”Schmerzensschreie” im Parteienklüngel – Schwieriger Erkenntnisgewinn
von Jürgen Wieckmann
Aurich (oz/on/okj) – Scharfe Kritik hat der CDU-Kreisvorsitzende Sven Behrends am Aktionbündnis Klinikerhalt in Ostfriesland geübt. Auf dem Kreisparteitag im Landgasthof Alte Post in Ogenbargen warf er der Bürgerinitiative „Stimmungsmache“ sowie „„schlechte und destruktive Vorgehensweise während der Kommunalwahl“ vor.
Das Aktionsbündnis hatte bei allen Kreistagskandidaten ein Umfrage zur Zentralklinik durchgeführt. Auf die Frage, ob sie eine Zentralklinik befürworten, konnten die Kandidaten mit Ja, Nein einer Enthaltung sowie ausführlicher Begründung ihrer Berurteilung antworten. Das Ergebnis hatte das Aktionsbündnis anschließend in einer Anzeige und die ausführlichen Begründungen im Internet-Blog „Ostfriesisches Klinik Journal“ (okj) veröffentlicht.
Vor allem SPD-Kandidaten verweigerten eine Antwort auf die gestellte Frage. Lediglich Gerd Zittig bekannte sich offen zu dem Vorhaben. Dagegen untersagte SPD-Mann Alwin Theessen eine Veröffentlichung seiner Haltung. Zehn Kandidaten schickten einen von der Parteiführung erstellten Musterbrief. Mehrheitlich verweigerten die SPD-Kandidaten im Landkreis Aurich eine Auskunft.
SPD Norden wollte Vorab-Kontrolle der Veröffentlichungen
Vorausgegangen war ein Einschreiben des SPD-Vorsitzenden des Stadtverbandes Norden, Hans Forster an das Aktionsbündnis, welches der okj-Redaktion vorliegt. Darin untersagte Forster die Veröffentlichung von Namen der SPD-Kreistagskandidaten und deren Haltung zur Zentralklinik, sofern der SPD zuvor keine redaktionelle Kontrolle des veröffentlichten Textes eingeräumt werde. Forster begründete dies unter anderem mit der ”Komplexität des Themas”. Ferner kündigte Forster an, die Anzeigenabteilungen und Geschäftsführungen der ostfriesischen Zeitungen über diese Entscheidung zu informieren.
Nur knapp am Eingriff in die Pressefreiheit vorbeigeschrammt
Nach Einschätzung des Aktionsbündnisses stelle dieses ein Versuch dar, aus wahlkampfstrategischen Interessen heraus direkt in die Pressefreiheit einzugreifen. An dieser Stelle habe sich die SPD im Landkreis Aurich bereits 2013 einen höchst fragwürdigen Ruf erworben.
Auf Bestreben des SPD-Fraktionsvorsitzenden im Auricher Kreistag, Jochen Beekhuis, hatte Landrat Harm-Uwe Weber (SPD) die Chefredaktion der in Aurich erscheinenden ”Ostfriesische Nachrichten” aufgefordert, einen Redakteur der Zeitung, dessen kritische Berichte zum Thema Krankenhaus die Führungsgenossen offensichtlich verärgerten, „aus dem operativen Geschäft“ zu entfernen. Dies hatte auch den Deutschen Journalisten Verband (djv) auf den Plan gerufen. (Siehe Video-Statement Hartmut Kern djv ”Verletzung der Pressefreiheit”)
Video
Forster habe eigentlich nur wegen einer gewissen „Dusseligkeit“ Glück gehabt, dass sein Schreiben nicht einen weiteren Skandal hervorrief. Schließlich habe er lediglich angekündigt, auf die Anzeigenabteilungen Einfluss nehmen zu wollen. Das Aktionbündnis habe es nach längerer Diskussion bei dieser „freundlichen Interpretation“ belassen, da hier nicht explizit angekündigt wurde, in redaktionelle Entscheidungen einwirken zu wollen.
Fortbildung für machtverwöhnte Kommunalpolitiker
„Zum Zwecke der Fortbildung“ habe man Forster deshalb in einem Antwortschreiben darüber in Kenntnis gesetzt, das jeder, der für ein öffentliches Amt kandidiere damit rechnen müsse, dass über seine Position diskutiert und in diesem Zusammenhang auch der Name genannt wird. Nur auf dieser Grundlage sei schließlich eine Entscheidung für oder gegen einen Kandidaten möglich. Dies habe insbesondere für eine kommunalpolitisch umstrittene Frage zu gelten, die für die Wahlentscheidung der Bürger relevant ist oder sein könnte.
Entsprechend stehe es jedem frei, das Verhalten der Kandidaten einer Partei zu schildern und zu bewerten. Ohnehin habe niemand einen Anspruch darauf, in der Öffentlichkeit nur so wahrgenommen zu werden, wie der/die Betroffene es möchte. (vergl. BverfG v. 25.01.2012 ‑1 BvR 2499/09, Rn. 37; s. Ferner Bschl. V. 1008.2002 – 1 BvR 354/98, Rn 20).
Sorge vor Machtverlust – Furcht vor Bürgerentscheiden
Verärgert zeigte sich vor allem die SPD im Auricher Kreistag über die Veröffentlichung der Namen jener Abgeordneten, die am 18. März 2016 im Kreisausschuss den Antrag auf einen Bürgerentscheid zur Zentralklinik aus formalen Gründen abgelehnt hatten. Da diese Sitzung hinter verschlossenen Türen stattfand, sah sich Landrat Harm-Uwe Weber (SPD) veranlasst, den Kreistag aufzufordern, sich wegen ”Verstoßes gegen das Amtsgeheimnis” selbst zu rügen. Mehrheitlich stimmte der Kreistag dieser Beschlussvorlage des Landrats zu. Siehe auch ”Förmliche Missbilligung von Verstößen gegen die Amtsverschwiegenheit”. Beschlussvorlage und Presseartikel.
In einer Anzeige der Norder Tageszeitung „Ostfriesischer Kurier“ hatte sich der Norder CDU-Kreistagsabgeordnete Hermann Reinders dagegen sehr offen für ein Bürgerbegehren ausgesprochen und auch im Kreisausschuss entsprechend gestimmt. Reinders wurde anschließend vorgehalten, dieses nur aus wahlkampftaktischen Gründen getan zu haben. Für sein Abstimmungsverhalten hatte Reinders allerdings eine einstimmige Entscheidung der CDU-Stadtratsfraktion ”im Gepäck”. Im Wahlkampf betonten anschließend dann auch SPD Abgeordnete, dass sie einen Bürgerentscheid unterstützen wollten.
Kreistag verweigerte Befragung der Bürger
Die Glaubwürdigkeit dieser Wahlaussage wird in Kreisen des Aktionsbündnisses allerdings in Frage gestellt. Am 15. Dezember 2015 hatte die Kreistagsabgeordnete Blanka Seelgen den Antrag gestellt, zum Thema Zentralklink eine Bürgerbefragung durchzuführen. Siehe auch: http://session.landkreis-aurich.de/buergerinfo/getfile.php?id=64592&type=do.
Mit 32 Nein, 13 Ja und drei Enthaltungen stimmte der Kreistag gegen eine Bürgerbefragung. Im Gegensatz zu einem Bürgerentscheid, ist eine Bürgerbefragung eine Art „amtliche Meinungsumfrage“, die formal für die Politik keine bindende Wirkung hat. Ebenfalls abgelehnt wurde der Antrag der Abgeordneten, der Kreistag möge den Aufruf des Vereins „Mehr Demokratie e.V“ für „faire Bürgerentscheide in Niedersachsen“ unterstützen. Mit 34 Nein-Stimmen verweigerte das oberste politische Organ des Landkreises diese Unterstützung.
Aktionsbündnis: Bürger sollen entscheiden
Unabhängig davon betonte der SPD-Landtagsabgeordnete Wiard Siebels, das seitens der Landesregierung durch Änderungen der Kommunalverfassung Bürgerentscheide verfahrenstechnisch vereinfacht werden. Ab 1. November entfalle unter anderem der sogenannten Kostendeckungsvorschlag, der in der Vergangenheit immer wieder dazu verwendet wurde, um Bürgerentscheide im Vorfeld zu verhindern.
Pritorius: ”Bürgerschaftliches Engagement stärkt kommunale Selbstverwaltung”
Bis zum Schluss der Anhörungen zur geplanten Gesetzesänderung hatten die kommunalen Spitzenverbände gegen die Vereinfachungen für Bürgerentscheide gekämpft. Nach ihrer Auffassung sei damit eine Schwächung der gewählten Vertreter verbunden.
Anders als die Spitzenverbände befürchten, sah Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius jedoch nicht, dass durch Bürgerentscheide die repräsentative Demokratie in Frage gestellt werde. Er, Priotorius, sähe darin vielmehr eine Erleichterung des bürgerschaftlichen Engagements und „ein Zeichen lebendiger Demokratie“, die die kommunale Selbstverwaltung am Ende eher stärke als schwäche.
SPD-Strategie während der Kommunalwahl
Massiver Druck auf Abweichler
Nach Informationen des Aktionsbündnisses sind SPD-Mitglieder an der Basis von ihren Führungsgenossen auch persönlich massiv unter Druck genommen worden, um ihre abweichende Einschätzung zu den Planungen einer Zentralklinik nicht all zu öffentlich kund zu tun. Einigen – im Sinne des Niedersächsischen Innenminister engagierten SPD-Mitglieder – sei sogar mit Parteiausschluss-Verfahren gedroht worden, wenn sie während des Wahlkampfes offensiv gegen die offizielle Haltung der Parteiführung agieren würden.
Im Vorfeld der Kommunalwahlen verweigerte auch die Norder SPD einen Mitglieder-Parteitag zum Thema Zentralklinik. Als Begründung dafür wurde angegeben, dass man die „Machbarkeitsstudie II“ der Beratergesellschaft BDO abwarten wolle.
CDU will Parteitag zur Zentralklinik – SPD-Basis muss noch warten
Durch ihr Abtauchen beim Thema Zentralklinik blieb der SPD im Landkreis Aurich ein vergleichbares Wahldebakel wie in Emden erspart. In der einstigen SPD-Hochburg verloren die Sozialdemokraten über 20 Prozent der Stimmen an die neu gegründete Wählergemeinschaft ”Gemeinsam für Emden” (GfE), die sich für das Krankenhaus in Emden und gegen dessen Schließung ausgesprochen hatte.
Wortlaut: Videostatement Heiko Schmelzle zur Zentralklinik
Seitens der SPD-Basis werden in Emden nun die Forderungen nach Rücktritt der Führungsgenossen und einem Neuanfang lauter. Bislang weigern sich diese jedoch, den Forderungen ihrer Mitglieder nachzukommen. In Norden wurde der Bürgermeisterkandidat Heiko Schmelzle mit überwältigender Mehrheit zum neuen Bürgermeister gewählt. Er hatte einen erfolgreichen Anti-Zentralklinik-Wahlkampf geführt und konnte sich auf einstimmige Beschlüsse der Norder CDU berufen.
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von Prof. Dr. Thorsten Koch
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