okj-Kommentar
von Jürgen Wieckmann
Seit der Auricher Landrat Harm-Uwe Weber und Emdens Oberbürgermeister Bernd Bornemann (beide SPD) im November 2013 die Öffentlichkeit mit der Ankündigung überraschte, die bestehenden Krankenhäuser in Norden, Emden und Aurich schließen und eine Zentralklinik auf der Grünen Wiese in Georgsheil errichten zu wollen, ist kaum eine Woche vergangen, in der nicht über das Für und Wider dieses mindestens 250 Mio. € teuren Vorhabens berichtet wurde.
Am kommenden Sonntag (11.06.17) wird ein Bürgerentscheid zumindest diese Diskussion beenden. Gegen erhebliche Widerstände winkeladvokatischer Kommunalpolitiker, hatte das Aktionsbündnis Klinikerhalt den Bürgerentscheid erzwungen. Dieser wendet sich weniger an sogenannte Experten und Akteure des Gesundheitswesens, sondern in erster Linie an die Bürger. Dr. Astrid Gesang, medizinische Geschäftsführerin der drei Krankenhäuser, kommentiert dies mit den Worten, dass die Krankenhauswelt in Deutschland auf Ostfriesland schaue.
Pflegefall Krankenhaus
Das medizinische Versorgung der Menschen (nicht nur im Krankenhaus) unter wahrhaft absurden politischen Rahmenbedingungen bewerkstelligt werden muss, gehört in Ostfriesland mittlerweile zur Allgemeinbildung. Auch wenn öffentliche Debatten zur Zentralklinik bisweilen mehr verwirren als klären konnten, so hat dies auch mit dazu beigetragen, die Absurditäten des deutschen Gesundheitswesens zumindest in Ansätzen zu vermitteln. Vereinfacht gesagt, scheint es in Deutschland gelungen zu sein, die skurrilsten Auswüchse bürokratisierender Planwirtschaft mit den negativen Seiten sogenannter „marktwirtschaftlicher Steuerungselemente“ zu vermengen.
Festgefressen hat sich auch ein vor allem ökonomischer Anachronismus, der zwischen „ambulanter“ und „stationärer“ Gesundheitsversorgung unterscheidet. Aus rein medizinischer Sicht ist das blanker Unfug. Doch mit der geplanten Zentralklinik, könnte dieser Unfug noch in Beton gegossen werden – jedenfalls dann, wenn die Bürger für die Schließung ihrer bestehenden Krankenhäuser entscheiden.
Politische Halblügen
Seit über drei Jahren wird den Ostfriesen diese Zentralklinik regelrecht vermarktet. Nur mit ihr könne ”hochwertige medizinische Versorgung” sichergestellt werden, heißt es. Politische Lügen zeichnen sich meist dadurch aus, das man nur ein Wort auslassen braucht, um Halbwahrheiten zur Halblüge werden zu lassen. Das entscheidende Wort, welches hier ausgelassen wird, lautet „stationäre“.
Man darf unterstellen, dass sich in Ostfriesland wohl weniger Widerstand gegen das Vorhaben formiert hätte, wenn die Damen und Herren Zentralkliniker belastungsfähig hätten darstellen können, wie die vor allem nicht stationäre Gesundheitsversorgung der Menschen in den drei Mittelzentren gestaltet werden soll – ohne das Krankenhaus und unter realistischen Annahmen. Selbst der zweifelsfrei begnadete Zentralklinik-Verkäufer Claus Eppmann, der für seine proaktive Kommunikationsstrategie von den einen geschätzt, von anderen bekrittelt wird, bleibt an dieser Stelle auffällig im Ungefähren. Das ist eigentlich nicht sein Stil. Der Mann ist bekanntlich fähig, eine Zentralklinik zu vermarkten, über die letztlich nichts handfestes gesagt werden kann.
Übermächtiger Mitspieler: die KBV
Der Grund für Eppmanns Abrutschen ins letztlich inhaltsbefreite Politsprech, hat damit zu tun, dass der Krankenhausmann gut beraten ist, sich öffentlich nicht zu sehr im Hoheitsgewässer der ambulanten Gesundheitsversorgung zu tummeln, um die es hier geht – schon gar nicht „proaktiv“. Hier herrscht die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KVB) und deren Ärztefunktionäre. Diese ist weniger eine sinnvolle Interessenvertretung niedergelassener Ärzte, sondern eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, welche die Milliarden verwaltet und verteilt, die für ambulante Versorgung der Menschen aufzubringen sind.
Gezerre um Patientengut
Auch Krankenhäuser, die Patienten ambulant behandeln, müssen gegenüber der KV abrechnen. Mindestens einmal im Jahr zünden deren Ärztefunktionäre mit hauseigenen Betriebswirtschaftlern im Schlepptau größere Medienkampagnen an. In diesen wirft man Krankenhäusern vor, über ihre sogenannten Notfall-Ambulanzen „Patientengut“ zu akquirieren, welches schon gesetzlich festgeschrieben den niedergelassenen Ärzten ”gehört”. Kernpunkt ist der sogenannte Sicherstellungsauftrag, der den KV’en vor allem ein Quasimonopol für ambulante Gesundheitsversorgung der Kassenpatienten sichert.
Seit Jahren schon scheitern die Versicherungwirtschaft (Krankenkassen) aber auch Krankenhausärzte und ihre niedergelassenen Kollegen an einer Umerziehung der Patienten. Sie sollen bei Beschwerden aller Art eben nicht das Krankenhaus aufsuchen, sondern den niedergelassenen Arzt. Doch bundesweit ist die Abstimmung der Patienten mit den Füssen mächtiger, als das, was die Akteure des Gesundheitswesens gerne hätten.
Krankenhaus versorgt überwiegend Ambulant-Patienten
Das offenbart sich mit schlichter Statistik auch im UEK-Verbund Aurich/Norden. 2016 liefen dort insgesamt 42.377 Ambulant-Patienten auf. Demgegenüber standen lediglich rund 30.000 stationäre Behandlungen. Ähnlich auch die Lage im Emder Klinikum. 15.000 Stationärpatienten standen rund 20.000 ambulant Fällen gegenüber. Eine beachtenswerte Steigerung. 2014 waren nach Angaben des früheren Emder Klinikchefs Ulrich Pomberg 12.300 Ambulant-Patienten zu behandeln.
Patient ruiniert Krankenhaus
Genau diese Patienten sind in einem Krankenhaus jedoch nicht sonderlich willkommen. Nach einer Studie der Deutschen Krankenhausgesellschaft aus dem Jahr 2013, liegen die durchschnittlichen Betriebskosten eines Krankenhauses, herunter gebrochen auf den einzelnen Ambulant-Fall, bei etwa 120 Euro. Das dürfte mittlerweile mehr geworden sein. Abrechnen kann ein Krankenhaus – ebenfalls im Durchschnitt – rund 36.- Euro pro Ambulant-Patient. Darin enthalten sind etliche Fälle, die das Krankenhaus schlichtweg kostenlos behandelt.
Diese ungünstige Kosten-/Erlösrelation für ambulante Notfallbehandlungen im Krankenhaus würde unter unveränderten Finanzierungsbedingungen grundsätzlich auch das Zentralkrankenhaus treffen. Auch hier neigen Zentralklinik-Verkäufer wieder zur Halblüge, etwa mit dem Hinweis, dass der Standort Georgsheil in optimaler Mitte zu den drei Mittelzentren liege – und deshalb Georgsheil der Standort der Wahl ist. Ein Blick auf die Landkarte bestätigt dies – allerdings:
Verschwiegenes Argument pro Zentralklinik auf der Grünen Wiese
Ein ebenfalls nicht unwichtiger Grund der für die Zentralklinik auf der Grünen Wiese spricht, ist die Annahme der Planer, dass die Notfallambulanz der neu zu errichtende Klinik wegen ihrer Lage außerhalb der Städte Emden, Aurich und Norden mutmaßlich von weniger Patienten in Anspruch genommen werden würde. Anstelle der bestehenden Krankenhäuser sollen sogenannte Notfallversorgungspraxen entstehen. Bedingung ist jedoch – und daran gibt es nichts zu deuteln – dass das Zentralkrankenhaus die Kosten und das Risiko für diese dem niedergelassenen ärztlichen Bereich zugeordnete Leistungen nicht zu tragen hat.
An dieser Stelle beteuert Chefplaner Claus Eppmann (durchaus glaubwürdig), er beabsichtige nicht den niedergelassenen Ärzten den Stein mit Ambulant-Patienten in den Vorgarten zu werfen. Das ist schlicht deshalb glaubhaft, weil die kaufmännische Abteilung der Zentralklinik letztlich darauf angewiesen ist, dass die niedergelassenen Ärzte dem Krankenhaus den Defizit-Bringer ”Ambulant-Patient” vom Hals halten. Das klingt garstig, aber die Spielregeln der Krankenhaus-Finanzierung interessieren ärztliche Ethik in nur nachgeordneter Weise – bzw. erst dann ernsthaft, wenn der ärztliche Berufsethos aus rein wirtschaftlichen Gründen derart mit Füssen getreten wird, das ein Imageverlust des Krankenhauses droht, der sich negativ auf die Bilanz auswirkt. Darüber kann man sich mit Ärzten (hinter vorgehaltener Hand) und im Rahmen eines netten Sonntagsgesprächs wunderbar unterhalten – doch ab Montag haben sich alle wieder den Sachzwängen unterzuordnen.
Schön das wir darüber geredet haben ?
Auch deshalb ist es letztlich sinnlos, sich mit den Akteuren im Gesundheitswesen zu unterhalten. Sie alle sind fest im System eingezwängt – und vertreten oftmals nur noch mit dem Rücken an der Wand, ihre nachvollziehbaren Interessen. Das gilt natürlich auch für die hiesigen Krankenhaus-Ärzte, die mit einer bemerkenswerten Wucht, fast schon flehen, das man ihnen die Zentralklinik baut. Das hat eine gewisse Folgerichtigkeit. Wenn man über Jahre systematisch den kleinen Krankenhäusern ökonomisch den Hals umdreht, ist es relativ leicht zu berechnen, wann auch eine durchaus leidensfähige Ärzteschaft an ihre Grenzen kommt. Dabei werden auch die Ärzte letztlich nur benutzt. Im Gegensatz zu den hinlänglich bekannten Politikdarstellern, haben Ärzte in der Bevölkerung noch eine gewisse Glaubwürdigkeit und Autorität. Diese einzusetzen um den Bockmist der Politik zu kaschieren – mit dem Effekt Bürgerwiderstand gegen Krankenhausschließungen zu brechen – ist eine zwar perfide aber durchaus auch erfolgreiche Strategie.
Millionen-Projekt Zentralklinik
Kommunalpolitischer Fluchttunnel für einen noch amtierenden Landrat
Als fatal hat sich erwiesen, dass es der noch amtierenden Landrat Harm-Uwe Weber zugelassen hat, das Bürger, Patienten, Ärzte und Pflegekräfte in dieser Auseinandersetzung in Konfrontationskurs gerieten. Das wurde der durchaus vielschichtigen Problemlage in keiner Weise auch nur ansatzweise gerecht. Der Grund dafür, ist relativ einfach. Weber weiß, dass er für die Miesere der beiden Krankenhausstandorte in Aurich und Norden zumindest politisch verantwortlich gemacht wird. Sein Emder Amtskollege Bornemann bot ihm hier für mehrere Millionen Euro aus der Emder Stadtkasse einen recht passablen kommunalpolitischen Fluchttunnel. So jedenfalls wird es im politischen Dunstkreis des Auricher Kreistages gemurmelt. Nicht ohne Grund stellte der Chefredakteur der Ostfriesischen Nachrichten (ON), Stefan Schmidt, auf der ON-Podiumsdiskusion in der vergangene Woche Landrat Weber die Frage, welche Konsequenzen er ziehen werde, sollten die Bürger das Projekt Zentralklinik ablehnen.
Zentralklinik: Zu Risiken und Nebenwirkungen…
Mittlerweile begreifen zunehmend mehr Gesundheitspolitiker, dass Krankenhaus-Zentralisierungen in ländlichen Regionen meist schief gehen. Das gilt unabhängig davon, ob diese mit Neubauten oder in eine bestehende Krankenhauslandschaft „implementiert“ werden, wie es neudeutsch heißt.
Der von Claus Eppmann durchaus zurecht befürchtete ”Stein”, der aus dem Vorgarten niedergelassener Ärzte aufs Krankenhaus-Gelände zurückgeworfen werden wird, gehört zu den erfahrbaren Wirklichkeiten, die andere Regionen bereits hinter sich haben. Gemeint sind damit die ungeliebten Ambulant-Patienten, die in den Notfall-Ambulanzen eines Krankenhauses nach gültiger Lesart nichts zu suchen haben. Die Diskussion über „weite Wege“ zum Krankenhaus auf der Grünen Wiese – die heute noch ein wesentlicher Grund für den Widerstand gegen die Zentralklinik ist – wird sich natürlich in dem Augenblick erledigen, wenn die Zentralklinik ans Netz geht. Die Menschen werden sich damit abzufinden haben, denn es bleibt ihnen bleibt dann nichts anderes übrig.
Prellbock Bereitschaftsarzt
Sie werden jedoch Wege finden, um weiterhin die gefürchtete Abstimmung mit den Füssen zu betreiben – heißt praktisch, die kleine Notfall-Ambulanz in Georgsheil wird von Aurich, Norden und Emden gleichzeitig in Anspruch genommen werden. Verhinderbar wäre das nur, wenn integrierte Gesundheitsversorgung (ambulant/stationär) wohnortnah besser wird, als das, was heute zu erleben ist. Nicht nur in Ostfriesland. Weil Patienten, die ein Krankenhaus aufsuchen, das krude Gesundheitssystem nicht wirklich verstehen (was auf anderer Ebene sogenannten Gesundheitsexperten nicht viel anders ergeht) – werden dort vor allem diensthabende Ärzte aber auf Pflegekräfte oftmals mit einer Aggressivität konfrontiert, die bisweilen auch in tätliche Angriffe übergeht. Dabei sind die Mediziner an der Front diejenigen, die wenigsten dafür können. Dennoch müssen sie den Unfug irgendwelcher Gesundheitspolitiker, die bisweilen auch unter dem Einfluss fragwürdiger Lobbys stehen – ausbaden.
KV-Sicherstellungsauftrag gehört an die Krankenhäuser
Lösungen sind eigentlich gar nicht so schwierig, wie sie aufgrund eines wirren Interessen-Gestrüpps bisweilen erscheinen. Bei dem Stein in den Vorgärten von wem auch immer geworfen, ist in Wahrheit ein Massivgebirge und heißt ”anachronistisches Abrechnungssystem”. Viele Gesundheitsexperten empfehlen deshalb, den Sicherstellungsauftrag der ambulanten Versorgung offiziell von der KV auf die Krankenhäuser zu übertragen, ebenso wie die von den Krankenkassen dafür bereitgestellten finanzielle Mittel. Dann gäbe es erheblich realistischer eine feste Anlaufstelle für alle Patienten an 365 Tagen, rund um die Uhr – die Defizite würden deutlich gemindert.
Das allerdings käme einem Erdbeben im Deutschen Gesundheitswesen gleich, welches vor allem die Politik einleiten müsste. ‑Die Interessen der einzelnen Parteien im Gesundheitswesen lassen sich nun mal nicht durch wundersame Selbstfindung unter einem Dach vereinbaren. Manche Kommentatoren, die ein solches Erdbeben für längst überfällig halten, erklären gerne, dass dieses Thema zu politischen Chefsache gemacht werden müsse. Das allerdings lässt sich als übliche Floskel abtun – wirkungslos und illusorisch.
Der ”Riese Patient” als ”König Kunde”?
Man mag eine Menge „Störgefühle“ haben, wenn vor allem Gesundheitsökonomen mit einer sprachlichen Umerziehung die Bürger auf einen Gesundheitsmarkt hin konditionieren wollen. Diese Leute sprechen nicht mehr von Patienten, sondern von Kunden – aus Ärzten werden „Gesundheitsdienstleister“.
Möglicherweise ist dieser „Kundengedanke“ jedoch das einzige Mittel, um die diversen Einzelinteressen mächtiger Gruppierungen in einer Weise zu disziplinieren, das sie zu lernen haben wer im Mittelpunkt zu stehen hat – die Bürger und Patienten – und, das darf auch gesagt werden, die Menschen die als Ärzte und Pflegepersonal vor allem einen Sozialberuf ausüben und diesen in Zukunft auch unter Bedingungen – die weniger von Betriebswirtschaftlern dominiert wird, die hinter jeder Krankenschwester herlaufen und die Minuten zählen, die man noch „wegoptimieren“ könnte, um Personalkosten weg zu drücken. Noch sind in einem Krankenhaus die dort arbeitenden Menschen das wichtigste – nicht zwangsläufig medizinische Hightech.
Ostfriesische Demokratie-Geschichte
Das eingangs erwähnte Erdbeben im Gesundheitswesen – vor allem dessen ökonomische Fehlentwicklungen – wird der bevorstehende Bürgerentscheid in Ostfriesland wahrscheinlich nicht auslösen können. Doch wenn sich die Menschen in Ostfriesland gegen die Zentralklinik entscheiden, wäre das ein klares Votum gegen eine vor allem auch von oben verordnete Gesundheitspolitik. Wie der Bürgerentscheid in Ostfriesland ausgehen wird, lässt sich nicht vorhersagen. Allerdings wird eines zu gelten haben – egal, wie sich die Bürger entscheiden werden, dieses Votum hat respektiert zu werden. Das gilt für Befürworter und Kritiker des Vorhabens in gleicher Weise. Dabei sollte vermieden werden, die einen oder die anderen als Verlierer oder Gewinner dieser Wahl zu bezeichnen.
Das Entscheidende ist, das hier möglicherweise wirklich ostfriesische Demokratie-Geschichte” geschrieben wird – und wie immer auch die Entscheidung ausgehen wird, diejenigen die sich daran zu halten haben, werden die Unterstützung von Bürgern, Patienten, Ärzten, Pflegekräfte aber auch Kommunalpolitikern brauchen. Über eines sind sich schließlich alle Beteiligen im Klaren. Die bevorstehenden Umstrukturierungen – so oder so – werden kein Waldspaziergang sein. Und entgegen anders lautenden Erzählungen, ist auch den Kritikern des Vorhabens klar, dass das, was sich im Landkreis Aurich unter Landrat Harm-Uwe Weber mit den Krankenhäusern entwickelt hat, so nicht mehr weitergehen kann und auch nicht weitergehen wird.
Comments are closed.