Aurich (oz/on/ok/okj) – Am kommenden Mittwoch (26.10.) sollen die Hürden für Bürgerbegehren in Niedersachsen gesenkt werden. Dann wird der Landtag das Kommunalverfassungsgesetz ändern. Bürgerinitiativen müssen dann keinen Kostendeckungsvorschlag mehr vorlegen. Daran war das Bürgerbegehren zur Zentralklinik im März dieses Jahres gescheitert.
Das Gesetz soll am 1. November dieses Jahres in Kraft treten. Wird die Gesetzesänderung wie von der Landesregierung vorgeschlagen vom Parlament beschlossen, könnte es Frühjahr 2017 einen Bürgerentscheid zur Zentralklinik geben. Diese soll 2022 in Betrieb gehen, wobei die bestehenden Krankenhäuser in Emden, Norden und Aurich geschlossen werden.
In einem Pressegespräch begrüßte der SPD-Landtagsabgeordnete Wiard Siebels, dass die Hürden für Bürgerbegehren gesenkt werden sollen. Siebels, der eine Zentralklinik befürwortet, hatte nach eigenen Angaben schon vor der öffentlichen Diskussion über diese Planungen intern gefordert, dass bei derartigen Entscheidungen die Bürger von Anfang an einbezogen werden müssten.
Auch Niedersachsens Sozialministerin Cornelia Rundt hatte mehrfach betont, dass neben den rein wirtschaftlichen Überlegungen die gesellschaftliche Akzeptanz des Projektes bei der Bewilligung der Fördergelder eine Rolle spielen werde.
Noch als Oppositionspolitikerin im niedersächsischen Landtag hatte Rundt im Dezember 2012 erklärt, dass sich ein Land wie Niedersachsen ein Kliniksterben nicht leisten könne. Die Situation in der Fläche sei dramatischer als in großstädtischen Ballungsräumen. Auch vor dem Hintergrund des demografischen Wandels müsse die ortsnahe Versorgung sichergestellt bleiben. Dies ist auch ein wichtiger Standortfaktor, so Rundt damals.
100 Mio. für bestehende Krankenhäuser
250 Mio kostet ein neues
Nach Berechnungen der BDO-Beratergesellschaft standen 2014 alle drei Krankenhäuser vor einem Investitionsstau in Höhe von 98,36 Mio. Euro. Entsprechend ihres Auftrages hatte die BDO in einer sogenannten Machbarkeitsstudie aufgezeigt, dass es längerfristig wirtschaftlicher wäre, die drei Häuser zu schließen und für 250 Mio. Euro eine Zentralklinik in Georgsheil zu errichten.
Mittlerweile wird auch berücksichtigt, dass die reinen Baukosten zwischen 5 und 10 Prozent höher ausfallen könnten. Mögliche Folgekosten sowie Investitionen zur Erschließung der Infrastruktur für eine Zentralklinik auf der Grünen Wiese, waren nicht Bestandteil des BDO-Auftrages.
Krankenhäuser in Aurich und Norden sind keine ”abrissreifen Klitschen”
Die Entscheidung für oder gegen eine Zentralklinik müsse jetzt auf schnellstem Wege einem Bürgerentscheid zugeführt werden, erklärte der Vorsitzende des Fördervereins der UEK am Standort Norden, Jürgen Wieckmann, am vergangenen Dienstag (19.10.). Alle Beteiligten bräuchten jetzt Planungssicherheit.
Der Verein kündigte zudem an, stärker für die guten Seiten des Norder Krankenhauses zu werben. Seit geraumer Zeit verfolge man zunehmend irritiert, wie interne Einschätzungen von Ärzten und Pflegepersonal die Runde machen, nachdem die Krankenhäuser im Landkreis Aurich als „Klitschen“ betrachtet werden.
Beschimpfungen des Krankenhauspersonals unterträglich
Derartiges widerspräche den Einschätzungen des Emder Internisten Dr. Christoph Schöttes, sagte Wieckmann. Schöttes gilt als Vater des Gedankens Zentralklinik und betone immer wieder, dass in Emden, Aurich und Norden beste medizinische Versorgung vorhalten werde.
Auch Zentralklinik-Sprecher Claus Eppmann verwahre sich deutlich gegen Erzählungen, die die bestehenden Krankenhäuser und dort arbeitende Menschen in Öffentlichkeit schlecht reden. „Da kann auch Eppmann auf offener Bühne richtig ausrasten“, berichten Mitglieder des Aktionsbündnisses.
Auf einer Informationsveranstaltung in Hinte hatte sich Eppmann mit deutlichen Worten vor die Mitarbeiter der drei Krankenhäuser gestellt. Nachdem aus dem Publikum die medizinische Versorgung in einem der Häuser aus persönlichen Erleben heraus mit scharfen Worten kritisiert wurde, bezeichnete Eppmann derartiges als ”unerträglich”. Die Mitarbeiter der Krankenhäuser leisteten unter schwierigen Bedingungen eine hervorragende Arbeit.
Politik setzt falsche Förderanreize
Das Menschen in ihren Krankenhäuser bisweilen Dinge erleben, die nicht sein dürften, könne man nicht Ärzten und Pflegepersonal vorwerfen, betonte auch Wieckmann. Nicht nur in Niedersachsen, sondern bundesweit seien die gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen in einer Weise gesetzt worden, die gerade den kleinen wohnortnahen Krankenhäusern die auch ökonomischen Grundlagen entziehen. Dies sei eine Problem für Patienten und Mediziner gleichmaßen. Grund dafür seien auch die durch die Politik bestimmten und falschen Förderanreize mit dem Geld der Steuerzahler.
Kein Widerspruch zu Dr. Schöttes
Wenn es offensichtlich im Bereich des Machbaren sei, 250 Millionen Euro für eine Zentralklinik zu mobilisieren, darf man die vielleicht auch nur theoretische Frage stellen, warum eine vergleichbare Summe nicht für bestehende Häuser investiert werden könne – und zwar so, dass auch Dr. Schöttes halbwegs zufrieden sein könnte, erklärte Wieckmann.
Mit Blick auf den kommenden Bürgerentscheid sollte sich auch die Politik im Landkreis Aurich langsam auf einen Plan B einstellen. Möglicherweise käme dann auch wieder der Emder Klinikchef Ulrich Pomberg zu ehren, der bis zur Debatte über die Zentraklinik erfolglos für eine gesamtostfriesische Lösung eintrat. Hier werde man unter Umständen noch genauer herauszufinden haben, welche Interessengruppierungen innerhalb und außerhalb Ostfrieslands einen solchen Ansatz verhindert haben könnten.
Zentralklinik zementiert u.U. gesundheitspolitischen Anachronismus
Mit der Zentralklinik laufe man derzeit Gefahr, im wahrsten Sinne des Wortes einen speziell in Deutschland hinlänglich bekannten Anachronismus im Gesundheitssystem zu zementieren. Dieser trenne strikt zwischen ambulanter und stationärer Versorgung. Den Krankenhäusern ist per Gesetz untersagt, Menschen auch ambulant zu behandeln. Dieses dürfen lediglich die niedergelassenen Ärzte.
Vertreten werden diese durch die Kassenärztliche Vereinigung. Diese ist jedoch mehr, als eine reine Interessenvertretung dieser Berufsgruppe, sondern als Körperschaft des Öffentlichen Rechts „Herrin“ über die Milliarden, die über die Krankenversicherungen für Leistungen ambulanter Versorgung zu verteilen sind. Krankenhäuser, die ihrerseits über „ambulante Notfallversorgungen“ behandeln, müssen diese Kosten über die KV abrechnen. Seit Jahrzehnten führt dieses immer wieder zu Konflikten, da durch diese Zahlungen an Krankenhäuser das Budget für niedergelassene Ärzte reduziert wird.
Poliklinik: Auflösung der Trennung stationär und ambulant ?
Vor diesem Hintergrund sei die Bezeichnung „Notfall-Ambulanz“ bei Krankenhäuser eher ein „juristisches Feigenblatt“. Über 80 Prozent der Patienten, die die Ambulanz eines Krankenhauses aufzusuchen, sind keine Notfälle. Die Wahrheit ist, das insbesondere in ländlichen Regionen die Krankenhäuser als Ersatz für fehlende Landarzt-Praxen in Anspruch genommen werden. Den Krankenhäusern bringen diese Patienten allerdings erhebliche Verluste ein.
Gesundheit braucht Politik – Finanzielle Rahmenbedingungen ruinieren kleine Krankenhäuser
Nach Berechnungen der Deutschen Krankenhaus-Gesellschaft können sie gegenüber der KV im Durschschnitt pro Ambulant-Patient lediglich 36.- Euro in Rechnung stellen. Die allgemeinen Betriebskosten eines Krankenhauses liegen pro Patient allerdings bei durchschnittlich 120.- Euro.
Ärztefunktionäre der KV auf Bundesebene werfen Krankenhäuser an dieser Stelle immer wieder vor, Patienten die die Notfall-Ambulanzen aufsuchen, stationär aufzunehmen, obwohl sie eigentlich auch ambulant behandelt – und damit an niedergelassene Ärzte zu überweisen wären.
Fallpauschalen-Abrechnung zwingt zur Zentralisierung und Schließung kleiner Krankenhäuser
Um diesen seit Jahrzehnten schwelenden Dauerkonflikt ums liebe Geld zu entschärfen, sollen wohnortnahe Krankenhäuser geschlossen und durch sogenannte Medizinischen Versorgungszentren ersetzt werden. Nach den Vorstellungen der Planer müssen diese von den niedergelassenen Ärzten betrieben werden. Zentralkrankenhäuser, die von den Ballungsräumen entfernt errichtet werden, sollen sich dagegen auf rein stationäre Behandlung der Patienten fokussieren.
Bundesweit zeichne sich aber schon heute ab, dass dies „graue Theorie“ sei. Wo immer auch kleinere Krankenhäuser „vom Markt“ genommen wurden, würden die sogenannten „Notfall-Ambulanzen“ der übrig gebliebenen Häuser von den Patienten vollständig überrannt.
Bundesbündnis Klinikerhalt: Gesundheitsvorsorge für Bürger bleibt auf der Strecke
Dies werde auch der geplanten Zentralklinik in Georgsheil widerfahren. Das heute eine deutliche Mehrheit der Bürger gegen dieses Vorhaben eingestellt sind, werde sich natürlich in dem Augenblick ändern, wenn die Zentralklinik in Betrieb geht. Den Menschen bliebe ja nichts anderes übrig.
Die Konsequenz wäre dann natürlich, dass aus Aurich, Emden und Norden gleichzeitig die sogenannte Notfall-Ambulanz in Georgsheil aufgesucht wird. Weiterhin ist sehr wahrscheinlich, dass auch die Zentralklinik unter unveränderten Rahmenbedingungen der Finanzierung (DRG-System) Defizite einfahren werde.
Schulden, Schulden – nichts als Schulden
Buchhalterisch werde die Schuldenlast aus dem Neubau Zentralklinik dieser „aufs Dach“ gerechnet, Tatsache ist allerdings, dass die kommunalen Haushalte dafür gerade zu stehen haben. Zusätzlich verschwinden auch nicht die bislang aufgelaufenen Altschulden der Häuser in Emden, Aurich und Norden. Diese müssen zusätzlich zur Neuverschuldung von den kommunalen Haushalte abgetragen werden.
Nach Einschätzung von Kritikern des Vorhabens, werde man spätestens ab 2027 über eine Privatisierung der Zentralklinik zu sprechen haben, jedenfalls dann, wenn die kommunalen Haushalte die eingegangen Zahlungsverpflichtungen nicht schultern können. Sollte es so kommen, könne im Extremfall die Kommunalaufsicht ein Machtwort sprechen.
Damit wären alle Versprechungen, das Krankenhaus in kommunaler Trägerschaft zu betreiben, durch die Macht des ökonomisch Faktischen und einem Federstrich außer Kraft gesetzt.
Anzunehmen sei, dass dann weder Landrat Harm-Uwe Weber noch Emdens Oberbürgermeister Bernd Bornemann (beide SPD) in Amt und Würden seien. Dieses Problem hätten dann deren Nachfolger auf dem Tisch, was man niemandem wünschen kann – unabhängig davon, mit welchem Parteibuch die Nachfolger in dieses Amt geraten könnten.
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