okj-Kommentar von Jürgen Wieckmann
Zu den peinlichsten Figuren dieser Tage dürfte der SPD-Fraktionsvorsitzende Jochen Beekhuis gehören. Mehrfach von den eigenen Genossen aufgefordert, zum Thema „Bürgerbegehren“ besser zu schweigen, konnte er sich mit einer Stellungnahme zum abgewiesenen Antrag nicht zurückhalten.
Öffentlich warf Beekhuis entsetzten Bürgern vor, die Abstimmung im Kreisausschuss „in ihrer Komplexität offenbar nicht erfasst und verstanden zu haben“. Die Beschimpfung der nach Ansicht Beekhuis wohl dummen Bürger, tarnte er natürlich mit Wahlkampfgetöse gegen die ungeliebte Fraktion der Grünen im Kreistag.
Geschichtlich überholte Jurologie
Diese hatten schlicht festgestellt, dass die SPD im Kreisausschuss durch die Abweisung des Bürgerbegehrens die Wähler beim Thema Zentralklinik zu Zaungästen degradiert habe. Gelungen sei dies, weil man sich hinter einer Formalie verstecke. Gemeint war der sogenannte Kostendeckungsvorschlag, mit dem man Bürgerbegehren in Niedersachsen gerne scheitern lässt. Aus diesem Grunde hat die Landesregierung diesen Passus in der Kommunalverfassung bereits gestrichen. Die parlamentarische Zustimmung gilt als sicher. Mit einer de facto historisch überholten Vorgabe in der Kommunalverfassung, hatten die Sozialdemokraten das ärgerliche Bürgerbegehren de jure scheitern lassen.
Der SPD zu unterstellen, dass sie wegen ihrer so zur Schau getragenen Rechtstreue gegen direkte Demokratie sei, bezeichnete Beekhuis als „bodenlose Unverschämtheit“. Dümmer ging’s wirklich nicht mehr. Beekhuis hätte sich zuvor besser bei Landrat Harm-Uwe Weber über die politische Praxis von Rechtsverständnissen aufklären lassen sollen.
Wie war das mit dem Gebietskörpervertrag NOR/AUR ?
Würde man die formaljuristischen Maßstäbe anlegen, die die SPD beim Bürgerbegehren exekutiert hat, begeht Weber mit seinen Planungen zur Zentralklinik einen permanenten Vertragsbruch. Laut Gebietskörperschaftsvertrag vom Juli 1977, geschlossen zwischen den Altkreisen Aurich und Norden, ist nach § 22 festgelegt, dass sich der Landkreis Aurich verpflichtet, die Krankenhäuser in Norden und Aurich auf technisch und medizinisch wünschbaren Stand zu halten. Dabei sei besonders darauf zu achten, dass das Norder Krankenhaus neben der Bevölkerung des Einzugsgebietes auch noch die große Zahl der Feriengäste zu versorgen hat.
Darauf angesprochen, erklärte der Landrat Harm-Uwe Weber in einer Bürgerfragestunde, dass sich dieses Vertragswerk geschichtlich überholt und damit quasi keine rechtliche Relevanz mehr habe.
Die Interpretation des Juristen ist amüsant. Gleiches dürfte auch für die von der Landesregierung bereits beschlossene Aufhebung des Kostendeckungsvorschlag bei Volksentscheiden gelten. Nicht ganz, denn Webers freifliegende Ungültigkeitserklärung des angesprochenen Paragraphen obliegt natürlich nicht seinem Gutdünken, sondern der Revisionsklausel in eben diesem Vertrag. Nach § 28 kann lediglich der Kreistag mit der Mehrheit seiner Mitglieder Teile der Vertragsbestimmung aufheben. Doch das hält Weber erklärtermaßen nicht für erforderlich.
Kommunalpolitischer Klüngel hinter verschlossenen Türen
Das alles könnte man amüsiert zur Kenntnis nehmen, würde sich an diesem eher banalen Beispiel nicht zeigen, wie politische Parteien ihr Rechtsverständnis je nach politischer Oportunität in die eine oder andere Richtung zu verbiegen in der Lage sind.
Damit wird auch dann nicht aufgehört, wenn sich landauf, landab schon mal herumgesprochen hat, dass die Bürger keineswegs politikverdrossen sind, sondern Politiker- und Parteienverdrossen. Dabei haben über 40 Jahre SPD-Filz auf der ostfriesischen Halbinsel mittlerweile einen Klüngel etabliert, den niemand mehr gutheißen kann. Die häßliche Fratze dieses Klüngels, zeigt sich in besonderer Weise bei der Abweisung eines Bürgerbegehrens zum Thema Zentralklinik.
Für die SPD dürfte der Kommunalwahlkampf damit gelaufen sein – zumindest wird es niemand mehr ernst nehmen können, wenn demnächst wieder Wahlreklame auf die Bürger niederprasselt und dabei auch noch von mehr Bürgernähe schwadroniert wird.
Kaum zu glauben: Demokratie ist machbar
Mit dem hiesigen kommunalpolitischen Biotop und dessen hartnäckigen SPD-Filz, könnte eine funktionierende Demokratie dennoch recht souverän umgehen. Filz ist ein natürliches Phänomen und gedeiht besonders prächtig, wenn vergessen wird, das politische Macht nur auf Zeit vergeben wird. Entsprechend ist schon längst überfällig, dass die andere – sogenannte Volkspartei – das Ruder übernimmt. Gemeint sind die Christdemokraten.
Doch wer derartiges vorschlägt, gibt sich in Ostfriesland leicht der Lächerlichkeit preis. CDU’ler in Ostfriesland spielen so gut wie keine Rolle. Sie fristen als eine Art Wurmfortsatz der übermächtigen SPD ein relativ bequemes Leben an den Fleischtöpfen machtvollen Einflusses. Hin und wieder kriegen sie auch mal einen Brocken ab und dürfen ein wenig mitregieren. Das allerdings nur dann, wenn sie nicht zu viel Ärger machen.
CDU: beim Politiker-Naturschutz ganz vorne
Nachgerade symbolhaft dafür steht der CDU-Fraktionsvorsitzende Hilko Gerdes. Seit 1968 im Auricher Kreistag vertreten, scheint er im ostfriesischen Filz unter Naturschutz zu stehen. Gerdes, so sagt man, habe überall seine Finger drin.
Zum Leidwesen vieler CDU’ler stimmte er gemeinsam mit der SPD gegen das Bürgerbegehren. Der Versuch einer gewissen politischen Ehrenrettung durch den CDU-Mann Hermann Reinders, hatte nur optischen Wert. Reinders, ebenfalls im Kreisausschuss vertreten und Abgeordneter des Norder Stadtparlaments, hatte für das Bürgerbegehren gestimmt.
Doch bei dem erbärmlichen Zustand der Gerdes-CDU, kann man Reinders vielleicht noch persönlich abnehmen, das sein Votum keine Wahlkampfstrategie, sondern ein ehrliches Votum war. Die CDU im Landkreis Aurich hat er damit jedoch nicht retten können – auch wenn er nach der Abstimmung sein Erschrecken zur Entscheidung des Kreisausschusses und seines Fraktionschefs kund tat.
Kein Mut zur Palastrevolution
In vielen Ortsverbänden der CDU rumort es allerdings schon seit langem. Das alles ist aber eher nur verhaltene Geräuschkulisse ohne politische Durchschlagskraft. Man scheut sich, die Altherrenriege der CDU in die Wüste oder ins Watt zu schicken. Persönliche Ebenen und gefühlte Verbundenheit spielen eine größere Rolle als übergeordnete politische Erfordernisse.
So ereilt die hiesige CDU wohl ein ähnliches Schicksal, wie es sich bei der SPD abzuzeichnen scheint. Die Unfähigen machen solange weiter bis die engagierten Mitglieder vor Verzweifelung das Handtuch werfen. Übrig bleiben die seit Jahren bekannten Namen, jene, die offensichtlich ein Dauer-Abo für Kreis- und Stadtratsitze gezeichnet haben. Dort können sie ihren Klüngel ungestört weiter betreiben. Das ganze wohl noch so lange, bis die unweigerlich kommende biologische Lösung greift.
Das alles erinnert an die Endphase der SED in der ehemaligen DDR. Erst als die letzten Vertreter einer abgehalfterten Politkaste mit der Bahre rausgetragen wurde, kam Bewegung ins Land. Dieses Schicksal könnte auch noch Hilko Gerdes ereilen.
Nur Glöckchen oder richtige Alarmglocken ?
Offensichtlich gibt es immer wieder solche Situationen, bei denen aus falsch verstandenem Respekt intern verabsäumt wird, jemanden klar zu machen, dass er zu gehen hat. Das mag persönlich sehr schwierig sein – keine Frage, doch schlimmer ist am Ende, wenn jemand wie Gerdes nur noch mit Intrigen und hinter dem Rücken gewetzen Messern auf höchst unrühmliche Weise von seinem Posten gezerrt werden muß. Die CDU wäre gut beraten, ihrem Gerdes auf dessen alte Tage diesen Akt zu ersparen. Das allerdingst setzt voraus, das Gerdes selbst langsam bemerkt, was das Glöckchen geschlagen hat.
Schlußendlich geht es nicht um Personen und deren Befindlichkeiten, sondern um die Frage, was nach diesem politischen Fiasko des abgewiesenen Bürgerbegehrens noch an demokratischer Kultur im Landkreis Aurich zu retten wäre. Die allgemeine Parteien- und Politikerverdrossenheit der Bürger – für die das abgewiesenen Bürgerbegehren eher nur symbolhaft steht – hat schon längst demokratiegefährdende Tendenzen.
Man braucht nicht im Kaffesatz zu lesen, um die nicht nur im Landkreis Aurich um sich greifende Wechselstimmung zu bemerken. Die Frage lautet also nur noch, was werden die Wähler am 11.9. wählen? Die SPD mit Gerdes und ihrer Altherrenriege im Schlepptau, hat jedenfalls eine politische Glanzleistung vollbracht, die eine Protestwahl bringen wird – mit offenem Ausgang.
Immerhin – für die Wahlbeteiligung dürfte es belebend wirken.
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