Düsseldorf/Norden/Emden/Aurich (okj/dpa/AFX) – In Deutschland gibt es nach Auffassung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung 500 Krankenhäuser zu viel. Wie Vorstandschef Andreas Gassen am Montag (10.09.) in der Rheinischen Post erklärte, gehöre jeder vierte Fall, der im Krankenhaus behandelt werde, eigentlich in den ambulanten Bereich. „Überflüssige Kliniken sollten vom Netz genommen werden“, sagte Gassen. Diese Mittel und Ressourcen sollten in andere Häuser und die ambulante Versorgung umgeleitet werden.
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung ist in Deutschland die mächtigste Hüterin einer mittlerweile als „wirklichkeitsfern“ bewerteten Trennung zwischen ambulanter und stationärer Gesundheitsversorgung. Realisiert wird sie dadurch, dass die KV über einen eigenen Milliarden-Betrag verfügt, den sie an ihre Kassenärzte für erbrachte ambulante Behandlungen auszahlt.
Grundlage dafür ist das 1955 verabschiedete Kassenarztrecht, welches der KV ein Quasimonopol für ambulante Behandlungen der Kassenpatienten einräumt den sie durch den sogenannten Sicherstellungsauftrag zu gewährleisten hat. Auch wenn viele Ärzte aus der Praxis heraus diese Trennung für fragwürdig halten, geht es bei dieser Frage weniger um medizinische Gesichtspunkte, sondern um die alles entscheidende Frage, wer für was welche Milliarden aus den Sozialkassen an wen verteilen darf.
Sorgenkind ”Notfall”-Ambulanz der Krankenhäuser
Vor diesem Hintergrund versuchen vor allem KV-Ärztefunktionäre „alter Schule“ seit Jahrzehnten zu verhindern, das Krankenhäuser im sogenannten ambulanten Sektor Patienten behandeln. Das ist nachvollziehbar, da die Kosten für ambulante Behandlung vom Krankenhaus der KV in Rechnung gestellt werden. Damit muss diese Einbußen ihres ebenfalls begrenzten Budget für ihre Ärzte in Kauf nehmen.
Ein besonderer Dorn im Auge der KV’en sind die sogenannten „Notfallambulanzen“ der Krankenhäuser. Diese, so Gassen, würden die Ambulanzen vielfach zur Akquise von Patienten nutzen, die eigentlich von Vertragsärzten versorgt werden müssten. Das allerdings ist für die Mehrheit der Bürger schwer verständlich. Der Grund ist, dass für die Bürger vor allem ihre gesundheitliche Versorgung bedeutsam ist. Dagegen kämpfen die Spitzen der Interessenverbände vor allem um die zur Verteilung anstehenden Gelder der Beitragszahler.
Der ökonomische Kampf um Patientenpotential
Vor allen in ländlichen Regionen nutzen die Bürger die Notfall-Ambulanzen eines Krankenhauses als Ersatz für fehlende Arztpraxen. Diese „Abstimmung mit den Füssen“ haben Verbandsfunktionäre trotz etlicher Medien-Kampagnen bislang noch nicht eindämmen können. Ziel ist nun auch, durch Schließung kleiner wohnortnaher Landkrankenhäuser und Errichtung von Zentralkliniken auf der Grünen Wiese den Menschen diese Notfall-Aufnahmen vor Ort zu entziehen. Statt dessen sollen sie sogenannte Medizinische Versorgungszentren aufsuchen, die von Kassen- und Vertragsärzten betrieben werden.
Dieses liegt auch im Interesse der Krankenhäuser, allerdings vorrangig aus rein ökonomischen und nicht medizinischen Gründen. Gerade kommunale Krankenhäuser können diese „ungeliebten Patienten“ nicht abweisen, da dies unter Umständen strafrechtliche Konsequenzen wegen „unterlassener Hilfeleistung“ nach sich ziehen kann. Damit stehen sie in einem nach wie vor unauflösbaren ökonomischen Dilemma.
Unabhängig davon widerspricht dies dem Berufsethos der meisten Ärzten aber auch den Vorstellungen der Bürger. Diese sehen in ihren Krankenhäusern Einrichtungen der kommunalen Daseinsvorsorge und nicht Unternehmen die als reine Wirtschaftsbetriebe zu betrachten sind. Derartigen Vorstellungen sind in den vergangenen Jahren allerdings die finanziellen Grundlagen entzogen worden. Entsprechend haben sich auch kommunale Krankenhäuser dem marktwirtschaftlichen System zu unterwerfen oder werden geschlossen.
Betriebswirtschaftliche Milchmädchen-Rechnungen
Problematisch für Krankenhäuser sind vor allem die sogenannten ambulanten Bagatellfälle. Nach Berechnungen der Deutschen Krankenhaus-Gesellschaft, können die Krankenhäuser pro ambulanten Fall im Durchschnitt lediglich 36.- Euro abrechnen. Demgegenüber stehen deren Betriebskosten, die mit mit 120.- Euro pro Fall angegeben werden. Allein das Emder Krankenhaus hat dadurch 2014 rund 1,04 Mio. Euro Verlust eingefahren. Vergleichbare Zahlen sind auch bei den wohnortnahen Krankenhäusern in Aurich und Norden zu verzeichnen.
Die eher betriebswirtschaftlich Vorstellung ist nun, das „Medizinischen Versorgungszentren“ als Ersatz für die Krankenhäuser in den drei ostfriesischen Mittelzentren Norden, Aurich und Emden dienen sollen. Dies deshalb, weil deren Betriebskosten niedriger liegen, als die eines „richtigen Krankenhauses“.
Wesentliche Ursache dieser geringeren Betriebskosten ist allerdings der Tatsache geschuldet, das die wohnortnahen Krankenhäuser mit ihrer medizinischen Infrastruktur auch für die niedergelassenen Ärzte ein Stützpunkt sind. Würde dieser Stützpunkt „Krankenhaus“ entfallen, müssten die medizinischen Versorgungszentren in angemessene Infrastruktur investieren, wobei unklar bleibt, wer als Investor fungieren könnte.
Angedacht ist, dass die Städte und Kommunen aus ihren Haushaltsmitteln Infrastruktur-Investitionen zumindest absichern – bzw. auch direkt subventionieren. Dafür sind gesonderte Fördermittel als Anschubfinanzierung durch das Land Niedersachsen vorgesehen. Bisherige Erfahrungen mit Medizinischen Versorgungszentren haben jedoch gezeigt, dass diese ohne direkte wohnortnahe Anbindung an eine Krankenhaus-Infrastruktur nicht funktionieren.
Wachsende Herausforderungen an den ”ambulanten Sektor”
Weiterhin zeichnet sich ab, dass durch den medizinischen Fortschritt im stationären Bereich erhöhte Anforderungen an den sogenannten „ambulanten Sektor“ zu erwarten sind. Hierzu gehören bereits heute die sogenannten „blutigen Entlassungen“. Diese nehmen – als logische Folge der Fallpauschalen-Abrechnung – ständig zu. Konnte ein Krankenhaus bis 2004 gegenüber den Kostenträgern noch Liegezeiten abrechnen, geht es heute für jedes Krankenhaus vor allem darum, möglichst viele Fälle in möglichst kurzer Zeit durchzuschleusen. Dabei ist für jedes Krankenhaus bedeutsam, möglichst solche Fälle zu bekommen, die gut abrechenbar sind.
Diese vielschichtigen Konfliktlagen, die sich in den letzten Jahren verschärft haben, sind eine Folge der Umgestaltung des Gesundheitswesens von einem Versorgungssystem in einen Gesundheitsmarkt. Dieser gilt nach Einschätzung von Marktbeobachtern als einer der härtesten.
Die Zielsetzung ist, den Milliardenmarkt „Gesundheit“ aus „staatlicher Obhut“ herauszulösen und damit die Vorstellung vieler Bürger „realpolitisch“ zu unterlaufen, nach der Gesundheitsversorgung – ähnlich wie die Trinkwasserversorgung – Aufgabe der „kommunalen Daseinsvorsorge“ ist und nicht Marktgesetzen zu folgen habe. Vor allem die Versicherungswirtschaft beklagt allerdings, dass es in Deutschland bislang noch nicht wirklich gelungen sei, den Bürgern die Vorteile eines freien Marktes gegenüber staatlicher Reglementierung zu vermitteln.
”Sachzwang-Strategie” soll Widerstände brechen
Da in der Bevölkerung dafür – trotzt kostenintensiver Medienkampagnen – keine wirkliche Zustimmung zu erzielen ist, wurden Anfang der Jahrtausendwende die Kommunen durch steuerrechtliche Anreizsysteme dazu gezwungen, „freiwillig“ ihre Kreiskrankenhäuser in eine privatrechtliche Struktur zu überführen. Gleichzeit wurden sogenannte „marktwirtschaftliche Steuerungselemente“ verschärft, die diese Krankenhäuser in ein Wettbewerbssystem stellten. Das Ergebnis war vielfach, dass sich diese gegenseitig „kannibalisierten“, womit die gewünschte Marktbereinigung ”aus sich selbst heraus” beschleunigt wurde.
Viele Kommunen versuchten in der Vergangenheit dieser Systematik dadurch zu entgehen, dass sie die zwangsweise entstehenden Defizite aus kommunalen Haushaltsmitteln abfingen. Der politisch kalkulierte Unmut der Bürger wegen „Verschwendung von Steuergeldern“, sorgte damit dafür, den Widerstand gegen mögliche Privatisierungen bei den Bürgern zu brechen. Politisch ausgeschlossen ist bislang, daraus die Lehre zu ziehen und das Finanzierungssystem DRG auf den Prüfstand zu stellen. Vielmehr werden die bundespolitischen Rahmenbedingungen zur Etablierung weiterer „marktwirtschaftlicher Steuerungselemente“ weiter verschärft.
”Qualitätssicherung”: Orwellsches Neusprech ?
Dazu gehört auch die seit Anfang 2016 gesetzlich etablierte Krankenhausstrukturreform. Unter dem Stichwort „Qualitätssicherung“ verfolgt sie das Ziel, die bundesweit angestrebte Schließung von Krankenhäusern mit Hilfe künstlich gesetzter Sachzwänge zu beschleunigen. Durch die Wortschöpfung „Qualitätssicherung“ ist zudem massenpsychologisch weitgehend ausgeschlossen, dass sich Bürger gegen ”Qualitätssicherung” zur Wehr setzen.
Hinter der allgemein als positiv wahrgenommen Begrifflichkeit verbirgt allerdings die Vorgabe, die etwa 2000 Krankenhäuser in Deutschland auf etwa 1500 zu reduzieren. Betroffen sind vor allem kleinere wohnortnahe Landkrankenhäuser, die nicht genügend Fälle generieren können, um auf ökonomisch vertretbare Weise betrieben werden zu können. Diese haben auch nicht mehr die Mittel, um erforderliche Investitionen zu tätigen.
Mit dieser seit Jahrzehnten in kleinen Schritten realisierten „Sachzwang-Strategie“, kann zudem erreicht werden, dass Vorstellungen über eine „andere Gesundheitspolitik“ als realitätsferne Spinnerei erscheinen muss. Das schützt wiederum vor allem Kommunalpolitiker, die vielfach überfordert sind, jedoch als erste den Unmut ihrer Bürger direkt zu spüren bekommen.
Kommunalpolitiker als fragwürdige Erfüllungsgehilfen?
Aus diesem Grunde weisen Bürgerinitiativen im Lande zunehmend darauf hin, dass es nicht ausreiche, auf Kommunalpolitiker und Klinik-Chefs „einzudreschen“. Vielmehr müsse gesehen werden, dass die Landes- und Bundespolitik unter dem Einfluss mächtiger Lobbyisten für diese Fehlentwicklungen verantwortlich zeichnet. Kommunalpolitik dürfe sich hier allerdings nicht zu Erfüllungsgehilfen dieser Interessengruppen machen lassen.
Von Kommunalpolitikern sei zu erwarten, dass sie die Erfordernisse der Gesundheitsversorgung in ländlichen Regionen erkennen und vertreten, statt sich Konzepte aufschwatzen zu lassen, die nicht einmal in Metropolen und bevölkerungsreichen Regionen so aufgehen, wie es gekaufte Gutachter und sogenannte Experten mit plausibel gestalteten Zahlenmaterial nachvollziehbar vermuten.
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