Ostfriesisches Klinik Journal

Für den Erhalt wohnortnaher Krankenhäuser

Abgewiesenes Bürgerbegehren: Wochenanfang mit Knalleffekt

ablehnungAurich (okj) – Die Kurz­mel­dung der Emder Zei­tung vom Mon­tag (21.3.) schlug bei der SPD wie eine Bom­be ein. Der Kreis­tags­ab­ge­ord­ne­te Hel­mut Ross (SPD) will bei der nie­der­säch­si­schen Kom­mu­nal­wahl am 11. Sep­tem­ber 2016 nicht mehr für die SPD im Kreis­tag antre­ten. Der Grund: SPD-Abge­ord­ne­te im Auricher Kreis­aus­schuss hat­ten geschlos­sen gegen den vom Akti­ons­bünd­nis Kli­ni­ker­halt ein­ge­brach­ten Antrag auf ein Bür­ger­be­geh­ren gestimmt. Abge­lehnt wur­de der Antrag aus rein for­ma­len Grün­den. Das Bünd­nis habe es ver­ab­säumt den vom Gesetz­ge­ber vor­ge­schrie­be­nen plau­si­blen Kos­ten­de­ckungs­vor­schlag ein­zu­rei­chen. In die­sem hät­te dar­ge­legt wer­den sol­len, wie die Kran­ken­haus-Stand­or­te in Nor­den und Aurich auf wirt­schaft­lich ver­tret­ba­re Wei­se betrie­ben wer­den kön­nen.

jwi_300okj-Kommentar
von Jürgen Wieckmann

Bei ihrer Ent­schei­dung hat­ten die Abge­ord­ne­ten wohl außer Acht gelas­sen, dass die Lan­des­re­gie­rung den Kos­ten­de­ckungs­pas­sus in der nie­der­säsch­si­schen Kom­mu­nal­ver­fas­sung in einer Novel­lie­rung bereits gestri­chen hat. Der Kabi­netts­be­schluss befin­det sich der­zeit aller­dings im par­la­men­ta­ri­schen Ent­schei­dungs­ver­fah­ren und hat somit noch recht­li­che Gül­tig­keit.

Rein for­mal betrach­tet war die Ent­schei­dung also ein gang­ba­rer Weg, um das Bür­ger­be­geh­ren zu ver­hin­dern – poli­tisch war es jedoch ein demo­kra­ti­scher Offen­ba­rungs­eid. For­mal kann das Akti­ons­bünd­nis gegen die­sen Ent­scheid nun Kla­ge erhe­ben, mit durch­aus hoher Aus­sicht auf Erfolg.

Dafür steht das höchst­rich­ter­li­che Grund­satz-Urteil des Ober­ver­wal­tungs­ge­richt in Lüne­burg. Sinn­ge­mäß besagt die­ses, das die Anfor­de­run­gen an den Kos­ten­de­ckungs­vor­schlag nicht zu eng aus­ge­legt wer­den dürf­ten.

Mit die­sem Urteil im Gepäck hat­te das Bünd­nis den Antrag gestellt und sich dabei auf seriö­ses Zah­len­ma­te­ri­al des vom Land­kreis selbst in Auf­trag gege­be­nen Bre­de­horst-Gut­ach­tens bezo­gen. In die­sem wur­de für rund 2 Mio. € Gut­ach­ter­kos­ten kon­kret dar­ge­legt, wie bei­de Stand­or­te wirt­schaft­lich auf soli­de Bei­ne gestellt wer­den könn­ten. Ermög­licht wur­de die­ser Bezug aller­dings nur dank meh­re­rer whist­leb­lower, die die­ses unter Ver­schluss gehal­te­ne Gut­ach­ten dem Bünd­nis anonym zuspiel­ten.

Auch Zentralklinik-Befürworter waren aufgerufen mit abzustimmen

zentralklinikum_logoSeit Mona­ten geht es bei die­ser Aus­ein­an­der­set­zun­gen nicht mehr um das Für und Wider einer Zen­tral­kli­nik. Was die Men­schen in der Regi­on vor allem ver­är­gert, ist, das ohne Bür­ger­be­tei­li­gung über die Zukunft des Gesund­heits­we­sens von oben her­ab ent­schie­den wird. Die Initia­to­ren des Bür­ger­be­geh­rens sind sich zwar sicher, dass die Mehr­heit der Bür­ger gegen eine Zen­tral­kli­nik und für den Erhalt ihrer vor Ort Kran­ken­häu­ser ein­ge­stellt sind – doch das ist in der Tat eher ein „Bauch­ge­fühl“.

Zumin­dest in in den sozia­len Medi­en meh­ren sich Stim­men, die eine Zen­tral­kli­nik für sinn­voll erach­ten. Befür­wor­ter des Pro­jek­tes behaup­ten gar, dass die Mehr­heit der Men­schen im Land­kreis für die Zen­tral­kli­nik votie­ren wür­den, da sie letzt­lich alter­na­tiv­los sei. Jeder glaubt an die eige­ne Über­zeu­gung – das ist nor­mal, bleibt aber den­noch höchst spe­ku­la­tiv.

Großprojekte brauchen ”gesellschaftliche Akzeptanz”

Ministerin_Rundt

For­dert gesell­schaft­li­che Akzep­tanz der Zen­tral­kli­nik. Nie­der­sach­sens Sozi­al­mi­nis­te­rin Cor­ne­lia Rundt (SPD)

Nie­der­sach­sens Sozi­al­mi­nis­te­rin Cor­ne­lia Rundt (SPD) hat­te ihrem Par­tei­ge­nos­sen im Land­rats­amt noch im April letz­ten Jah­res sogar öffent­lich ins Stamm­buch geschrie­ben, dass neben den rein wirt­schaft­li­chen Gesichts­punk­ten das Minis­te­ri­um bei der Bewil­li­gung von För­der­gel­dern auch die „gesell­schaft­li­che Akzep­tanz“ des Groß­pro­jek­tes Zen­tral­kli­nik berück­sich­ti­gen wer­de. Rundt und ihr Minis­te­ri­um beken­nen sich offen zur Zen­tral­kli­nik und wol­len das Pro­jekt för­dern. Doch das Bekennt­nis der Minis­te­rin steht auf dün­nem Eis.

Nach Berech­nun­gen des Sozi­al­mi­nis­te­ri­ums und der Nie­der­säch­si­schen Kran­ken­haus­ge­sell­schaft beläuft sich der Inves­ti­ti­ons­stau für Kran­ken­häu­ser mitt­ler­wei­le auf 1,5 Mil­li­ar­den Euro. Der aktu­el­le bun­des­wei­te ”Kran­ken­haus Rating Report” füh­ren­der deut­scher Wirt­schafts­in­sti­tu­te errech­net für Nie­der­sach­sen gar einen Fehl­be­trag von 2,1 Mil­li­ar­den Euro. Damit belegt das Land bun­des­weit den letz­ten Platz aller Bun­des­län­der.

Ähn­lich desas­trös ist nach wie vor die Ver­gü­tung der Pati­en­ten­be­hand­lun­gen durch die Kran­ken­kas­sen. Der Lan­des­ba­sis­fall­wert liegt hier­zu­lan­de weit unter Bun­des­durch­schnitt und ver­schärft die wirt­schaft­li­che Situa­ti­on der meis­ten Kran­ken­häu­ser. Zwei Drit­tel aller Kli­ni­ken schrei­ben mitt­ler­wei­le rote Zah­len. Eine Ver­bes­se­rung der ver­hee­ren­den Gesamt­si­tua­ti­on ist nicht in Sicht.

Landesförderung bleibt nach wie vor fraglich

So könn­te es mit den geplan­ten Inves­ti­tio­nen und der angeb­li­chen Finan­zie­rungs­zu­sa­ge durch das Land Nie­der­sach­sen noch Über­ra­schun­gen geben. Pro Jahr ste­hen für alle Kran­ken­häu­ser ohne­hin nur 120 Mio. € zur Ver­fü­gung. Von einer För­der­sum­me in Höhe von 180 Mio. aus­zu­ge­hen, wie Land­rat Weber vor weni­gen Tagen zur Über­ra­schung aller ver­brei­ten ließ, ist als Hoff­nung des Land­krei­ses Aurich mehr als nur ambi­tio­niert. Das dürf­te auch die Minis­te­rin wis­sen und könn­te ihre Zusa­ge auf För­de­rung ohne Gesichts­ver­lust auf den St. Nim­mer­leins­tag ver­schie­ben.

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Weber und der Scheck aus Hannover

Die­ses dürf­te auch Land­rat Harm-Uwe Weber wis­sen, wes­we­gen er vor allem Kri­ti­kern in den eige­nen Rei­hen einen Maul­korb ver­pass­te. Wer immer auch gegen sei­ne Plä­ne oppo­nier­te, setz­te sich dem Vor­wurf aus, damit die mög­li­che Lan­des­för­de­rung zu gefähr­den. Mit den Bür­gern des Land­krei­ses kann der Land­rat in die­ser Wei­se nicht mehr ver­fah­ren. Das dürf­te und soll­te ihm eini­ge schlaf­lo­se H.U.W.Näch­te ver­ur­sa­chen, denn: Weber ist auf den Scheck aus Han­no­ver ange­wie­sen.

Bleibt er aus, wird unwei­ger­lich die Fra­ge zu stel­len sein, was im Land­kreis Aurich die kom­mu­na­len Kran­ken­häu­ser in eine zwei­fels­frei fast aus­sichts­lo­se Lage gebracht hat. Fra­gen, die Weber dann selbst beant­wor­ten müss­te – ohne die Mög­lich­keit, ande­re vor­zu­schi­cken, die für den poli­tisch Haupt­ver­ant­wort­li­chen die­ser Mie­se­re die Kas­ta­ni­en aus dem Feu­er holen.

Auch wenn es Weber gelun­gen ist, „sei­ne“ Sozi­al­de­mo­kra­ten im Kreis­tag mit Hil­fe des weber­treu­en Frak­ti­ons­vor­sit­zen­den Jochen Beek­huis auf Spur zu hal­ten, für den Land­rat wird es zuneh­mend eng. Schließ­lich erfüllt der Kos­ten­de­ckungs­vor­schlag des Akti­ons­bünd­nis sehr wohl alle vom Gesetz­ge­ber ein­ge­for­der­ten Bedin­gun­gen – sogar dar­über hin­aus. Dies zu erken­nen, setzt aller­dings eine ande­re Beur­tei­lung der Lage vor­aus, als sie von Weber per­ma­nent erzählt wird.

Krankenhaus-Erhalt ist machbar – aber wohl nicht gewollt

100 Mio. € Inves­ti­ti­ons­stau haben die wohn­ort­na­hen Kran­ken­häu­ser zu ver­zeich­nen, heißt es offi­zi­ell. Das wären für den Erhalt der wohn­ort­na­hen Kran­ken­häu­ser 150 Mio. € weni­ger, als die der­zeit ange­ge­be­nen Bau­kos­ten für eine Zen­tral­kli­nik auf der Grü­nen Wie­se. Die Steu­er­zah­ler käme die­se Vari­an­te zwei­fels­frei erheb­lich preis­wer­ter und – sie ent­sprä­che zudem auch noch dem Bür­ger­wil­len. Nur eines ist an die­ser Betrach­tungs­wei­se nicht ganz rich­tig.8_portrait För­der­gel­der gibt es eben nur, wenn man klei­ne­re Kran­ken­häu­ser schließt und zen­tra­li­siert neue baut. Ein Ergeb­nis jah­re­lan­ger soge­nann­ter Gesund­heits­re­for­men auf bun­des­po­li­ti­scher Ebe­ne.

Dage­gen weh­ren sich immer mehr Men­schen – nicht nur in Nie­der­sach­sen. Oft ver­lie­ren sie gegen die­se von oben ver­ord­ne­te Poli­tik. Davon kann auch Zeevens Bür­ger­meis­ter Hans-Joa­chim Jaap ein Lied sin­gen. Anders als sein Kol­le­ge in Emden, Ober­bür­ger­meis­ter Bernd Bor­n­e­mann (SPD) hat der CDU-Mann in Zeeven alle Bür­ger sei­ner Stadt beim Kampf um den Erhalt des dor­ti­gen Mar­tin-Luther-Kran­ken­hau­ses hin­ter sich. Die­ses ist ähn­lich wie das Emder Kli­ni­kum ein klei­nes Kran­ken­haus und als sol­ches eher Opfer einer ver­fehl­ten Gesund­heits­po­li­tik. Anders als im Land­kreis Aurich, mit dem immer­hin größ­ten Kran­ken­haus­ver­bund auf der ost­frie­si­schen Halb­in­sel, sind die Defi­zi­te des Emder Kli­ni­kums eher kei­ne kei­ne haus­ge­mach­ten Pro­ble­me.

Kommunalpolitik am Ende der politischen Nahrungskette ?

NahrungsketteBei aller not­wen­di­gen Här­te in den Aus­ein­an­der­set­zun­gen, soll­te man fair blei­ben und im Augen behal­ten, dass Kom­mu­nal­po­li­ti­ker nun mal am Ende der poli­ti­schen Nah­rungs­ket­te ste­hen. Oft genug, müs­sen sie für die ver­fehl­te Poli­tik auf Landes‑, Bun­des- und auch EG-Ebe­ne die Prü­gel aus­hal­ten – ohne dafür wirk­lich ver­ant­wort­lich zu sein.

Genau des­halb stellt sich immer wie­der die Fra­ge, war­um sich man­che Kom­mu­nal­po­li­ti­ker lie­ber „nach oben hin“ ori­en­tie­ren, statt sich mit ihren Bür­gern zu soli­da­ri­sie­ren, so dass ein Poli­tik­stil von unten nach oben greift – und nicht umge­kehrt. Ein Blick auf die seit dem Jahr 2000 aktu­ell gepfleg­te Inter­net­sei­te Kli­nik­ster­ben in Deutsch­land zeigt, dass das, was sich nun auch in Ost­fries­land abzu­zeich­nen scheint, im gan­zen Lan­de abspielt – gegen die Wil­len der Bür­ger.

Es geht auch anders: Kommunalpolitiker gemeinsam mit Bürgern

vernetzungWacke­re Bür­ger­meis­ter aber auch Land­rä­te die sich land­auf, land­ab zur Wehr set­zen, wie Zeevens Bür­ger­meis­ter Hans-Joa­chim Jaap, ver­lie­ren oft genug die­sen Kampf, denn noch fehlt es an der Ver­net­zung die­ser vie­len Initia­ti­ven. Das aller­dings könn­te nur noch eine Fra­ge der Zeit sein. Dank Inter­net und sozia­ler Medi­en, sind zumin­dest die tech­ni­schen Vor­aus­set­zun­gen gege­ben. Eigent­lich fehlt nur noch die sozia­le Ver­net­zung.

Kommunalwahlen sind Persönlichkeitswahlen

Kom­mu­nal­wah­len sind bekannt­lich vor allem Per­sön­lich­keits­wah­len. Hier spie­len Par­tei­bü­cher eine gerin­ge­re Rol­le, als für Lan­des­par­la­men­te. Das ist eine Chan­ce, auch wenn sie wegen des Wahl­rechts eine ein­ge­schränk­te ist. Wün­schen­wert wäre auch für den Auricher Kreis­tag, dass es künf­tig mehr Abge­ord­ne­te mit einem Direkt­man­dat und weni­ger sol­che gibt, die über die guten Lis­ten­plät­ze ihrer jewei­li­gen Par­tei in das Par­la­ment gera­ten. Letz­te­re sind bekannt­lich leicht auf Kurs zu hal­ten, da sie ihr Man­dat eher durch die Par­tei und weni­ger durch die Wäh­ler erhal­ten haben.

Politische Parteien im Niedergang?

13827Eine Unsit­te der hie­si­gen Par­tei­en ist übri­gens auch, bekann­te und ehren­wer­ter Bür­ger auf ihre Lis­ten­plät­ze zu bekom­men, nicht etwa, weil sie gewählt wer­den sol­len, son­dern weil sie bei den Men­schen einen gut Ruf haben und damit der Par­tei Stim­men brin­gen. Das lässt sich durch­aus auch als lega­len Wahl­be­trug wer­ten.

Eines soll­ten aller­dings auch die eta­blier­ten Par­tei­en hier­zu­lan­de begrei­fen. Die Par­tei­en­ver­dros­sen­heit der Bür­ger, hat mitt­ler­wei­le demo­kra­tie­ge­fähr­den­de Ten­den­zen ange­nom­men. Jeder Bür­ger­meis­ter der was auf sich hält, ver­senkt erst ein­mal sein Par­tei­buch, um sei­ne Wahl­chan­cen zu erhö­hen.

Das war frü­her anders.

Selbst unbe­kann­te Kan­di­da­ten wur­den einst mit einem CDU oder SPD-Ticket geehrt. So man­cher Par­tei­sol­dat wäre des­halb gut bera­ten über die Ursa­chen die­ser Ent­wick­lung län­ge­re Zeit nach­zu­den­ken – am bes­ten außer­halb des Par­la­ments, wel­ches ent­ge­gen anders­lau­ten­den Wahr­neh­mun­gen, nicht den Par­tei­en, son­dern den Bür­gern gehört.


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