesebene sitzt man als Politiker bekanntlich „trockener“. Viele verlieren dort schnell den Bezug zum Bürger. Das ist keine „böse Absicht“ – es ergibt sich zwangsläufig aus der vielfältigen parlamentarischen Arbeit – in diversen Ausschüssen – mit Themenstellungen meist übergeordneter Natur. Gerade deshalb hat Kommunalpolitik als Korrektiv eine überaus wichtige Funktion.
Mit oder gegen die Bürger? – Das wär’ hier die Frage
Doch wenn diese dazu neigt, im Rahmen einer „Top-Down-Strategie“, gegen die Interessen der Bürger zu agieren – und das beim Thema Krankenhausschließungen auch bundesweit – haben sie als Kommunalpolitiker komplett versagt. Jedenfalls dann, wenn man noch der Auffassung sein kann, das es deren Aufgabe und Funktion wäre, genau nicht alles in ihrer letztlich doch nur äußerst begrenzten Macht aufzufahren, um aufkeimenden Bürgerwiderstand vor Ort „platt zu machen“ – sondern, furchtlos die Interessen der Bürger aufzugreifen und mit ihnen gemeinsam „nach oben durchzureichen“.
UND: den sicher auch mächtigen Lobbyisten des Gesundheitsmarktes mit ihrer im Ergebnis zerstörerischen Marktbereinigung kleiner kommunaler Krankenhäuser bundesweit das Fürchten zu lehren.
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